Während des Bosnienkriegs war sie selbst Flüchtling, heute ist sie Gründerin und CEO eines Integrationszentrums, das andere Menschen unterstützen will, die vor Krieg und Konflikten fliehen und Schutz suchen – das ist die Geschichte von Sanela.
Sanela Klepić, Gründerin und CEO des Integrationszentrums „INTERGreat Daily“ in Sarajewo
(LWI) – „Sarajewo ist eine ganz besondere Stadt, in der katholische und orthodoxe Kirchen, Moscheen und Synagogen ganz nah beieinander sind. Es ist eine freundliche und offene Stadt.“ Deshalb hat sich Sanela Klepić entschieden, ihr Integrationszentrum für Asylsuchende und andere Menschen auf der Flucht genau im Herzen dieser Stadt, der multikulturellen, multireligiösen Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina zu eröffnen.
„Meistens sind die Einrichtungen für diese Menschen in den Außenbezirken einer Stadt – isoliert und versteckt“, sagt sie. „Die Menschen werden immer noch als Problem für die Sicherheit gesehen und nicht als Familien und Menschen, die einfach nur arbeiten und Teil ihrer neuen Heimatstadt werden wollen. Wir brauchen Menschen, die arbeiten, deshalb müssen wir ihnen eine Chance geben, und wenn sie integriert sind, wird es auch weniger Probleme für die Gesellschaft geben, in der sie leben.“
Klepić spricht aus Erfahrung. Sie ist im Norden von Bosnien aufgewachsen, als es noch zu Jugoslawien gehörte. Als 1992 Krieg ausbricht, flieht sie mit ihrer Familie und kommt als Flüchtling in die Schweiz. In der neuen Folge der Podcast-Reihe „Living as Neighbours“ (in guter Nachbarschaft zusammenleben), die vom Lutherischen Weltbund in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „A World of Neighbours“ produziert wird, erzählt sie ihre Geschichte.
Flucht vor Krieg
„Ich erinnere mich noch gut an meine Kindheit in Bosnien, aber als ich zehn war, mussten wir in ein mir vollkommen fremdes Land fliehen. Ich begann, mich in der Schule in der Schweiz in dieses neue Leben zu integrieren, aber 1996 hatten wir dann das Gefühl, dass unser Heimatland uns brauchte, und wir wollten auch zurückkehren, um wieder in der Nähe vom Rest unserer Familie zu sein.“
Also zog Klepić zurück nach Ključ im Norden von Bosnien, einen kleinen Ort an der Grenze zwischen den neu geschaffenen serbischen und bosnischen Bundesstaaten des Landes. Sie wurde Lehrerin und arbeitete zusammen mit ihrem Vater, der Polizist und in der örtlichen Gemeinschaft sehr angesehen war, ehrenamtlich beim Roten Kreuz.
Eines Tages im November 2018, als sie gerade mit einer Freundin Kaffee trank, nahm ihr Leben eine abrupte Wendung. Sie sah das Blaulicht von vielen Polizeifahrzeugen und Männer, die nur wenige hundert Meter von ihrem Haus einen Grenzübergang errichteten. Als sie gingen, um nachzufragen, was vor sich gehe, wurde ihnen klar, dass die Grenze geschlossen wurde, um Flüchtlinge und Migrantinnen und Migranten davon abzuhalten, die Stadt Bihać zu erreichen und damit über das benachbarte Kroatien nach Europa zu gelangen.
Nothilfe wird zu organisierter Unterstützung
„Wir konnten nicht, glauben was passierte: Wir sahen, dass die Polizei alle Busse anhielt und Menschen nach bestimmten Kriterien herauszog – Hautfarbe, Kinder und schwangere Frauen, alte und kranke Menschen, ja sogar Menschen mit Aufenthaltspapieren als Asylsuchende – sie alle wurden aus den Bussen geholt und einfach auf der Straße zurückgelassen“, erinnert sie sich. „In der ersten Nacht waren dort etwa 50 Menschen; wir haben Decken gebracht und etwas zu essen und haben ein Feuer angezündet, damit sie in der Eiseskälte nicht erfrieren würden.“
„Sie wurden einfach auf einem Feld am Straßenrand zurückgelassen, hatten keine Chance, ihre Reise fortzusetzen, konnte aber auch nicht zurück nach Sarajewo. Die Polizei sagte uns, es sei verboten, diese Menschen mit zu uns nach Hause zu nehmen, also bauten mein Vater, der zu diesem Zeitpunkt schon im Ruhestand war, und ich ein Zelt auf. Aber das war nicht groß genug für alle. Als nächstes haben wir in der Nähe eine Garage gefunden, in der die Menschen wenigstens Schutz vor Regen und Schnee fanden, aber ich weiß bis heute nicht, wie wir diesen ersten Winter überstanden haben.“
Als immer mehr Menschen kamen, nahmen Klepić und ihr Vater Kontakt zum Roten Kreuz in Bihać auf, aber das Rote Kreuz war schon mit den vielen Neuankömmlingen dort vollkommen überlastet. Also begann Klepić in den sozialen Medien zu posten und es viele freiwillige Helferinnen und Helfer boten Hilfe an und brachten Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, warme Kleidung und Decken.
Im folgenden Frühjahr beaufsichtigten Klepić und ihr Vater den Bau einer größeren festen Unterkunft mit Toiletten, Duschen, einer vernünftigen Müllentsorgung und Solarmodulen, damit die Menschen ihre Handys aufladen können. Immer und immer wieder stießen sie auf den Widerstand der Menschen und auch der Polizei, aber Klepić blieb hartnäckig in ihrem Engagement für die Rechte der Geflüchteten. „Sie haben vielleicht keine Ausweispapiere, aber sie haben Menschenrechte. Sie haben das Recht auf eine Toilette, auf Essen und auf einen Schlafplatz“, betont sie.
Weil tausende weitere Menschen kamen, kamen auch weitere Organisationen, um ihre Arbeit zu unterstützen. Aber Klepić wusste, dass es eine längerfristige Lösung für die Geflüchteten brauchte, denn viele von ihnen wollten in Bosnien bleiben. Sie brauchten Hilfe beim Erlernen der Sprache, der Jobsuche, der Eröffnung eines Bankkontos, der Wohnungssuche und weiterer grundlegender Fähigkeiten, um sich in ihrem neuen Lebensumfeld zurechtzufinden.
2021 zog Klepić nach Sarajewo und gründete das Integrationszentrum „INTERGreat Daily“, in dem eine ganze Reihe von Unterstützungsleistungen sowie Rechtsberatung und psychosoziale Unterstützung für die vulnerabelsten Menschen auf der Flucht angeboten wird. Viele der Menschen haben inzwischen Arbeit und eine Wohnung gefunden und damit die Chance, sich ein neues Leben in Bosnien aufzubauen. „Die meisten Menschen wissen nicht, wie es sich anfühlt, auf der Flucht zu sein, warum Menschen ihre Heimat verlassen, kennen die Traumata nicht, die sie erleben“, sagt Klepić. „Ich sage ihnen immer: Hört euch ihre Geschichte an – das wird euer Leben verändern.“