Kirchenleitenden-Tagung Mittel- und Osteuropa in Breslau
(LWI) – „Vor 25 Jahren hatten wir nur Träume von der Freiheit, keine realistischen Erwartungen, was kommen mag“, fasste Synodalsenior Joel Ruml der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder in Tschechien die Zeit seit der politischen Wende in Osteuropa zusammen. Über die Veränderungen der letzten 25 Jahre und die Herausforderungen, die die neu gewonnene Freiheit für die Kirchen brachte, tauschten sich die Kirchenleitenden der Region Mittel- und Osteuropa auf ihrer Tagung vom 3. bis 4. Juli 2014 in Breslau aus. VertreterInnen aus neun LWB-Mitgliedskirchen und LWB-Ratsmitglieder aus insgesamt acht Ländern waren vertreten. Ehrengast war der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfr. Martin Junge. Gastgeberin war die Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen.
Entwicklung nicht einheitlich
Wie unterschiedlich die Erfahrungen in den Kirchen der Region sind, wurde in der Diskussion der Teilnehmenden deutlich. Bischof Jerzy Samiec, der Leitende Bischof der gastgebenden Kirche, erläuterte, dass der Fall der Mauer den Mitgliederschwund seiner Kirche aus der kommunistischen Zeit beendet habe: „Als jeder einen Pass in der Tasche hatte und ihn auch behalten durfte, war die Migrationswelle nach Westdeutschland gestoppt.“ Heute gewinne die lutherische Kirche in Polen jährlich 250 bis 300 Mitglieder hinzu. Andere Kirchen, wie z. B. die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Rumänien, leiden hingegen besonders seit der Öffnung nach Westen unter einem hohen Mitgliederverlust aufgrund von Migration.
Aber Samiec betonte auch die Aufgaben der polnischen Kirche für die nächsten Jahre: „Wir wollen die Rolle der Laien in der Kirche und die Jugendarbeit stärken, um der Verweltlichung der Gesellschaft entgegenzutreten“. Der Bischof bekannte sich auch dazu, dass er die Frage der Ordination von Frauen zu Pfarrerinnen weiter behandeln will. „Wir wollen dies hinsichtlich theologischer, ökonomischer und ökumenischer Aspekte im gesellschaftlichen Kontext in Polen diskutieren“. Das Thema sei auch innerhalb der eigenen Kirche umstritten. Bisher werden Frauen nur zur Diakonin, nicht aber zur Pfarrerin ordiniert oder zur Bischöfin geweiht.
Ungarn: Versäumnisse der Kirchen eingestehen
Der Vizepräsident des LWB für die Region Mittel- und Osteuropa, Bischof Dr. Tamás Fabiny, betonte die Notwendigkeit der schmerzhaften Aufarbeitung der Zeit der Diktaturen: „Wir wollen die Tätigkeiten unserer Kirche sowohl in der braunen als auch in der roten Diktatur kennenlernen. Versäumnisse müssen anerkannt und eingestanden werden“, forderte er. In seiner Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn, hätten Informantinnen und Informanten mit der Staatssicherheit kooperiert, darunter die zwei Bischöfe Zoltán Káldy und Ernő Ottlyk. Diese Fälle hat die Kirche ausführlich untersucht und die Ergebnisse in einem zweibändigen Buch unter dem Titel „Hálo“ (Netz) veröffentlicht. Aktuell sieht der Bischof der Nord-Diözese die Kirche gefordert, sich für die Verlierer des Wandels einzusetzen. Besonders im Norden Ungarns würden Armut, Angst, Gewalt und Extremismus gegen Roma zunehmen.
Militärdiktatur in Chile
Der LWB-Generalsekretär, Pfr. Martin Junge, weitete das Thema mit einem Blick auf sein Heimatland Chile aus. Dort erfolgte ebenfalls vor 25 Jahren der Bruch von einer Diktatur zur Demokratie, der das Land in eine neue Verbindung mit der Welt brachte. „Aber die Freiheit, die wir so lange gesucht hatten, kam mit Herausforderungen“, betonte er. Eine Herausforderung war die Identitätskrise der Kirche und die Unsicherheit über ihre neue Rolle. In der Militärdiktatur habe die Kirche die Regierung offen für Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Dies habe die Rolle der Kirche klar definiert, aber „wir haben dafür auch einen grossen Preis gezahlt“, so der chilenische Theologe. Nach dem Fall des Pinochet-Regimes tat die Kirche sich daher anfangs schwer, eine Rolle in der neuen Gesellschaft zu finden.
Die Militärdiktatur hat darüber hinaus auch zu der Spaltung der chilenischen lutherischen Kirche geführt. Auch noch 25 Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur arbeiten die beiden lutherischen Kirchen immer noch an der Annäherung und Wiedervereinigung. Aus dieser bitteren Erfahrung rief der Generalsekretär alle teilnehmenden Kirchenleiterinnen und Kirchenleiter auf: „Bedenkt, wie einfach es ist auseinanderzubrechen und wie schwer es ist, wieder zusammenzukommen. Zwei oder drei Jahre reichen aus, um sich zu spalten, aber es braucht 40 Jahre, um wieder zusammenzukommen.“
Bischöfe und Kirchenleiterinnen
Insgesamt umfasste die Kirchenleitenden-Tagung 28 Personen. KirchenleiterInnen sind neben BischöfInnen auch LWB-Ratsmitglieder, VertreterInnen von Synoden oder Personen, die regionale Verantwortung innehaben. Neben Bischöfen aus Deutschland, Estland, Österreich, Polen, der Slowakei, Tschechien, der Ukraine und Ungarn nahmen die LWB-Ratsmitglieder Iwona Baraniec (Polen) und die Beraterinnen des LWB-Rats Eliisabet Põder (Estland) und Anastasiya Piddubska (Ukraine) teil. Agnieszka Godfrejow-Tarnogorska repräsentierte das LWB-Frauennetzwerk der Region „Frauen in Kirche und Gesellschaft“ (FKG). Organisiert wurde die Tagung von der Europa-Referentin des LWB, Pfarrerin Dr. Eva-Sibylle Vogel-Mfato. Sie fand direkt vor den Christlichen Begegnungstagen Mittel- und Osteuropa statt.