Tansania: Einsatz für Wandel in Kirche und Gesellschaft

31. Mai 2024

Faustina Nillan, die frisch ernannte Direktorin für Frauen und Genderfragen bei der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz, berichtet im folgenden Interview von den Hoffnungen und Herausforderungen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania. 

Faustina Nillan spricht auf der 68. Tagung der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau in New York

Faustina Nillan spricht auf der 68. Tagung der UN-Kommission für die Rechtsstellung der Frau in New York. Foto: LWB/P. Hitchen

Faustina Nillan, nationale Direktorin für Frauen und Kinder der tansanischen Kirche 

(LWI) – Seit sie ihre Arbeit als nationale Direktorin für Frauen und Kinder in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania vor zehn Jahren aufgenommen hat, engagiert sich Faustina Nillan an vorderster Front für Familien und die Unterstützung von Mädchen und Frauen in einigen der marginalisiertesten Bevölkerungsgruppen in ihrem Heimatland.  

Ihre Arbeit umfasst zahlreiche Aktivitäten an der Basis, aber auch auf internationalem Parkett und allen dazwischenliegenden Ebenen. In einer Woche entwickelt sie beispielsweise einen neuen Lehrplan für die Sonntagsschulaktivitäten; in der nächsten Woche berät sie religiöse Führungspersonen im Rahmen eines Workshops zum Thema Gendergerechtigkeit oder reist zu den Vereinten Nationen nach New York, um sich für ein Ende der Stigmatisierung von Menstruation und den falschen Vorstellung rund um dieses Thema einzusetzen.  

Anfang dieses Monats erst wurde Nillan zur neuen Direktorin für Genderfragen und Frauen bei der Gesamtafrikanischen Kirchenkonferenz ernannt; sie wird die Funktion im September antreten. Im folgenden Interview blickt sie auf die letzten zehn Jahre zurück, spricht über Fortschritte, die erzielt wurden, und Herausforderungen, mit denen sie in ihrem Leben und ihrer Arbeit konfrontiert wurde. 

Mögen Sie uns zu Beginn etwas über Ihre Kindheit und Ihre Familie erzählen? 

Ich bin in einem kleinen Dorf in der Nähe von Arusha im Nordosten von Tansania aufgewachsen. Mein Vater starb als ich noch sehr klein war und meine Mutter starb, als ich 14 Jahre alt war. Ich bin daher bei meiner Tante aufgewachsen. In Afrika ist es üblich, dass sich die gesamte Verwandtschaft um die Kinder kümmert, und so helfe ich nun auch, neben meinen eigenen zwei Kindern die Tochter meiner Tante sowie einen adoptierten Sohn großzuziehen. 

Die Leidenschaft für meine Arbeit habe ich von meiner Mutter Lillian geerbt die Krankenschwester und Hebamme war. Sie hat Frauen in Not immer sehr unterstützt und wenn Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen ein Kind zur Welt brachten, hat sie sie oftmals für eine Weile bei uns zu Hause versorgt, um sicherzugehen, dass sie alles hatten, was sie brauchten. Von ihr habe ich gelernt, dass alles, was wir haben, mehr wert ist, wenn wir es mit anderen Menschen teilen. 

Wann haben Sie angefangen, für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania zu arbeiten? 

Ich habe zunächst für die ökumenische Organisation für Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit World Vision gearbeitet und 2013 bei der ELKT angefangen. Ich war damals nicht einmal 30 Jahre alt und die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen waren sehr viel älter. Aber meine Vorgängerin hat mir den Weg bereitet. Sie war ein großes Vorbild für mich und ich bin ihr sehr, sehr dankbar, weil alle sehr hilfsbereit waren. 

Wo legen Sie den Schwerpunkt in Ihrer Arbeit? 

Ich möchte insbesondere in allen Bereichen der Zurüstung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung Wandel bewirken – gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische und rechtliche Veränderungen. In allen Diözesen in Tansania gibt es inzwischen ein Frauen- und Kinderreferat. Mit allen arbeite ich in Bezug auf Themen, die Frauen und Mädchen betreffen, eng zusammen, um zu versuchen, schädliche Praktiken und soziale Normen wie geschlechtsspezifische Gewalt und weibliche Genitalverstümmelung zu beenden.  

