Als Kirchen in fortdauernder Reformation gemeinsam leben und arbeiten

31. Okt. 2018
Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, Generalsekretär des LWB. Foto: LWB/S.Gallay

Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge, Generalsekretär des LWB. Foto: LWB/S.Gallay

LWB-Strategie 2019-2024: Gleichgewicht zwischen Kontinuität und Neuerung

Genf (LWI) – Am 501. Reformationsjubiläum wird der Lutherische Weltbund (LWB) seine neue Strategie mit dem Titel „Leidenschaftlich engagiert für die Kirche und die Welt“ offiziell vorstellen. Sie stellt ein Gleichgewicht zwischen Kontinuität und Neuerung her und benennt die wichtigsten Arbeitsschwerpunkte der Kirchengemeinschaft für die kommenden Jahre. LWB-Generalsekretär Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge hat mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) über diese neue Strategie gesprochen und erklärt, wie die lutherischen Kirchen zusammenarbeiten für eine gerechte, friedliche und versöhnte Welt.

Warum braucht der LWB eine neue Strategie?

Aus meiner Sicht gibt es drei wichtige Gründe für eine neue Strategie: Zum einen verändert sich die Welt, zum anderen entwickelt sich unsere Kirchengemeinschaft weiter und drittens haben die LWB-Mitgliedskirchen auf der letzten Vollversammlung öffentlich dargelegt, was für sie wichtig ist und was sie gemeinsam in der Welt tun wollen.

Die neue Strategie ist eine Antwort auf alle diese drei Elemente. Sie legt die wichtigsten Arbeitsschwerpunkte der Mitgliedskirchen bis zur nächsten Vollversammlung dar. Für mich ist die Strategie wie eine Orchesterpartitur, nach der die LWB-Mitgliedskirchen gemeinsam musizieren wollen, um kraftvoll und deutlich das Lied von Gottes befreiender Gnade zum Klingen zu bringen, die uns Menschen frei macht, um unsere Nächsten und Gottes gute Schöpfung zu lieben und ihnen zu dienen.

Ich freue mich über das gute Gleichgewicht zwischen Kontinuität und Neuerung, das wir gefunden haben. Der LWB wird sich weiterhin stark für Diakonie und den ökumenischen Dialog, für die Einbeziehung und Mitwirkung von jungen Menschen und für Gendergerechtigkeit engagieren. Gleichzeitig aber wird er auf den Wunsch der Mitgliedskirchen eingehen, wichtige Akteure im Engagement für Klimagerechtigkeit zu werden. Außerdem haben die Kirchen den Wunsch geäußert, zielgerichteter am Thema theologischer Bildung und Ausbildung zu arbeiten.

Die Strategie ist in unserem Zeugnis verwurzelt, das wir auch weiterhin als Gemeinschaft von Kirchen ablegen wollen, und sie wird uns helfen, den LWB in die Zukunft zu führen. Und damit macht sie einen vierten und sehr elementaren und wesentlichen Grund für die Formulierung einer neuen Strategie deutlich: Die Reformation dauert an.

Was können Sie zum Titel der Strategie und über die darin formulierte Vision sagen?

„Leidenschaftlich engagiert für die Kirche und die Welt“ – das ist der Titel der Strategie. Er verweist auf ein Grundprinzip der lutherischen konfessionellen Identität: das theologische Augenmerk auf die Menschwerdung Gottes in Christus.

Als Gemeinschaft von Kirchen liegt uns das Wohl der Welt am Herzen, denn Gott liebte die Welt so sehr, dass er seinen eigenen Sohn, Jesus Christus, hingab, um sie zu erlösen und zu befreien für ein Leben in Fülle. Als Gemeinschaft von Kirchen beteiligen wir uns an dieser Mission, in der es darum geht, was Gott für uns Menschen will und was aus der Welt werden soll.

Unsere Liebe und Leidenschaft für die Welt prägt unser Verständnis von Mission als ganzheitliche Mission, zu der die Verkündigung der frohen Botschaft gehört genau wie die Sorge für den Nächsten und das Engagement für Gerechtigkeit. Wir streben nach der Einheit der Kirchen, die es uns möglich macht, öffentlich ein lebendiger Ausdruck von Gottes Liebe für die Welt zu sein.

Die Strategie nennt zwei Arbeitsschwerpunkte: Inwiefern werden diese die Arbeit des LWB bestimmen und lenken?

Die zwei Arbeitsschwerpunkte wurden herausgearbeitet, nachdem sorgfältig und bedacht ausgewertet wurde, was die LWB-Mitgliedskirchen auf der LWB-Vollversammlung 2017 in Windhuk (Namibia) gemeinschaftlich formuliert hatten.

Die Kirchen haben dargelegt, welche Herausforderung es für sie ist, in einer sich beständig verändernden Welt von Bedeutung zu sein und diese nicht zu verlieren, wie schwierig das schnelle Wachstum in einigen Kontexten und der stetige Rückgang der Mitgliederzahlen in anderen ist. Die „Wiederbelebung der Kirche“ wurde zu einem wichtigen Thema! Darüber hinaus haben die Mitgliedskirchen die zentrale Bedeutung der theologischen Aus- und Weiterbildung für die Zukunft der Kirchen herausgestellt und betont, dass es zwingend erforderlich ist, ausreichend Raum zu geben für die Beteiligung der Jugend. Die vollumfängliche Teilhabe von Frauen am ordinierten Amt der Kirche wurde erneut als gemeinsames Ziel und gemeinsame Verpflichtung bekräftigt. All dies wird in dem Arbeitsschwerpunkt „Unterstützung für die Präsenz und das lebendige Zeugnis der Kirchen in der Welt“ zusammengefasst. Natürlich ist es jetzt unsere Aufgabe, Programme zu entwickeln, mithilfe derer die Mitgliedskirchen gemeinsam auf die Umsetzung dieses Arbeitsschwerpunktes hinarbeiten können.

