
Angesichts der Erosion demokratischer Werte erinnert LWB-Präsident Henrik Stubkjær die Kirchen an ihre Berufung, sich für die Menschenwürde und integrative Gemeinschaften einzusetzen. Foto: VELKD/Frank Hofman
Stubkjær unterstreicht bei Treffen mit deutschen Kirchenleitenden Verantwortung der Kirchen, um Demokratie und Menschenwürde zu verteidigen
(LWI) – Die Rolle der Kirchen sei es, die Demokratie zu verteidigen und den Menschen in schwierigen Zeiten Hoffnung zu machen. Das war der zentrale Punkt einer Rede vom Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB), dem dänischen Bischof Henrik Stubkjær, vor Mitgliedern der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) bei einer Tagung in Wien, Österreich, am 1. März.
Der LWB-Präsident beleuchtete, wie die weltweite Kirchengemeinschaft und ihre Mitgliedskirchen in der Vergangenheit auf Gewaltandrohungen und Verletzungen der Menschenwürde reagiert haben. Er erinnerte an Worte des deutschen Theologen und Pastors Dietrich Bonhoeffer, der zur Zeit des Aufstiegs der Nationalsozialisten geschrieben habe, die Aufgabe der Kirche im öffentlichen Raum umfasse drei Aspekte: die Verkündigung des Evangeliums, Alarm zu schlagen, wo Böses zum Vorschein kommt, und im Dialog mit anderen guten Rat zu geben, um effektive Lösungen zu finden.
Er verwies auf die Erosion demokratischer Grundwerte in vielen Teilen unserer heutigen Welt und unterstrich, dass das Eintreten für „Demokratie, öffentliches Zeugnis und Hoffnung eng verknüpft ist mit der Art und Weise, wie wir lutherischen Kirchen die komplexen Herausforderungen unserer Zeit angehen“. Als Gemeinschaft von 150 Kirchen in 99 Ländern betonte er auch, wie wichtig es sei, anzuerkennen, dass diese Kirchen in sehr unterschiedlichen politischen Kontexten wirken. Viele Kirchen seien religiöse Minderheiten, erklärte er, „wodurch ihr demokratisches Zeugnis zugleich komplex und mutig ist“.
Trennung von Kirche und Staat
Ein zweiter Gedanke, den Stubkjær in Wien formulierte, bezog sich auf das Phänomen in jüngerer Zeit, dass Demokratien in vielen Ländern Europas, in den USA und in Lateinamerika durch den Aufstieg von populistischen rechtsgerichteten Parteien „von innen heraus zersetzt“ würden. Die Herausforderung hier sei besonders tückisch, erklärte er, weil gerade jene Kräfte auf das Wort „Demokratie“ pochten, „die eigentlich antidemokratische Strukturen aufbauen wollen“. Das stelle die Kirchen vor die Herausforderung, „nicht nur genauer erläutern zu müssen, was demokratische Strukturen sind, sondern auch was eine demokratische Kultur bedeutet“, unterstrich er.

LWB-Präsident Henrik Stubkjær diskutierte mit lutherischen Kirchenleitenden aus Deutschland über Kirche und Demokratie. Foto: VELKD/Frank Hofman

Lutherische Kirchenleitende aus Deutschland, der Tschechischen Republik und dem Vereinigten Königreich diskutieren über Demokratie und Kirche. Foto: VELKD/Frank Hofman
Drittens sprach der LWB-Präsident über das theologische Verständnis einer Trennung von Kirche und Staat, wie Martin Luther es in seiner Lehre von den „zwei Reichen“ – dem weltlichen und dem geistlichen – beschrieb. Zwar sollten die Kirchen sich nicht einfach in weltliche Angelegenheiten „einmischen“, aber dennoch, so betonte er, hätten sie „eine prophetische Verantwortung, die Machthabenden daran zu erinnern, dass sie sich vor Gott verantworten müssen, und die prophetische Verantwortung, sich beständig für Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Frieden einzusetzen“.
Stubkjær erklärte, diese drei Überlegungen verlangten einen klaren Aktionsrahmen, der in der LWB-Erklärung „Die Kirche im öffentlichen Raum“ dargelegt sei. Das Dokument aus dem Jahr 2016, sagte er, sei ein Aufruf, der über alle Parteipolitik hinausgehe und die Kirchen daran erinnere, dass sie „von Gott berufen sind, Kräfte der Verwandlung in der Welt zu sein; aufgerufen, ihre institutionelle Komfortzone zu verlassen und prophetisch präsent zu sein inmitten der Notschreie und der Hoffnungen, die ihre lokalen und globalen Kontexte ausmachen“.

LWB-Präsident Henrik Stubkjær und LWB-Vizepräsidentin für Mittel- und Westeuropa, Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt. Foto: VELKD/Frank Hofman
Kirchen müssen „selbstkritisch und transparent“ sein und „Vorbilder in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Verantwortung, die wir von demokratischen Institutionen erwarten.
LWB-Präsident Henrik Stubkjær
Der in dieser Erklärung abgesteckte Aktionsrahmen könne helfen, sich in dem „komplexen Feld der Advocacy-Arbeit für Demokratie in diversen Kontexten“ zurechtzufinden, sagte Stubkjær. Er unterstreiche die Rolle der Kirche beim Eintreten für Verhältnisse und Bedingungen, die Demokratie möglich machten: gleichen Zugang zu Gemeingütern und Entscheidungsgewalt, Sicherheit für alle Menschen, insbesondere die vulnerablen, und die sinnstiftende Teilhabe aller gesellschaftlicher Gruppen.
Des Weiteren erinnere die Erklärung die Kirchen, „selbstkritisch und transparent“ zu sein und „Vorbilder in Bezug auf die Rechenschaftspflicht und Verantwortung, die wir von demokratischen Institutionen erwarten“, so Stubkjær. Schließlich warnte sie davor, religiöse oder politische Ideologien den öffentlichen Raum dominieren zu lassen, sie „bekräftigt Pluralität und tritt ein für Menschenwürde“.
Die Welt durch die Brille der Hoffnung betrachten
Der LWB-Präsident sprach des Weiteren über den zentralen Stellenwert von Hoffnung, nicht in Form eines „naiven Optimismus in Bezug auf die Zukunft, sondern als theologisches Fundament für eine realistische Auseinandersetzung mit den Herausforderungen von heute“. Hoffnung gebe uns „den Mut, für Menschenwürde einzutreten, wenn die Demokratie bedroht ist“, „die Weitsicht und Weisheit, vorzuleben, was es heißt, eine inklusive Gemeinschaft zu sein, wenn die Polarisierung in den Gesellschaften zunimmt, und das Durchhaltevermögen im Engagement für Gerechtigkeit, wenn Fortschritte weit entfernt scheinen“.
Stubkjær hob hervor, dass die LWB-Strategie den Titel „Hoffnung Schenken“ trage, und skizzierte die vier darin genannten Arbeitsschwerpunkte – Verantwortungsbewusste Theologie, Lebendige Kirchen, Gerechtigkeit und Frieden sowie Dienst an den Nächsten und Menschenwürde – und wie diese zur Aufgabe beitrügen, die Demokratie zu verteidigen. Er nannte konkrete Beispiele aus der Arbeit des LWB zu diesen vier Arbeitsschwerpunkten und schloss mit Worten aus der Abschlussbotschaft der Dreizehnten LWB-Vollversammlung in Krakau: „Hoffnung ist das Objektiv, durch das wir als Nachfolgende Christi, die gemeinsam Richtung Zukunft unterwegs sind, die Welt betrachten.“