Wir unternehmen einiges für die wirtschaftliche Emanzipation von Frauen und bieten Programme für die Ausbildung von Führungskompetenzen und die Förderung von Familien an. Zudem ist auch die frühkindliche Entwicklung ein wichtiges Thema. Ich bin daher in die Entwicklung neuer Lehrpläne für die Sonntagsschulen involviert und arbeite mit jungen Erwachsenen in der Kirche zusammen.  

Wie steht es um die politischen und rechtlichen Aspekte, die Sie erwähnt haben? 

Wir ringen in meinem Heimatland immer noch mit den Auswirkungen des Ehegesetzes von 1971, das erlaubt, dass Mädchen schon im Alter von 14 Jahren verheiratet werden können, wenn die Eltern des Mädchens zustimmen. In jüngster Vergangenheit hat sich aber einiges bewegt und 2019 hat der oberste Gerichtshof ein Urteil bestätigt, das das Mindestalter für Eheschließungen für Mädchen und Jungen auf 18 Jahre angehoben hat.  

Wir arbeiten eng mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisation zusammen, um eine dauerhafte Gesetzesänderung herbeizuführen. In der Praxis wird jedoch immer noch jedes dritte Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Es ist also noch einiges zu tun. Aber wir haben ja nun erstmals eine weibliche Präsidentin in Tansania: Dr. Samia Saluhu Hassan. Und ihr ist das Thema Gendergerechtigkeit sehr wichtig. Sie ermutigt Frauen immer wieder, Botschafterinnen des Wandels zu sein, und hat zum Beispiel ein Gesetz rückgängig gemacht, das schwangeren Mädchen den Schulbesuch versagte. Es sind also gewisse Fortschritte zu beobachten. 

Was sind die größten Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind? 

Es gibt bei uns eine Bewegung gegen Gendergerechtigkeit, in der sich nicht nur Männer engagieren, sondern auch Frauen aus ganz unterschiedlichen Lebensumfeldern, die gegen diese Arbeit sind. Das macht es schwierig. Aber wir versuchen, sachdienliche Informationen zur Verfügung zu stellen, damit sie verstehen, dass Gendergerechtigkeit nicht heißt, dass Frauen und Männer miteinander konkurrieren, sondern dass Gendergerechtigkeit heißt, dass Frauen und Männer zusammenarbeiten, damit niemand auf der Strecke bleibt, weil vor Gott alle Menschen gleich sind.  

Wir bemühen uns, Männer in diese Arbeit einzubinden – vor allem auch religiöse Führungspersonen, weil sie sehr viel Einfluss haben. Wenn wir unsere Bischöfe und andere an Bord holen, beobachten wir, dass sie zu den besten Fürsprechenden für Gleichberechtigung und den Schutz von Frauenrechten werden. In einigen Diözesen wurden Männerreferate gegründet, um die Arbeit der Frauenreferate zu ergänzen, und sie sind zu einflussreichen Verbündeten in unserer Arbeit geworden.  

Der ehemalige vorsitzende Bischof der ELKT, Bischof Dr. Fredrick Shoo, zum Beispiel ist ein engagierter Unterstützer unserer Kampagne geworden, mit der wir mit den Mythen und falschen Vorstellungen rund um das Thema Menstruation aufräumen und sicherstellen wollen, dass Jungen und Mädchen in Bezug auf das Thema sexuelle Gesundheit umfassend aufgeklärt sind. Im Rahmen dieser Kampagne setzen wir uns auch für eine Senkung der Steuer auf Menstruationsprodukte ein, weil die hohe Steuer sie für viele ärmere Frauen und Mädchen unerschwinglich macht. 

Was bedeutet es für Sie und Ihre Arbeit, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein? 

Das ist sehr wichtig, denn in meiner Arbeit geht es darum, Frauen den Kontakt zu Partnern und anderen Frauen überall auf der Welt zu ermöglichen, die sich auch für die Zurüstung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung und Gendergerechtigkeit einsetzen. So habe ich als Mitglied der LWB-Delegation bei der Tagung der Kommission für die Rechtsstellung der Frau im März beispielsweise viele einflussreiche Führungspersonen aus anderen Kirchen und Glaubensgemeinschaften kennengelernt; gemeinsam können wir eine viel kräftigere und wirkunsvollere Stimme für Wandel sein.  

 

LWB/P. Hitchen