LWB- Mission zur Lagebeurteilung an der serbisch-kroatischen Grenze
BUDAPEST, Ungarn/ GENF, 13. Oktober 2015 (LWI) – Die Situation der Flüchtlinge an der serbisch-kroatischen Grenze einzuschätzen und Möglichkeiten gemeinsamer Hilfe zu finden war das Ziel einer Mission zur Lagebeurteilung vom Lutherischen Weltbund (LWB) und der ungarischen Diakonie. Der Referent für Flüchtlingsfragen bei der Diakonie Ungarn, Attila Mészáros, und John Damerell, Berater der Abteilung für Weltdienst beim LWB, haben sich Ende September selbst ein Bild von der Situation vor Ort gemacht.
„Auf Einladung von Bischof Tamás Fabiny war es hier in Ungarn mein Auftrag, zu beurteilen, wie der LWB die ungarische lutherische Kirche bei der Flüchtlingshilfe unterstützen kann, damit den Flüchtlingen noch besser und sinnvoller geholfen werden kann“, erklärt John Damerell. Die Situation habe sich seit der ungarischen Grenzschließung jedoch geändert und etwas beruhigt, die Orte des Geschehens außerhalb Ungarns verlagert. Deshalb müssten die Unterstützungsmöglichkeiten nun unter Umständen neu beurteilt werden, so Damerell.
Westliche Route nach Zentraleuropa
Seit die ungarische Regierung den Grenzübergang bei Röszke geschlossen und die Grenze nach Serbien mit einem Zaun abgesperrt hat, haben sich die Flüchtlinge eine neue, weiter westlich gelegene Route über Kroatien suchen müssen. Die meisten von ihnen sind vor den Konflikten in Syrien, dem Irak, Afghanistan, Somalia und Pakistan geflüchtet. Einige versuchen nun, über Slowenien in Zielländer wie Deutschland zu kommen, die meisten wählen jedoch weiterhin den Weg über Ungarn, wie Attila Mészáros weiß: „Die Statistiken zeigen, dass die Grenzschließung den Flüchtlingsstrom nur zwei Tage lang eingedämmt hat. Seitdem übertreten wieder täglich 3,000-7,000 Flüchtlinge die Grenzübergänge Richtung Ungarn.“ Von der kroatischen Grenze aus würden die Flüchtlinge mit vom ungarischen Staat kostenlos zur Verfügung gestellten Bussen und Zügen nach Österreich gebracht.
Vor der Fahrt an die Grenze haben Mészáros und Damerell auch die örtlichen Kirchengemeinden kontaktiert und durch sie mit Pfarrerinnen und Pfarrern aus Ungarn, Kroatien und Serbien Kontakt aufgenommen. Eine der Pfarrerinnen, mit denen Mészáros und Damerell auf dem Rückweg sprachen, leitet in Šid eine slowakischsprachliche, evangelische Gemeinde. „Sie erzählte uns“, so Mészáros, „dass sich aus den örtlichen evangelischen und ökumenischen Gemeinden regelmäßig Freiwillige in der Flüchtlingshilfe engagierten – so auch sie selbst.“
Das Team hat die Orte besucht, an denen derzeit Medienberichten zufolge die meisten Grenzübertritte stattfinden: Šid in Serbien und Tovarnik auf kroatischer Seite. Im serbischen Šid, so stellte Mészáros überrascht fest, habe man es gut organisiert, täglich Tausende Flüchtlinge zu versorgen und weiter zu leiten. „Ich war vorher bereits in Röszke und am Keleti Bahnhof in Budapest. Dort herrschte grosses Chaos, einige Ordnungshüter verhielten sich sehr unangenehm. In Šid dachte ich mir: So geht es auch!“
Tschechische Freiwillige
Wie der Diakonie-Mitarbeiter berichtet, werden die Flüchtlinge gegen ein kleines Entgelt mit Bussen durch Serbien an die kroatische Grenze gebracht. „Die Flüchtlinge kommen in einem Dorf unweit von Šid, circa 100 Meter vom Grenzübergang, an. Dort erwarten sie bereits verschiedene Hilfsorganisationen wie das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen UNHCR und eine serbische ökumenische Hilfsorganisation.“ Besonders sympathisch war Mészáros eine Gruppe junger, aus Tschechien kommender freiwilliger Helfer, die den Ablauf vor Ort professionell koordinieren. Die Hilfe der Polizei werde nicht benötigt, so der ungarische Diakoniemitarbeiter.
In Gruppen von 20 Personen werden die Flüchtlinge von den freiwilligen Helfern über das weitere Vorgehen informiert und gegebenenfalls mit Wasser und Essen versorgt. „Die Freiwilligen sagten uns, dass sie über das Wichtigste verfügten – warme Kleidung und Schuhe werden aber trotzdem immer benötigt“, berichtet Mészáros.
„Sowohl auf serbischer als auch auf kroatischer Seite stehen einige Polizisten, die die Flüchtlinge weiterleiten und gegebenenfalls informieren, darüber hinaus aber nicht in die Situation eingreifen“, fährt Mészáros fort. In Kroatien befinde sich unweit der Grenze das Aufnahmelager Lovas, wo die Flüchtlinge registriert werden. Auch dort in und außerhalb des Geländes sind laut Mászáros alle großen, internationalen Hilfsorganisationen vertreten. Nach wenigen Tagen geht es für die Flüchtlinge dann von Kroatien mit Zügen weiter Richtung Ungarn.
Ruhig und gut organisiert
„Insgesamt hat die Situation in Serbien und Kroatien recht ruhig und gut organisiert auf uns gewirkt“, so Mészáros. „Keine Spur von Hysterie oder Aggression. Selbst wenn auf serbischer Seite plötzlich fünf Busse mit Hunderten Flüchtlingen ankamen, konnte man gut und menschlich mit der Situation umgehen.“ Wie es nun weitergeht und wie man die Helfer vor Ort unterstützen könne, werde sich in den kommenden Wochen herausstellen
Momentan seien von Seiten der Diakonie noch keine Mitarbeiter vor Ort und die Pläne für eine mögliche Kollaboration mit den vor Ort Helfenden noch nicht ausgearbeitet. „Da wir aber wissen, dass mit dem anstehenden Herbst- und Wintereinbruch immer mehr warme Kleidung, Schuhe und Decken benötigt werden, überlegen wir, eventuell an dieser Stelle zu unterstützen“, berichtet Diakonie-Mitarbeiter Mészáros. Da es schwierig sei, die Hilfsgüter in das nicht-EU-Land Serbien zu befördern seien Geldspenden einfacher zu transferieren.
Das LWB-Team traf ausserdem mit Vertretern der bayrischen Diakonie, sowie mit Hilfsorganisationen wie dem UNHCR, dem Helsinki-Komitee und den Ungarischen Verein für Migranten Menedék zusammen, um mögliche Hilfsmassnahmen zu koordinieren.
Anlässlich eines Solidaritätsbesuchs in Ungarn und Serbien haben die europäischen LWB-VizepräsidentInnen Anfang Oktober gemeinsam zur Verständigung auf eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik in der Region aufgerufen. „Von allen europäischen Staaten erwarten wir, dass sie Flüchtlinge aufnehmen und Wege finden, wie die gemeinsame Aufgabe dauerhaft gelöst wird“, so die BischöfInnen Helga Haugland Byfuglien (Nordische Region), Dr. Frank Otfried July (Mittel- und Westeuropa) sowie Dr. Tamás Fabiny (Mittel- und Osteuropa) im Anschluss an einen Solidaritätsbesuch bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Ungarn (ELKU) in Budapest.
Neben der ungarischen Kirche leisten auch lutherische Kirchen in anderen LWB-Regionen Unterstützung und demonstrieren Solidarität. Sowohl der LWB-Rat als auch Generalsekretär Pfr. Dr. Martin Junge haben in Erklärungen und Schreiben an die Mitgliedskirchen in Europa wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, bei den nationalen Regierungen für eine Flüchtlingspolitik einzutreten, die der christlichen Pflicht, Fremde willkommen zu heissen, gerecht wird.
Der LWB unterstützt weltweit etwa 2 Millionen Flüchtlinge und Binnenvertriebene, darunter auch syrische Flüchtlinge in Jordanien.
Ein Betrag von LWB-Korrespondentin Lisa Erzsa Weil, Ungarn.