Gleichzeitig haben die Kirchen aber auch auf ihre Berufung verwiesen, nicht nur für sich selbst zu leben. Denn eine Gemeinschaft von Kirchen zu sein ist kein Selbstzweck. Sie ist vielmehr Teil von Gottes befreiendem Wirken, das der ganzen Welt gilt. Daher ist das Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Versöhnung intrinsisch mit Gottes Mission in der Welt verbunden. Und deshalb wird der LWB auch weiterhin an seinem diakonischen Arm – dem LWB-Weltdienst – festhalten, denn dieser bringt die Berufung zum Dienst am Nächsten zum Ausdruck. Auch Gendergerechtigkeit – eine Sache des Glaubens – erfährt mehr Aufmerksamkeit. Und die Menschenrechte, dieser großartige Erfolg der Menschheit, der aktuell in Gefahr läuft verworfen und untergraben zu werden, wird weiterhin einen zentralen Stellenwert im Engagement von Lutheranerinnen und Lutheranern haben. Das Engagement für Menschenwürde, Gerechtigkeit und Frieden hebt auch die große Verantwortung des LWB und seines Büros der Kirchengemeinschaft hervor, eine Verbindung zu schaffen zwischen den lokalen Realitäten vor Ort und dem globalen Diskurs und der globalen Politik. Und aus genau diesem Grund wird auch die Advocacy-Arbeit eine noch wichtigere Rolle im LWB spielen.

Wo wollen Sie den LWB in sechs oder sieben Jahren sehen?

In der Strategie geht es nicht darum, was ich will oder welche Entwicklungen ich sehen möchte, sondern darum, was die LWB-Mitgliedskirchen auf der Fortsetzung ihres gemeinsamen Weges und in der Vertiefung ihres gemeinschaftlichen Zeugnisses erreichen wollen. Ich habe das Gefühl, dass die LWB-Mitgliedskirchen sich sehr freuen würden, wenn sie zu der nächsten LWB-Vollversammlung 2023 zusammenkommen könnten und sich über ihre gemeinsame Arbeit und darüber austauschen könnten, welche Auswirkungen diese für sie als Kirchen, aber auch für die Welt insgesamt hatte.

Ich hoffe und bete, dass über noch intensiveren Austausch und noch größere Zusammenarbeit über die Grenzen der Regionen hinweg berichtet werden wird. Ich hoffe und bete insbesondere, dass die Kirchen sich freuen werden, wenn sie feststellen, dass sie sich als Gemeinschaft von Kirchen nicht nach innen gewandt und sich um sich selbst gekümmert haben, sondern dass sie weiterhin Zeugnis abgelegt haben in der Welt, dass sie mit und für die Unterdrückten und Marginalisierten der Welt gearbeitet haben, sich für Flüchtlinge und Migrierende und deren Rechte eingesetzt haben.

Geht es zu weit, davon zu träumen, dass mehrere Kirchen zur nächsten Vollversammlung kommen und berichten können, dass sie auf Investments in fossile Energieträger verzichten, oder dass sie für jedes Kind, das sie taufen, einen Baum gepflanzt haben? Vielleicht wird über Durchbrüche in der Ökumene berichtet werden können, dass wir Lutheranerinnen und Lutheraner gemeinsam mit anderen in einer Zeit der Fragmentierung und der Polarisierung deutlich machen konnten, dass Gott die Menschheit aufruft, zusammenzurücken.

Was hoffen Sie, wie die LWB-Mitgliedskirchen jetzt mit der Strategie weiter verfahren?

Die gesamte LWB-Strategie 2019-2024 wurzelt in der Berufung der LWB-Mitgliedskirchen, als Gemeinschaft von Kirchen gemeinsam zu leben und zu arbeiten.

Während die LWB-Strategie natürlich nicht die Strategien und prioritären Arbeitsbereiche der einzelnen Mitgliedskirchen außer Kraft setzen kann, sind wir überzeugt, dass sie sehr gut beschreibt, was die Mitgliedskirchen sein wollen und was sie gemeinsam in dieser Welt tun wollen.

Genau genommen habe ich die Mitgliedskirchen in meinem jüngsten Schreiben an sie, mit dem ich ihnen die Strategie habe zukommen lassen, aufgefordert, einen Austausch über die LWB-Strategie auf die Tagesordnung für die nächste Sitzung ihrer jeweiligen Führungsgremien oder ihrer Pfarrerinnen und Pfarrer zu setzen. Die zentralen Fragestellungen für einen solchen Austausch könnten sein: Wo erkennen wir uns als Mitgliedskirchen in diesem Dokument? Was sind unsere Gaben und welchen Beitrag können wir leisten? Gerade für letzteres ist es sehr wichtig, darüber nachzudenken, wie wir auch unsere Hände und Herzen öffnen können für Gaben, Wissen, Erfahrungen und Erkenntnisse von anderen. Oder mit anderen Worten: Welchen neuen Ausdruck findet das Ethos der Gegenseitigkeit und der Solidarität, das den LWB seit Jahrzehnten bestimmt?

Ich bin überzeugt, dass wir für unseren weiteren Weg mit einem großartigen Instrument ausgestattet worden sind, um in den kommenden Jahren gemeinsam die kraftvolle und klangvolle Melodie von Gottes befreiender Gnade anzustimmen.