Engagement für Menschenrechte als Grundprinzip

10. Dez. 2021
Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit des LWB. Foto: LWB/S. Gallay

Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit des LWB. Foto: LWB/S. Gallay

Im Interview: Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit des LWB

GENF, Schweiz (LWI) – Jedes Jahr am 10. Dezember wird weltweit der Tag der Menschenrechte begangen. Für den Lutherischen Weltbund (LWB) ist das Engagement für Gerechtigkeit eine grundlegende Berufung, zu der er sich verpflichtet hat. Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit, spricht im Interview über die besondere Rolle des LWB in der Menschenrechtsarbeit.  

Hat sich der LWB schon immer in der Advocacy-Arbeit engagiert? 

Als der LWB 1947 gegründet wurde, war eine seiner wichtigsten Zielsetzungen die Linderung menschlichen Leids. Ich würde sagen, in dem Moment begann das Engagement des LWB im Bereich der Advocacy-Arbeit. Am Anfang stand die Überzeugung, dass menschliches Leid durch den Dienst am Nächsten gelindert werden und die Ursachen für das herrschende Leid bekämpft werden können. Die Herangehensweisen wurden im Laufe der Jahre weiterentwickelt; heute wird ein Ansatz verfolgt, der sich auf die Achtung der Menschenrechte stützt und in der lutherischen Theologie verwurzelt ist. Die Advocacy-Arbeit verknüpft heute nicht nur unsere religiöse Identität und die Menschenrechte miteinander, sondern mobilisiert auch die Mitgliedskirchen in aller Welt, ihre prophetische Stimme zu erheben und mit Entscheidungstragenden auf allen Ebenen in Kontakt treten.

Das Referat, das beim LWB federführend für diese Arbeit zuständig ist, heißt „Engagement für Gerechtigkeit“ – woher kommt dieser Name? 

Der Name geht auf die Überzeugung zurück, dass Advocacy-Arbeit immer auch mit praktischem Engagement zu tun hat. Es geht um Menschen, die gemeinsam ein Ziel verfolgen. Dieses Ziel ist Gerechtigkeit für alle. Das Referat „Engagement für Gerechtigkeit“ (Action for Justice) wurde als Zentralstelle des LWB für Advocacy-Arbeit eingerichtet. Die Hauptaufgabe dieses Referats ist es, die Advocacy-Arbeit der Mitgliedskirchen und der Länderprogramme des LWB-Weltdienstes zu koordinieren, zu unterstützen und zu vernetzen.

Das geschieht zunächst auf lokaler Ebene und wird dann auf die globale Ebene gebracht, wo wichtige politische Entscheidungen getroffen und Strategien beschlossen werden. Von zentraler Bedeutung ist, dass man Advocacy-Arbeit nicht nur als Reden und Theorien versteht, sondern dass Advocacy-Arbeit aktives Engagement von Menschen ist, die etwas bewegen wollen. Je mehr wir in unserer Advocacy-Arbeit im LWB gewachsen sind, desto besser haben wir verstanden, dass die Rechteinhaberinnen und -inhaber und die Gemeinwesen, denen wir dienen, den Willen, die Kraft und die Fähigkeit haben, sich selbst für Gerechtigkeit einzusetzen. Unsere Aufgabe ist es vor allem, sie zu unterstützen und an ihrer Seite zu stehen.

Können Sie uns den Ansatz des LWB für die Advocacy-Arbeit erläutern? 

Der LWB verfolgt einen dreigleisigen Ansatz in der Advocacy-Arbeit. Die erste Schiene ist der Ansatz, der sich auf die Achtung der Menschenrechte stützt; wir arbeiten mit den Menschen, den Rechteinhaberinnen und -inhabern zusammen, um sie zuzurüsten, dass sie die Achtung ihrer Menschenrechte selbst von den Verantwortlichen einfordern können. Wir nennen sie „duty bearer“, also diejenigen, die Pflichten haben.  

Die zweite Schiene ist die Verankerung unserer Advocacy-Arbeit in Glaube und Theologie. Wir setzen die in unserem Glauben verankerten Werte und unsere im Glauben wurzelnde Identität praktisch um und lassen diese unsere Advocacy-Arbeit prägen. Man könnte sagen, wir betrachten die Menschen durch die Brille der lutherischen Theologie als Ebenbilder Gottes, die eine von Gott gegebene Würde besitzen. Deshalb tritt ihre Würde in den Vordergrund, wenn wir uns mit ihnen zusammen oder in einigen Fällen in ihrem Namen in der Advocacy-Arbeit engagieren. Wir verstehen Advocacy als wichtigen Bestandteil unserer ganzheitlichen Mission und unserer Berufung. Wir engagieren uns mit großer Demut und in dem Bewusstsein, dass wir nur ein Teil eines größeren Ganzen sind, in dem wir nur unseren jeweiligen Teil beitragen und uns gemeinsam für Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung engagieren. 

Die dritte Schiene ist der Ansatz, dass wir von der lokalen Ebene auf die globale Ebene und wieder zur lokalen Ebene zurückgehen. Unsere Advocacy-Arbeit beginnt auf der lokalen Ebene – dort, wo die Menschen leben, wo ihre Lebensgrundlage verankert ist. Von dort geht es auf die nationale, regionale und schließlich die globale Ebene, wo politische Entscheidungen getroffen und Strategien beschlossen werden. Aber dort endet die Advocacy-Arbeit nicht, denn wir müssen sie zurückführen auf die lokale Ebene, zurück zu den Menschen. Das bedeutet zwangsläufig, dass die Menschen und Gemeinwesen, denen wir dienen wollen, im Zentrum unserer Arbeit stehen; deshalb ist ihre Zurüstung zu mehr Selbstbestimmung unerlässlich. Dieser Ansatz ist besonders wichtig für den LWB, denn ein Großteil unserer Arbeit wird auf lokaler Ebene von den Kirchen in rund 100 Ländern geleistet. Darüber hinaus sind ja auch die Länderprogramme des LWB-Weltdienstes vor Ort aktiv. Dadurch ist unsere Advocacy-Arbeit wirklich relevant und hat eine solide Basis für Glaubwürdigkeit. 

Warum ist es für Kirchen so wichtig, die Menschenrechte hochzuhalten und zu schützen? 

In den letzten Jahren hat es immer wieder herbe Rückschläge für die Menschenrechte gegeben. Das sehen und hören wir von unseren Mitgliedskirchen, aus den Gemeinwesen und von unseren Partnern in allen Weltregionen. Leider wird es aufgrund von Konflikten, humanitären Krisen, repressiven Regimes sowie ungerechter Politik und ungerechten Praktiken immer schwieriger, dass die Menschenrechte überall auf der Welt wirklich geachtet werden.

Aus diesem Grund glauben wir, dass den Kirchen eine besondere Rolle dabei zukommt, sowohl die Menschen zu unterstützten, die direkt von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind, als auch sich im Rahmen ihres Narrativs und ihres Auftrags zum Dienst an der Welt für deren Menschenrechte einzusetzen und diese einzufordern. 

Weiterhin glauben wir, dass die Kirchen ein einzigartiges Verständnis der Menschenrechte haben und diese auf einzigartige Weise würdigen und wertschätzen. In vielen Fällen haben die Kirchen ganz besondere Möglichkeiten, die Gemeinwesen zu erreichen, von denen sie ein Teil sind und denen sie dienen. Außerdem haben sie Zugang zu den Entscheidungstragenden, von denen einige auch Mitglieder in ihren Gemeinden sind. Folglich haben die Kirchen das Potenzial, das Leben der betroffenen Menschen durch ihr Engagement für den Schutz und die Förderung von Menschenrechten und Gerechtigkeit wirklich zu verwandeln und zu verändern. Erst jüngst mussten wir beobachten, dass eine Reihe von Kirchen mit Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitglieder konfrontiert waren. Autoritäre Regimes haben den Raum beschnitten, in dem diese ihren Glauben praktizieren und den Menschen dienen konnten. Wir sind überzeugt, dass es helfen wird, die Möglichkeiten von Kirchen und anderen Akteuren hinsichtlich der Unterstützung für die Menschen vor Ort wieder zu verbessern, wenn wir uns gemeinsam für die Achtung der Menschenrechte einsetzen.

Am 10. Dezember ist der internationale Tag der Menschenrechte. An diesem Tag wird an den Tag erinnert, an dem die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet hat. Welche Bedeutung hat dieser Tag für Sie? 

Der 10. Dezember 1948 war einer der wichtigsten Tage im Leben der Menschen und Gemeinwesen weltweit. Es war der Tag, an dem ihre Menschenrechte offiziell anerkannt wurden und die Staaten der Welt bekräftigten, dass alle Menschen diese gleichen Menschenrechte hätten. Während es also wichtig ist, diesen Tag zu begehen, ist uns im LWB auch bewusst, dass es gleichzeitig ein trauriger Tag ist, weil es immer noch Millionen von Menschen in der Welt gibt, deren Menschenrechte nicht geschützt oder umgesetzt werden. Deshalb werden wir an diesem Tag daran erinnert, dass wir unsere Bemühungen um Gerechtigkeit und die Achtung der Menschenrechte aller Menschen – insbesondere der Menschen am Rand der Gesellschaft – weiter verstärken müssen.

 

Von LWB/T. Rakoto. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller