Vorbereitungen für nächste Phase der jüdisch-christlichen Begegnung

02 Febr. 2022
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Garnethill Synagogue in Glasgow. Foto: LWF/Albin Hillert

Garnethill Synagogue in Glasgow. Foto: LWF/Albin Hillert

LWB-Arbeitsgruppe erstellt Studiendokument, das Kirchen für Erneuerung der jüdisch-lutherischen Beziehungen zurüsten soll

GENF, Schweiz (LWI) - Eine Arbeitsgruppe des Lutherischen Weltbundes (LWB) hat jüngst getagt, um an einem Studiendokument zu arbeiten, das die Mitgliedskirchen des LWB für den Dialog mit jüdischen Glaubensgemeinschaften zurüsten soll. Im Kontext der Vollversammlung 2023 in Krakau und darüber hinaus untersucht die Publikation die theologischen und historischen Hintergründe des Dialogs, der langfristig die Beziehungen zwischen christlichen und jüdischen Gläubigen stärken will.

Den Vorsitz der achtköpfigen Arbeitsgruppe hat Dr. Esther Menn, Professorin für Altes Testament/Hebräische Bibel am Seminar für lutherische Theologie in Chicago, inne, die anderen Mitglieder kommen aus lutherischen Kirchen in unterschiedlichen Ländern. Ziel der Arbeitsgruppe ist es, ausführliches, aber anwenderfreundliches Material zu erarbeiten, das sowohl die vergangenen als auch die aktuellen Positionen und Blickwinkel der lutherischen Glaubenstradition in Bezug auf das Judentum zusammenfasst, um konstruktive Beziehungen zwischen den beiden Glaubensgemeinschaften im heutigen Kontext zu fördern. Die Feindseligkeiten des Christentums gegenüber jüdischen Gläubigen seien „eines der tragischsten und brutalsten Kapitel in der langen Geschichte der Kirche“, sagt Pfarrerin Hanna Lehming, Mitglied der Arbeitsgruppe und Beauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland für christlich-jüdischen Dialog. Es habe nicht nur „das Gesicht des westlichen Christentums dauerhaft gezeichnet“, sondern sei von Missionarinnen und Missionaren auch in lutherische Kirchen in aller Welt exportiert worden. Lehming ist überzeugt, dieses Erbe der Feinseligkeiten und des Rassismus sei „eine Katastrophe, die dringend überwunden werden muss“.

Im Rahmen der Vollversammlung vom 13. bis 19. September 2023 werden die Delegierten die nahe des Vollversammlungsortes gelegene Gedenkstätte und das Museum Auschwitz-Birkenau besuchen, wo mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden, die mehrheitlich jüdischen Glaubens waren. Lehming ist überzeugt, dass es „ein Kernanliegen der Kirche und aller ihrer Mitglieder sein“ müsse, sich jeder Form von Rassismus zu widersetzen. Der Kontext, in dem die Vollversammlung stattfinden wird, sagt sie, mache es nur noch dringlicher, dass die Lutheranerinnen und Lutheraner der Welt die Erfahrungen besser verstünden, die die kleine jüdische Gemeinschaft in Polen und andere Minderheiten in der heutigen Welt geprägt haben.

Der polnische Theologe Dr. Jerzy Sojka ist ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe, die im Januar getagt hat, um die Ausarbeitung des Studiendokuments zu beginnen. Er ist in einem kleinen Ort nahe der polnisch-tschechischen Grenze aufgewachsen und hat einen Teil seiner akademischen Laufbahn dem Studium „der dunklen Seiten der Reformationsgeschichte“ gewidmet – einschließlich der antijüdischen Schriften Martin Luthers. Obwohl Polen jahrhundertelang eines der größten und wichtigsten Zentren der jüdischen Kultur in Europa gewesen sei, so Sojka, sei diese florierende Minderheit „durch die Katastrophe der Shoah“ nahezu vollständig ausgerottet worden. Trotzdem sind die Spuren der jüdischen Präsenz auch heute noch fest verwurzelt, sagt er, „und prägen die Identität des Landes und das Bewusstsein der Menschen dort weiterhin".

Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt

Das Dokument, das Anfang kommenden Jahres veröffentlicht werden soll, wird ein wichtiges Hilfsmittel für die Delegierten der Vollversammlung sein, um nicht nur die theologischen Herausforderungen in diesem Zusammenhang, sondern auch die damit verbundenen politischen Themen wie Antisemitismus, christlicher Zionismus und den israelisch-palästinensischen Konflikt besser zu verstehen. Ein weiteres Mitglied der Arbeitsgruppe, Pfarrer Dr. Munther Isaac, Studiendekan am Bibelinstitut in Palästina, fügt hinzu, dass „dieser Studienleitfaden Christinnen und Christen zurüsten soll, die theologische Matrix von Privileg und Überlegenheitsgefühl zu untersuchen, die Antisemitismus sowie andere „Formen von Rassismus [erst ermöglicht], die es in unseren christlichen Kreisen gibt“.

Das Studiendokument wird Teil einer ganzen Reihe von Publikationen  zu diesen Themen sein, die der LWB in den letzten 40 Jahren veröffentlicht hat. Auf der Vollversammlung 1984 in Budapest, das letzte Mal, dass das höchste Entscheidungsgremium des LWB in der Region Mittel- und Osteuropa getagt hat, haben sich die LWB-Mitgliedskirchen förmlich und offiziell von Luthers antisemitischen Schriften distanziert und die Integrität des jüdischen Glaubens bekräftigt. Seither haben darüber hinaus viele Einzelkirchen klare Erklärung der Buße veröffentlicht und damit die schmerzlichen Elemente des lutherischen Erbes in ihrem lokalen Kontext aufgegriffen.

Auch bei der letzten Vollversammlung 2017 in Namibia hat der LWB wieder zu „Frieden mit Gerechtigkeit“ in Palästina und Israel aufgerufen, einschließlich eines freien Zutritts zu den Heiligen Stätten in Jerusalem für jüdische, christliche und muslimische Gläubige. Die Delegierten in Windhuk haben weiterhin erklärt, ihre christliche Berufung „aufs Neue erkennen“ zu müssen, und haben darauf hingewiesen, dass interreligiöse Kompetenz, Dialog und Zusammenarbeit für das Allgemeinwohl „zunehmend wichtige Dimensionen unseres christlichen Zeugnisses in einer multireligiösen Welt“ seien.

Vertrauensvolle Beziehungen aufbauen

Alle Mitglieder der Arbeitsgruppe betonen, dass der christliche Glaube ohne Wissen über das Judentum, seine Schriften, Traditionen und den palästinensischen Kontext im 1. Jahrhundert, in dem Jesus gewirkt habe, nicht wirklich verstanden werden könne. Eingedenk dieser Tatsache kommen die Mitglieder der LWB-Arbeitsgruppe auch mit jüdischen Rabbinerinnen und Rabbinern und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, um sich ihre Geschichten anzuhören und sich über ihre Gedanken zu informieren, wie neue und von Respekt und Vertrauen geprägte Beziehungen aufgebaut werden könnten.

„Eine große Stärke dieser Expertinnen- und Expertenrunde“, erklärt Pfr. Dr. Sivin Kit, Programmreferent des LWB für Öffentliche Theologie und Interreligiöse Beziehungen und Koordinator der Arbeitsgruppe, „sind die vielfältige Kontexte und das theologische Wissen“, für das die verschiedenen Mitglieder stünden. „Wir wissen, dass sich einige Mitgliedskirchen schon seit Langem mit den Themen rund um die jüdisch-christlichen Beziehungen beschäftigen, während es anderen aufgrund der sehr geringen jüdischen Präsenz in ihrem Kontext schwerer fällt, sich diesem Thema zuzuwenden“, sagt Kit weiter.

„Ziel dieser Publikation ist es in erster Linie, eine solide Grundlage für die Delegierten zu schaffen, die sich bald auf den Weg nach Krakau machen. Aber langfristiger betrachtet sehen wir sie auch als Chance, eine Vielzahl von Erfahrungen und bewährten Praktiken zusammenzutragen, um alle Mitgliedskirchen zuzurüsten, damit diese konstruktive interreligiöse Beziehungen und ein von Hoffnung geprägtes christliches Zeugnis in unserem gemeinsamen öffentlichen Raum fördern können.“

 

Die Mitglieder der LWB-Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des Studiendokuments sind: Prof. Dr. Esther Menn (Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika), Ebisse Gudeta Abdissa (Äthiopische Evangelische Kirche Mekane Yesus), Pfr. Dr. Jerónimo Granados (Evangelische Kirche am La Plata), Pfarrerin Hanna Lehming (Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland), Pfr. Steinar Ims (Norwegische Kirche), Pfr. Dr. Munther Isaac (Evangelisch-Lutherische Kirche in Jordanien und im Heiligen Land), Dr. Jerzy Sojka (Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen), Pfr. Dr. Andreas Wöhle (Protestantische Kirche in den Niederlanden).

LWB/P. Hitchen