Überlebenden zuzuhören und Prävention in gefährdeten Gemeinschaften stärken
GENF, Schweiz (LWI) – Am Welttag gegen Menschenhandel der Vereinten Nationen haben Überlebende berichtet, wie sie ihrer Notlage entkommen sind und anderen geholfen haben, nach einer solchen traumatischen Erfahrung wieder Hoffnung zu schöpfen. Die Frauen aus Asien haben an einem Webinar unter der Überschrift „Stop the Flow: End Human Trafficking“ (Den Strom aufhalten: Menschenhandel beenden) teilgenommen, das der Lutherische Weltbund (LWB) in Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) am 30. Juli organisiert hatte.
Die Veranstaltung unterstrich, wie wichtig es ist, den Opfern von Menschenhandel selbst zuzuhören, die oftmals ignoriert, stigmatisiert und durch die unmenschlichen Verfahren in der juristischen und Strafverfolgung ein zweites Mal traumatisiert werden, wenn sie versuchen, die verantwortlichen Menschenhändlerinnen und -händler anzuzeigen. Die Moderatorin Ruth Mathen von der Asiatischen Christlichen Konferenz berichtete, dass dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den letzten Monaten deutlich zugenommen habe, weil viele Mädchen und junge Frauen aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht mehr zur Schule gehen und nicht mehr arbeiten konnten und dem Menschenhandel so ungeschützter gegenüberstanden.
Das Webinar hat aufgezeigt, was die Kirchen bereits tun, um Überlebende zu unterstützen, und hat zu einer intensiveren Koordination des Engagements aufgerufen, um zu verhindern, dass junge Menschen den Menschenhändlerinnen und -händlern zum Opfer fallen. Es nahmen zwei Spoken Word-Künstlerinnen und Aktivistinnen aus Jamaika und Korea teil, die die Menschen mit ihrer Kunst und ihrem Engagement für die Gefahren des Menschenhandels sensibilisieren wollen. Die gehörgeschädigte Pfarrerin Mary Chipoka von der Reformierten Kirche in Simbabwe eröffnete das Webinar mit einer kurzen Predigt in Gebärdensprache über die Sklavin, die Paulus in der Apostelgeschichte 16 aus ihrer Gefangenschaft befreit. Paulus wird ins Gefängnis geworfen, weil „ihre Herren sahen, dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war“.
Ein Leben in Würde für Überlebende in Kambodscha
Veasna Heang, Leiterin der Programmabteilung bei der kambodschanischen Organisation „Life with Dignity“, sprach über die erheblichen körperlichen und seelischen Folgen des Menschenhandels, die die Überlebenden oftmals in die Verzweiflung oder sogar den Selbstmord trieben. Kinder armer Familien in Kambodscha seien besonders gefährdet, sagte sie; viele werden in die Sklaverei verkauft und als Straßenhändlerinnen und -händler oder Bettlerinnen und Bettler in Thailand oder Vietnam auf die Straße geschickt. Zudem würden die Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oftmals gezwungen, Drogen zu nehmen, berichtete sie, damit sie gefügiger würden, zu risikoreicherem Verhalten bereit seien und von mehr Tätern ausgenutzt werden könnten.
Heang, die selbst eine Überlebende von Menschenhandel ist, erklärte, dass auch der Kampf gegen die Stigmatisierung eine große Herausforderung für die Menschen sei, die den Opfern und ihren Familien helfen wollen. Jenen, die ihren Peinigern entkommen können und die in ihre Heimatorte zurückkehren, wird oftmals die Schuld für ihr Schicksal gegeben und sie werden von ihren Familien und Gemeinwesen zurückgewiesen, weil sie nicht das Geld mit nach Hause bringen, das die Menschenhändlerinnen und -händler versprochen hatten. „Life with Dignity“, das aus dem 1979 gegründeten Lutheran World Service Cambodia hervorgegangen ist, unterstützt schutzbedürftige ländliche Gemeinschaften in mehr als 330 Dörfern in sechs Provinzen im Westen und Zentrum des Landes.
