Gemeinsames Reformationsgedenken in Lund ist mutiger Schritt auf dem Weg zu vertieften lutherisch-katholischen Beziehungen
Genf, 4. Februar 2016 – Der Präsident und der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Dr. Munib A. Younan und Pfr. Dr. Martin Junge, ermutigen die Mitgliedskirchen der Communio, sich um eine Vertiefung der Beziehungen zur katholischen Kirche weltweit und vor Ort zu bemühen und im gemeinsamen diakonischen Engagement mit den katholischen Geschwistern für Frieden und Versöhnung einzutreten. Im folgenden Interview erläutern sie die Bedeutung des Reformationsgedenkens in Lund für die lutherisch-katholischen Beziehungen weltweit und für den gemeinsamen Dienst an der Welt.
Was macht das Reformationsgedenken in Lund so bedeutsam?
Junge: Dass die katholische und die lutherische Seite im Oktober 2016 gemeinsam des Reformationsjubiläums gedenken, hat historische Tragweite. In Lund kommen wir zusammen, um für die Gaben der Reformation und 50 Jahre des Dialogs miteinander zu danken, um Busse zu tun für das menschliche Leid und die Uneinigkeit der Kirche, die Folgen der Reformation waren, und um uns auf ein gemeinsames Zeugnis in der Welt zu verpflichten.
Wir sind entschlossen, einen Schritt auf die Einheit zu zu unternehmen. Wir wünschen uns Offenheit und Ermutigung für die Überwindung der noch verbleibenden Unterschiede in Praxis und Lehre und für ein Vorangehen in der Überzeugung, dass sie überwunden werden können.
Younan: Der Dialog zwischen dem LWB und dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen wird seit inzwischen fast 50 Jahren geführt. Ein wichtiger Meilenstein dabei war die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre 1999. Besondere Bedeutung hatte dieses Ereignis als Schritt zur Versöhnung. Lund ist nun der nächste Schritt. Nach 500 Jahren erkennen beide Kirchen gemeinsam die Verlässlichkeit des Evangeliums und bekennen, dass wir miteinander als Leib Christi gesandt sind zum Dienst in der Welt.
Was meinen Sie genau, wenn Sie von Einheit sprechen?
Junge: Wir haben uns von lutherischer und katholischer Seite gemeinsam darauf verpflichtet, die sichtbare Einheit zu suchen, wie es unser gemeinsamer Bericht „Vom Konflikt zur Gemeinschaft. Gemeinsames lutherisch-katholisches Reformationsgedenken im Jahr 2017“ formuliert. Das, was uns eint, ist stärker als das, was uns trennt. Wir müssen zukünftig die Themen Kirche, Amt und Abendmahl bzw. Eucharistie noch weiter diskutieren. Die bisher unternommenen Schritte und die Ermutigung, die das gemeinsame Reformationsgedenken bringen wird, werden die Blickrichtung für diese Diskussion vorgeben.
Wenn wir von Einheit sprechen, sprechen wir auch von Versöhnung, von der Überzeugung, dass eine Überwindung der Zersplitterung möglich ist und dass wir voneinander lernen können und lernen werden. Wir sind der Überzeugung, dass es möglich ist, Erinnerungen zu heilen, und wir müssen sie heilen, damit wir gemeinsam unserer verwundeten, zersplitterten Welt dienen können.
Younan: Das Reformationsgedenken in Lund bietet einen wichtigen Anlass für die katholische und lutherische Tradition, sich bewusst zu machen, dass die Versöhnung, zu der Gott uns in Christus ruft, nicht um unserer selbst willen, sondern um der Einheit der Kirche Christi und der Welt willen erforderlich ist. Erinnern wir uns, was Jesus in Johannes 17,20-21 in diesem Zusammenhang sagt:
„Ich bitte aber[, dass] sie alle eins seien…, damit die Welt glaube“. Unsere Beziehungen haben sich im Lauf der Jahre vertieft und wenn die Menschen sehen, dass wir zusammenarbeiten, können sie uns vertrauen.
Ausserdem ist auch wichtig, dass wir nicht nur die Führungsebene des LWB oder der katholischen Kirche anschauen. Hier geht es um die Basis, wo wir gemeinsam Diakonie tun und mehr Vertrauen aufbauen können. LWB-Weltdienst und Caritas, der diakonische Arm der katholischen Kirche, dienen weltweit Menschen in Not. Wir sollten nach Möglichkeiten suchen, wie wir unseren diakonischen Dienst an vielen Orten gemeinsam ausüben können – denken wir etwa an den Nahen Osten, wo die Existenz christlicher Bevölkerungsgruppen bedroht ist, an Malaysia, wo Christinnen und Christen der Gebrauch des Namens Allah verboten ist, an Nigeria, wo extremistische Gruppen Gewalt gegen die christliche Bevölkerung üben, und an die Weltebene, wo es um den Kampf gegen ökonomisches Unrecht und viele Formen des Extremismus, einschliesslich der Islamfeindlichkeit, geht.
Wie wurde der Ort für die Gedenkfeier gewählt?
Junge: Die Entscheidung für Lund haben der LWB und der päpstliche Einheitsrat gemeinsam getroffen. In Lund ist der LWB 1947 entstanden. Im Dom zu Lund haben in den vergangenen 1.000 Jahren katholische und lutherische Gläubige Gottesdienst gefeiert.
Das Reformationsjubiläum wird aber auch in aller Welt gefeiert werden. In Wittenberg, einem Ort mit besonderer Bedeutung für Lutheranerinnen und Lutheraner in aller Welt, haben wir mit dem Luthergarten bereits angefangen, in dem bis 2017 symbolisch für 500 Jahre Reformation 500 Bäume gepflanzt werden sollen. Noch vor der Gedenkfeier in Lund wird der LWB-Rat im Juni dieses Jahres in Wittenberg tagen.
Younan: Im Jahr 2017 geht es dann in Windhuk (Namibia) mit der Zwölften Vollversammlung des LWB weiter. Mit dem Weg, den wir von Wittenberg in den europäischen Kontext hinein und dann in die afrikanische Region - von Wittenberg über Lund nach Windhuk – vollziehen, möchten wir eine Botschaft hervorheben, die wir seit Jahren betonen: die lutherische Reformation ist mittlerweile Weltbürgerin.
Inwiefern hilft das Reformationsgedenken in Lund beiden Seiten, vorwärts zu gehen?
Junge: Manchmal gehen wir Kirchen mit unserer Vergangenheit um, als hätten wir keine Zukunft. Die Feier in Lund ist wichtig, weil wir uns zwar unserer Vergangenheit bewusst bleiben, aber unsere Dialoge nicht vor dem Hintergrund vergangener Erinnerungen und unserer Geschichte führen werden. Meiner Meinung nach wird diese bewusste Verlagerung an und für sich – weg vom Konflikt und hin zur Gemeinschaft – die Art und Weise verändern, wie wir in Zukunft miteinander reden können.
Younan: Die Versöhnung mit der mennonitischen Tradition, die wir 2010 vollzogen haben, ist die Inspiration für das, was wir in Lund tun wollen. Wir haben die Macht der Vergebung und Versöhnung erfahren als höchst ermutigende und frei machende Kraft, durch die wir befreit sind, miteinander zu interagieren, in Verbindung zu stehen, zusammenzuarbeiten und einander zu vertrauen. Wir hoffen, dass uns der Heilige Geist auch weiterhin gemeinsam mit der katholischen Seite führen wird, nach Lund und darüber hinaus.
Wie ist die Nachricht vom Reformationsgedenken in Lund aufgenommen worden?
Junge: Es gab sehr starke, positive Reaktionen sowohl von den Kirchen als auch von den säkularen Medien. Unsere Botschaft in diesem Zusammenhang lautet, dass wir zutiefst davon überzeugt sind, dass wir mit unserer Arbeit für die Versöhnung der lutherischen und der katholischen Tradition gleichzeitig auch beitragen zu Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung in einer Welt, die leidet unter Zersplitterung und der Gewalt unterschiedlicher Gruppen gegeneinander. Ich verstehe die grosse Aufmerksamkeit für diese Nachricht als Hoffnungszeichen, das uns daran erinnert, dass es auch andere Möglichkeiten gibt, mit Unterschieden und Konflikten, die hinter uns liegen, umzugehen.
Derzeit untersuchen wir, wie ein Live-Streaming der Gedenkfeier möglich ist, damit Menschen in aller Welt sie verfolgen können und so teilnehmen können im Gebet, im aufmerksamen Zuhören und dadurch, dass sie sich international aus diesem Anlass versammeln.
Younan: Wir begrüssen die starke Unterstützung und Würdigung, die dem Reformationsgedenken in Lund zuteilwird. Wir wissen natürlich, dass die lutherischen Kirchen weltweit an ganz unterschiedlichen Punkten sind, was ihr Leben und ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit ihrer Beziehung zur katholischen Kirche angeht, und das gleiche gilt für die katholischen Ortskirchen an der Basis. Aber im Bewusstsein für diese Realität wollen wir doch das Streben nach Einheit betonen – die Abkehr vom Konflikt und das Hinarbeiten auf die Einheit zu.