Jugendliche und HIV/AIDS – Aufklärung in Indonesien
(LWI) - „Ihr seid erst in der Mittelstufe. Warum müsst ihr über HIV und AIDS bescheid wissen?“, fragt Elisabeth Purba. Vor ihr sitzt eine Gruppe von etwa 40 Teenagern im Schatten unter dem Vordach eines lokalen Jugendzentrums. Es ist später Vormittag. Zusammen mit drei Mitstudierenden aus Medan hält Elisabeth einen Vortrag über das Humane Immundefizienz-Virus (HIV).
Der Workshop in Desa Bulu Cina findet in der Folge einer Weiterbildung statt, die Elisabeth und etwa 30 weitere Studierende im Mai 2014 besucht haben. Der Workshop wurde vom LWB-Nationalkomitee in Indonesien organisiert. „Wir haben drei Themenbereiche herausgearbeitet“, erklärt Elisabeth Purba, „Klimagerechtigkeit, interreligiöse Beziehungen und HIV/AIDS.“ Elisabeth und sieben Kommilitonen haben sich entschieden, mehr über die Immunschwäche zu lernen und ihr Wissen in einer Gesellschaft weiter zu geben, in der die Diskriminierung von HIV-positiven Menschen weit verbreitet ist. Der Besuch in Desa Bulu Cina ist einer von vielen, denen die Studierenden einen Grossteil ihrer Freizeit widmen.
Die Rahmenbedingungen stecken voller Widersprüche: Die Virusinfektion ist in der indonesischen Gesellschaft ein Tabuthema, und das ganz besonders in kleinen Dörfern wie das zwei Stunden von Medan entfernt liegende, in dem der Workshop stattfindet. Viele der Mädchen tragen das traditionelle Kopftuch, alle ausser zwei der SchülerInnen kommen aus muslimischen Familien. Seit drei Jahren leitet die koreanische Organisation „Good Neighbors International“ ein kleines Jugendzentrum als Teil eines Projektes gegen Armut. Die Mitarbeitenden haben einen christlichen Hintergrund; der Kontakt wurde durch die Studierendenorganisation der Universität hergestellt.
„Sie sind aufgeschlossener “
Es ist keine Gruppe, die die meisten Lehrer gerne freiwillig unterrichten würden. 12- bis 17-jährige Mädchen und Jungen sitzen weit voneinander entfernt und werfen sich verstohlene Blicke zu. Die Jungs verstecken sich trotz der feuchten tropischen Hitze hinter den Kapuzen ihrer Sweatshirts. Anfangs zeigen sie wenig Interesse; sie hören hauptsächlich zu, als Elisabeth und ihre MitstreiterInnen den Unterschied zwischen der Infektion und der Krankheit erklären. Als es um die Übertragung des Virus geht, gibt es viel Gekicher. Gesundheitskunde wird in den öffentlichen Schulen höchstens rudimentär unterrichtet, erklärt Liberson Frain, ein Student der Sozialwissenschaften, später.
Die Studierenden, die die Schüler aus dem Ort zu diesem Zeitpunkt bereits in kleinere Gruppen aufgeteilt haben, lachen mit und lenken die Diskussion geschickt auf Unfälle und Bluttransfusionen. Wenige Sekunden später wechseln sie zurück in den Lehrmodus: Nacheinander müssen die Jugendlichen, die in einem Kreis sitzen, Arten nennen, wie HIV übertragen oder nicht übertragen wird. „Wir kommen leichter mit den Jugendlichen ins Gespräch“, sagt Liberson während die Atmosphäre lockerer wird und die Dorfjugend beginnt, Fragen zu stellen oder Geschichten zu erzählen. „Wir können mit ihnen in ihrer Sprache sprechen, weil wir nicht viel älter sind, und sie sind aufgeschlossener als Erwachsene. Ausserdem geben sie das, was sie hier hören, an Gleichaltrige weiter.“
Liberson und Elisabeth haben das Material für ihren Vortrag in dem Workshop zum Kapazitätsaufbau erhalten und viele weitere Stunden mit Internetrecherchen verbracht. Derzeit liest sich Elisabeth in die aktuelle Forschung zu HIV-Übertragung beim Stillen ein. Es ist eine Frage, die ihr manche Mädchen stellen, denn die Möglichkeit, ein „normales“ Leben zu leben ist in Indonesien stark damit verbunden, eine Familie und Kinder haben zu können. Da sie aus einem ähnlichen Kontext stammen, gehen Liberson und Elisabeth sehr sorgsam mit kulturellen Empfindsamkeiten um. „Ich erzähle ihnen nichts über Kondome“, sagt Elisabeth. „Für uns geht es in erster Linie darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass HIV-positive Menschen nicht ansteckend sind und nicht als Aussenseiter behandelt werden sollten.“
„Bringt Eure Freunde mit“
Die ultimative Prüfung für die Jugendlichen kommt am Ende des Vormittags, als Manior Sihombing ihre Geschichte erzählt. Sie ist HIV-positiv. „Ihr müsst keine Angst haben“, rät Elisabeth den SchülerInnen, als die Frau, die sich bis dahin im Hintergrund gehalten hat, beginnt, die Hände der Teenager zu schütteln. Nicht alle scheinen sich vollkommen wohl dabei zu fühlen, ein oder zwei verbergen ihre Hand im Ärmel ihres Sweatshirts. Sihombing wurde durch ihren Ehemann infiziert, der aussereheliche Beziehungen hatte. „Als ich von meiner Infektion erfuhr, bat ich um die Scheidung, aber er liebte mich so sehr, dass er davon nichts wissen wollte“, sagt sie.
Ihr Ehemann und eines ihrer Kinder sind inzwischen an der Immunschwäche gestorben. Ihre Tochter wurde nicht mit dem Virus infiziert. Trotzdem erlebte die Familie Diskriminierung. Sihombing zog in eine andere Gemeinde, wechselte ihre Arbeitsstelle und ihre Kirche. „Vor einiger Zeit hat mir mein Arzt gesagt, dass ich Tuberkulose habe“, sagt sie. „Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Die will ich nutzen um etwas zu bewegen.“
Die Jungen und Mädchen, denen sie ihre Geschichte erzählt, sind offensichtlich beeindruckt. Zum ersten Mal sehen sie mit ihren eigenen Augen einen Menschen mit der berüchtigten Infektion. „Ich hatte schon vorher von AIDS gehört“, sagt die 14-jährige Nanda. „Aber ich wusste nicht, dass man die Menschen einfach anfassen und sein Essen mit ihnen teilen kann.“
Die 16-jährige Endang, ein aufmerksames Mädchen mit einem schwarzen Kopftuch, bittet die Studierenden wiederzukommen. „Ich will mehr über HIV/AIDS erfahren“, sagt sie. „Wir kommen wieder“, verspricht Elisabeth, „und ihr bringt Eure Freunde mit!“ Als Elisabeth später ihre anfängliche Frage wiederholt, gibt Endang als erste eine Antwort. „Weil wir tolerant sind“, sagt sie stolz. „Wir sind Indonesien.“