Aufruf des LWB: „Unseren Worten Taten folgen lassen“

27 Nov. 2018
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Pfarrerin Judith VanOsdol, Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung. Foto: LWB/S. Gallay

Pfarrerin Judith VanOsdol, Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung. Foto: LWB/S. Gallay

Programmreferentin Judith VanOsdol über die Kampagne „16 Tage gegen Gewalt an Frauen“ und Gendergerechtigkeit

Genf (LWI) – Die diesjährige Kampagne für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen sei eine gute Gelegenheit für die lutherische Kirchengemeinschaft, „unsere Verpflichtung und unser großes Engagement für ein Ende von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt zu erneuern und noch einmal zu bekräftigen, und die Ermächtigung von Frauen und Mädchen aus der Menschenrechtsperspektive zu fördern“, erklärt Pfarrerin Judith VanOsdol, Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung beim Lutherischen Weltbund (LWB).

Für den LWB stehen die 16 Aktionstage gegen geschlechtsspezifische Gewalt unter dem Motto „Walk the Talk“ – unseren Worten Taten folgen lassen. Dieses Motto sei ein Aufruf, so VanOsdol, sich die Frage zu stellen, wo der LWB mit Blick auf diese Selbstverpflichtung und dieses Engagement stehen. VanOsdol nimmt damit Bezug auf die vielen Resolutionen von Vollversammlungen und Ratstagungen, Publikationen, Workshops, liturgischen und anderen Materialien, die in den vergangenen Jahrzehnten verabschiedet, veröffentlicht und veranstaltet wurden, und die während der 16 Aktionstage nun noch einmal ins Blickfeld der Mitgliedskirchen und Länderprogramme gerückt und genutzt werden soll.

Die 16 Aktionstage begannen am 25. November, dem Internationalen Tag für die Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, und endet am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte.

Wichtige Prozesse für lebendige Kirchen

VanOsdol, die ihre Funktion als Programmreferentin beim LWB im September angetreten hat, sagt, Trainings, Bewusstseinsbildung, Engagement und Aktionstage und andere Formen der Advocacy-Arbeit, an denen die LWB-Gemeinschaft beteiligt ist, seien nicht einfach nur eine Checkliste, die es abzuhaken gelte. Es seien vielmehr „wichtige Prozesse für vitale, lebendige, wachsende Kirchen, Arbeitsorte, Länderprogramme und Einzelpersonen“.

Bezugnehmend auf ihre frühere Tätigkeit und Arbeit mit Überlebenden von Gewalt in den USA und in Lateinamerika erinnert sich die VanOsdol an Situationen, in denen es oft an praktischer Ausbildung, Verständnis und dem institutionellen Willen fehlte, die Gewalt zu beenden. Dadurch haben wir an verschiedenen Stellen die zerstörerischen Auswirkungen erleben müssen“, erzählt sie.

Laut VanOsdol geht es dem LWB, wenn er seinen Worten der Selbstverpflichtung und des Engagements Taten folgen lassen will, darum, „den Mitgliedskirchen und Anderen bewusst die Instrumente und Hilfsmittel zugänglich zu machen, die wir entwickelt haben, um unseren Beitrag für ein Ende der Gewalt an Frauen und Mädchen zu leisten“.

Sie führt ihr Verständnis von Gendergerechtigkeit und den in der Arbeit des LWB verfolgten Ansatz für die Ermächtigung von Frauen und Mädchen in Gesellschaft und Kirche weiter aus. Gendergerechtigkeit bedeute, „anzuerkennen, dass in unserer Welt zwischen den Geschlechtern Ungerechtigkeit und Ungleichheit herrscht. Gendergerechtigkeit bezieht sowohl Männer als auch Frauen ein und ruft bewusst dazu auf, sich aktiv für die Überwindung dieser Situation einzusetzen“. Die Ungerechtigkeit und Ungleichheit würde auf wirtschaftlicher, politischer, religiöser, gesundheitlicher, menschenrechtlicher und vielen anderen Ebenen sichtbar und führte zu einem Machtgefälle, zu Gewalt, Marginalisierung, Unterdrückung und vielem mehr.

Begriffsbestimmung: Menschliche Gemeinschaft

Gendergerechtigkeit, so VanOsdol weiter, sei auch Teil des lutherischen theologischen und biblischen Verständnisses, dass Menschen durch die Taufe Teil einer neuen Gemeinschaft würden, in der nicht mehr die patriarchalen Paradigmen von Macht und Trennung die menschliche Gemeinschaft bestimmten.

„Für mich geht es beim Thema Gendergerechtigkeit um Gottes Aufruf, unsere mit der Taufe erhaltene Berufung innerhalb der geliebten Gemeinschaft praktisch zu leben. Christi Proklamation in Johannes 10 – ‚damit sie das Leben und volle Genüge haben sollen‘ – fordert uns alle auf, uns gegen Kräfte einzusetzen, die Menschen daran hindern, ein Leben in voller Genüge zu haben.“

VanOsdol denkt weiter über die Neuordnung von Beziehungen nach, die Jesus verkörperte indem er erklärte, er würde alle Systeme ungerechter Machtverteilung einschließlich des patriarchalen Systems umstürzen. „Jesus diskutierte mit Frauen über theologische Themen, unter seinen Jüngern, Anhängern, denjenigen, die seine Botschaft verkündeten, und unter den Aposteln waren Frauen.“

Die Sicht des globalen Südens

Auch wenn VanOsdol sich schon lange vor ihrem Theologie-Studium in den USA mit Gleichstellungsfragen beschäftigt hat, hat sie einen Großteil ihres Wissens und viele ihrer Erfahrungen im praktischen Engagement für Menschenrechte ihrer Tätigkeit in Lateinamerika zu verdanken. „Im globalen Süden an Gendergerechtigkeit zu arbeiten hat mein theologisches Verständnis und meinen Blickwinkel sehr stark geprägt und geformt. Ich bin zutiefst dankbar für diese Jahre und die vielen geduldigen Lehrmeisterinnen und Lehrmeister, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Gemeindeglieder usw., die diesen Weg mit mir gemeinsam gegangen sind, und ich freue mich sehr, diesen Blickwinkel in unsere Arbeit als lutherische Gemeinschaft einbringen zu dürfen.“

Bevor sie ihre Stelle beim LWB antrat war VanOsdol Frauenbeauftragte und Gemeindepfarrerin der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Argentinien und Uruguay und Direktorin des Referats für Gendergerechtigkeit und Frauen beim Lateinamerikanischen Kirchenrat.

Sie ist 1987 von der Lutherischen Kirche in Amerika, einer Vorgängerin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA), ordiniert worden und hat auch als Direktorin für Mission und Assistentin der Bischöfe in der Upstate New York and Rocky Mountain-Synode der ELKA gearbeitet. VanOsdol hat Linguistik an der Cornell University studiert und ihren Master of Divinity am lutherischen Theologie-Seminar in Philadelphia (USA) absolviert.

 

 

LWF/OCS