Eine junge Frau aus Kambodscha, die Unterstützung von „Life with Dignity“ erhält, berichtete, wie sie von Menschenhändlerinnen und -händlern nach China gelockt wurde, um ihrem gewalttätigen Ehemann zu entkommen. Zwei Frauen von den Philippinen berichteten, wie sie zum Arbeiten nach Malaysia und Japan verkauft wurden. Eine von ihnen erzählte, wie sie dazu gebracht wurde, einen Japaner zu heiraten, der sie vergewaltigte, schlug und ihr nichts zu essen gab, wenn sie sich seinen Annäherungen widersetzte. Wie viele andere Überlebende, die unerkannt bleiben wollen, um sich selbst und ihre Familien zu schützen, leidet sie unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung, weil sie sich um Gerechtigkeit bemüht und immer wieder gezwungen ist, sich an ihr Martyrium zu erinnern.
Frauen auf den Philippinen zurüsten
Die beiden philippinischen Frauen haben Unterstützung von einer Organisation erhalten, die sich „Batis Center for Women“ nennt und ihren Sitz in Quezon City hat. Anfänglich war das Zentrum eine erste Akut-Anlaufstelle für Überlebende von Menschenhandel, die als „Entertainment“ in Japan ausgebeutet worden waren und nach der Rückkehr in die Heimat keinerlei Unterstützung oder Schutz erfuhren. Batis bietet einen Empfangsdienst am Flughafen, psychosoziale Unterstützung, Beratung für die familiäre Integration der Überlebenden sowie Schulungen für die Ausbildung von Fertigkeiten und Kompetenzen und finanzielle Unterstützung, um den Überlebenden von Menschenhandel zu helfen, für sich selbst und ihre Familien ein neues Leben aufzubauen.
Eine der Direktorinnen des Batis Centers, Andrea Luisa Anolin, ist selbst auch eine Überlebende von Menschenhandel. Sie berichtete über bewährte Praktiken wie zum Beispiel Schulungen für die Aufklärung über Menschenrechte und Programme für die Ermächtigung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung. Während der COVID-19-Pandemie, berichtete sie weiter, habe das Zentrum sein Angebot ausgeweitet, um Überlebenden auch Nothilfe leisten und ihre Kinder unterstützen zu können, damit diese ihre schulische Ausbildung auch im Rahmen des Homeschooling fortsetzen können.
Zeichen der Hoffnung in Nigeria
Emmanuel Gabriel, Pfarrer der Lutherischen Kirche Christi in Nigeria (LKCN), ist Koordinator der Initiative „Symbols of Hope“ (Symbole der Hoffnung) in seinem Heimatland auf nationaler Ebene. Die Initiative des LWB rüstet Kirchen in Nigeria für den Umgang mit irregulärer Migration und Menschenhandel in ihrem konkreten Kontext zu. Die LKCN schafft nicht nur Bewusstsein, sondern unterstützt auch potenziell Migrationswillige und Rückkehrende – wie auch Opfer von Menschenhandel – mit psychosozialer Beratung und Maßnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Gabriel wies darauf hin, dass Nigeria zu den Ländern mit den meisten Opfern von Menschenhandel zähle und dass viele von ihnen von ihren eigenen Familien oder Gemeinwesen in die Sklaverei verkauft würden. Selbst Kirchen, sagte er, machten sich teilweise mitschuldig, weil sie helfen würden, die jungen Menschen von der Glaubwürdigkeit der Versprechen der Menschenhändlerinnen und -händler, gute Jobs und leicht verdientes Geld im Angebot zu haben, zu überzeugen.
Er sagte, Kirchen sollten „von der Kanzel Advocacy-Arbeit betreiben“, Bewusstsein für die Gefahren schaffen und „die Regierungen anprangern, die den Überlebenden keine Gerechtigkeit verschaffen“ würden. Anolin rief die Kirchen dringend auf, ihre Unterstützung für die lebensrettende Arbeit kleiner Organisationen wie dem Batis Center fortzuführen, die „so vielen Menschen Heilung und Hoffnung schenken würden“. Armut, Korruption und fehlende Strafverfolgung seien einige der Grundursachen für diese Art des Verbrechens in allen Teilen der Welt, waren sich die Rednerinnen und Redner einig. Es sei essenziell, Organisationen dabei zu unterstützen, das Potenzial ihrer Netzwerke zu nutzen, um Kapazitäten aufzubauen und die Präventionsmaßnahmen bei den gefährdetsten Gruppen auszubauen.
Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller