Neue Wege zur Einheit der Christinnen und Christen suchen

27. Mai 2021
Foto: Michaela Murphy, Unsplash

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Konferenz zum Thema „Stolpersteine und Sprungbretter: Gemeinsam an Versöhnung arbeiten“

GENF, Schweiz (LWI) – Welches Ziel verfolgen lutherische, anglikanische und katholische Kirchen auf dem Weg hin zu einer erneuerten Einheit von Christinnen und Christen? Hat sich dieses Ziel durch die ökumenischen Dialoge der letzten 50 Jahre verändert? Bestehen die Hürden lediglich zwischen den verschiedenen weltweiten Kirchengemeinschaften oder sind sie vielleicht zunehmend innerhalb der jeweils eigenen Kirchen zu suchen?

Mit diesen und weiteren schwierigen Fragen haben sich die Teilnehmenden an einer Online-Konferenz der Anglikanisch-Lutherischen Gesellschaft am 21. Mai beschäftigt, die unter der Überschrift „Stolpersteine und Sprungbretter: Gemeinsam an Vergebung und Versöhnung arbeiten“ stand. Der Assistierende Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB) für Ökumenische Beziehungen, Dirk Lange, und der finnische Bischof emeritus Eero Huovinen, Co-Vorsitzender der internationalen Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit, haben sich mit anglikanischen und katholischen Kolleginnen und Kollegen darüber ausgetauscht und diskutiert, wie eine engere Gemeinschaft von Christinnen und Christen erreicht werden kann.

Vor der Online-Debatte hatte Bischof Huovinen als einer von vier Ökumene-Expertinnen und -Experten einen schon zuvor aufgezeichneten Vortrag zu den zentralen Fragen eines Dialogs und kirchlicher Identität gehalten. Der ehemalige Bischof von Helsinki hob dabei die jüngsten Schritte auf dem gemeinsamen Weg „vom Konflikt zur Gemeinschaft“ der lutherischen und der römisch-katholischen Kirchen hervor und unterstrich, dass Luther und die Reformation „keine neue Kirche gegründet“ hätten. Vielmehr habe Luther auf „den Glauben der Apostel und den Glauben der frühen ungeteilten Kirche“ aufgebaut.

Kirchliche Identitäten infrage stellen

Im Hinblick auf aktuelle Hürden warf Huovinen Fragen hinsichtlich der internen Debatten und Spannungen bezüglich der kirchlichen Identität auf, so zum Beispiel die Frage: „Warum fürchten wir Lutheranerinnen und Lutheraner uns zuweilen so sehr davor, von der Kirche als einer sakramentalen Entität zu sprechen?“ Weiterhin sprach er über die Schwierigkeiten, die es bereite, dass die katholische Kirche die Kirchen der Reformation als „nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ beschreibe, und rief beide Konfessionen dazu auf, noch tiefergehend über das eigene Selbstverständnis nachzudenken.

Auch zwei katholische Fachleute – Susan Wood, Studiendekanin am Regis College der Universität Toronto, und Erzbischof Bernard Longley aus Birmingham im Vereinigten Königreich, – und der Stellvertretende Generalsekretär und Direktor des Bereichs Einheit, Glauben und Kirchenverfassung der Anglikanischen Kirchengemeinschaft, Will Adam, hielten im Vorfeld aufgezeichnete Vorträge. Neben diesen vier Podiumsgästen nahmen an der von Bischöfin Jana Jeruma-Grinberga von der Lettischen Evangelisch-Lutherischen Kirche im Ausland in Großbritannien geleiteten Diskussion auch Lange und Bischof Brian Farrell, Sekretär des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, teil.

Lange sprach über die bedeutenden ökumenischen Meilensteine, die durch Dialoge in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden, und wies darauf hin, dass Fortschritte immer dann gemacht würden, wenn Glaubensgemeinschaften ihr eigenes Selbstverständnis kritisch in den Blick nehmen würden. Bei der Erarbeitung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, sagte er, hätten die lutherischen und die katholische Kirche ihre eigenen Lehraussagen kritisch unter Berücksichtigung des historischen Kontextes, neuerer bibelwissenschaftlicher Erkenntnisse, neuster theologischer Entwicklungen und kontextabhängiger Lebensrealitäten betrachtet.

