„Frei sein in Christus“ 25 Jahre nach der Wende
(LWI) – Mit einem Aufruf zu verantwortlicher Nutzung von Freiheit beendete LWB-Generalsekretär Pfr. Martin Junge die Christlichen Begegnungstage in Breslau. In seiner Predigt in der Maria-Magdalenen-Kathedrale am 6. Juli 2014 rief er die Gemeinde auf, 25 Jahre nach der politischen Wende nicht aus Furcht vor den Herausforderungen, die mit der Freiheit einhergehen, zurückzuschrecken. „Es ist an der Zeit an der Freiheit festzuhalten und weitere Schritte voranzugehen, anstatt zurückzugehen“, so Junge. Nicht die Freiheit, sondern ihre missbräuchliche Nutzung sei für schwierige soziale Situationen wie Massenarbeitslosigkeit unter Jugendlichen, Konflikte zwischen Völkern oder die Bedrohung der Schöpfung verantwortlich. Im christlichen Verständnis, betonte Junge, fände Freiheit ihre wahre Natur nur, „wenn sie verbunden ist mit dem Dienst der Liebe an unserem Mitmenschen.“
„Frei sein in Christus“
Über 5 000 Menschen aus zwölf Ländern nahmen vom 4. bis 6. Juli 2014 an den 9. Begegnungstagen von ChristInnen aus Mittel- und Osteuropa teil. Das Treffen stand unter der Losung „Frei sein in Christus“ (Galater 5,1), die besonders vor dem Hintergrund des Wandels in der Region seit dem Fall des Kommunismus beleuchtet wurde. Die Begegnungstage sollen einen „Meinungsaustausch unterschiedlicher lokaler Traditionen“ darstellen, erklärte der gastgebende Bischof Ryszard Bogusz der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen während der Eröffnung am Freitagabend.
In vielen Workshops, Mitmachangeboten und Jugendkonzerten wurden die Begegnung und der Meinungsaustausch mit Diskussionen, Gesang und Gebet gelebt. Verständigung gelang über alle Sprachbarrieren hinweg in und um die Breslauer Jahrhunderthalle. Eine Vielzahl von Konzerten, ein Sportprogramm für Jugendliche und ein Markt der Möglichkeiten lebten von der Mitwirkung aller Teilnehmenden. Diese waren aus den Nachbarländern oder auch von weiter her angereist. Daneben freute sich die Polnische Kirche über viele VertreterInnen der Ökumene, ausländische BotschafterInnen und Ehrengäste.
Bibelarbeiten, Vorträge, Diskussionen
Der Samstag begann mit Bibelarbeiten zu der Losung des Treffens. Sachsens Landesbischof Bohl kritisierte in seiner Bibelarbeit den Leistungsdruck, der manchmal mit Freiheit einherginge. „Es gibt grosse Versuche, statt sich das Heil von Gott schenken zu lassen, es sich selber zu verdienen“, so Bohl. Die Freiheit sei aber auch als solches ein Gottesgeschenk und muss „in Verantwortung gelebt werden“.
Ein Höhepunkt der Tage war der Hauptvortrag des ehemaligen polnischen Premierministers und Präsidenten des Europäischen Parlamentes, Jerzy Buzek. Er hob die historische Leistung der Kirchen hervor, die sie im politischen Wandel in Osteuropa erbracht hätten. „Unser Kontinent wurde auseinandergerissen und die Zivilgesellschaft war ohne institutionellen Rückhalt. Der einzige institutionelle Rückhalt war oft die Kirche.“
Die europäische Einigung sei ein einmaliger Prozess, der Frieden, Freiheit und Wohlstand bringe. Dafür seien damals und heute die Kirche mit ihrem moralischen Kompass wichtig. Für Buzek ist die aktuelle europäische Krise nämlich nicht nur eine ökonomische Krise, sondern auch eine Krise der Werte. „Eine Freiheit ohne moralische Regeln kann schädlich sein“, erklärte Buzek und verwies auf Situationen, in denen sich der Wohlstand einiger von dem Wohl der Allgemeinheit abkoppele.
Frauen der Reformation und heute
Das Programm der Tagung war bewusst bunt und lebendig gehalten. So portraitierten in einem Diskussionsforum zum Thema „Frauen der Reformation“ Mitwirkende in historischer Kleidung Frauen der Reformationszeit und stellten ihr aussergewöhnliches Wirken vor. Der Generalsekretär des LWB, der an der Veranstaltung teilnahm, betonte die Bedeutung der Frauen in der Reformationszeit mit einem englischen Wortspiel: „Wir wollen uns 2017 nicht nur mit der his-story [‚seine‘ Geschichte] der Reformation befassen, sondern auch mit der her-story [‚ihre‘ Geschichte]. Danke für die heute vorgestellten ‚her-stories‘.“ Zur gleichen Frage nahm Agnieszka Godfrejow-Tarnogorska, die Koordinatorin des LWB-Frauennetzwerks der Region Mittel- und Osteuropa, Stellung. Sie unterstrich, dass in einer Kirche der andauernden Reformation „die Rolle der Frau […] nicht nur eine Frage der Vergangenheit, sondern auch der Gegenwart“ sei.
Ökumenische Fragen
Generalsekretär Junge nahm am Samstagabend auch an einer Podiumsdiskussion teil, die einen ökumenischen Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 warf. Er widersprach der Ansicht, die Unterschiede zwischen lutherischer und katholischer Kirche seien fast unüberwindbar: „Das Dialogdokument ‚Vom Konflikt zur Gemeinschaft‘ enthält mehr abgearbeitete als offene Themen“, unterstrich Junge. An den ungeklärten Themen Amt, Eucharistie und Kirchenverständnis arbeite man gemeinsam weiter. „Es liegt uns an der Einheit. Es muss uns an der Einheit liegen“, fasste der LWB-Generalsekretär die ökumenische Verpflichtung des LWB zusammen.
Ein Treffen zwischen dem Polnischen Nationalkomitee des Lutherischen Weltbundes und dem Vizepräsident Tamás Fabiny und LWB-Generalsekretär Junge fand ebenfalls während der 9. Begegnungstage statt. Fabiny und Junge würdigten die Arbeit des Nationalkomitees, mit der die Übersetzung der LWB-Arbeit auf die nationale polnische Ebene unterstützt wird.
Nächste Begegnungstage 2016 in Ungarn
Am Sonntag, den 6. Juli 2014 endeten die Begegnungstage mit einem Abschlussgottesdienst in Breslau sowie sieben Gottesdiensten auf den Heimwegen der Teilnehmenden. Seit 1991 organisieren Kirchen aus der Region alle zwei Jahre die Begegnungstage. Die Anzahl der beteiligten Länder und der BesucherInnen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Das nächste Treffen ist für 2016 geplant: Dann lädt die Evangelisch-Lutherische Kirche in Ungarn zu den 10. Begegnungstagen nach Budapest ein.