Das Streben nach der Einheit von Christinnen und Christen, erklärte er weiter, sei „notwendigerweise immer auch verbunden mit dem Streben nach und der kontinuierlich Erneuerung der eigenen kirchlichen Identität“. Offen zu sein für Veränderung und Verwandlung sei schwierig, betonte er, „weil die eigene kirchliche Identität sehr eng verbunden ist mit dem eigenen spirituellen Erbe, [...] dem Wirken des Heiligen Geistes in der eigenen Vergangenheit und Geschichte als Kirche, als Bewegung mit einem gemeinsamen Glaubensbekenntnis, als Gemeinschaft“. „Für Einzelpersonen ist Verwandlung möglich“, sagte er, aber „wir müssen uns fragen, welche Form Verwandlung bei einer Institution annehmen kann?“

Farrell sprach über die „einschüchternde Aufgabe“, vor der die verschiedenen Dialogpartner heute stünden, und sagte, dass sie im Laufe der Jahre begonnen hätten, Divergenzen als „Temposchwellen“ zu verstehen, die zwar vielleicht das Vorankommen verlangsamen, aber den Kirchen helfen könnten, „eine neue Hermeneutik der Verschiedenheit“ zu entwickeln. Er verwies auf die 23 katholischen Ostkirchen, die zwar eigene Liturgien und eigenes geltendes Recht hätten, aber dennoch in voller Kirchengemeinschaft mit Rom seien, und fragte, nach welchem Modell der „vollen, sichtbaren Einheit“ die ökumenische Bewegung strebe.

Theologie hinkt Praxis hinterher

Wood, eine Veteranin der Dialoge zwischen lutherischen, orthodoxen und baptistischen Kirchen auf lokaler sowie internationaler Ebene, konzentrierte sich auf die Notwendigkeit einer „umfassenderen Anerkennung des Amtes“ zwischen den großen etablierten Kirchen. Sie nahm den Gedanken von Bischof Farrell auf und erklärte, dass die Theologie mit den Entwicklungen in der Praxis nicht Schritt gehalten habe, die eingetreten seien, weil Christinnen und Christen verschiedener Konfessionen zunehmend gemeinsam Gottesdienst feiern und Zeugnis ablegen würden. Sie erinnerte daran, dass Papst Franziskus der lutherischen Kirche in Rom bei einem Besuch einen Abendmahlskelch als Geschenk überreicht habe, und sagte: „Wir müssen auf diese Gesten hören“ und Möglichkeiten und Wege finden, die „legalistische Anerkennung des Amtes der jeweils anderen“ zu umgehen.

Die Teilnehmenden der Online-Konferenz unterstrichen, wie wichtig eine deutlich bessere Rezeption der bereits erreichten ökumenischen Übereinkommen und Vereinbarungen sei, und riefen dazu auf, diese in die Lehrpläne der theologischen Seminare, Universitäten und Schulen aufzunehmen. Demut und die Bereitschaft, von anderen zu lernen, sei ein wesentlicher Teil dieses Prozesses. Adam hob den Erfolg des Modells einer „rezeptiven Ökumene“ hervor, das derzeit im anglikanisch-katholischen Dialog verfolgt würde; nach diesem Modell fragen Kirchen sich selbst, was in der jeweils eigenen Glaubenstradition fehle und was sie vielleicht nutzbringend von anderen Konfessionen annehmen könnten.

Longley sprach über aktuelle Herausforderungen und Unsicherheiten und zitierte den Heiligen Hieronymus, der gesagt hatte, dass alle, die die Segel nach dem Heiligen Geist aufspannen, nie sicher wüssten, „an welchem Ufer wir landen werden“. Lange pflichtete ihm bei und sagte, dass das Fehlen eines klar definierten Ziels der sichtbaren Einheit „für unseren gemeinsamen Weg nicht nachteilig ist“. Vielmehr seien wir dadurch motiviert und ermutigt, nach Einheit zu streben, und zu improvisieren und Möglichkeiten und Wege für das gemeinsame Vorankommen als Weltgemeinschaften zu finden – immer im Vertrauen darauf, dass Einheit so bestehe, wie Gott es wolle und uns durch den Heiligen Geist schenke.

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller