Deutsches Seenotrettungsschiff zu erster Mission gestartet
BURRIANA, Spanien/GENF (LWI) – Das Seenotrettungsschiff Sea-Watch 4 ist zu seinem ersten Einsatz im Mittelmeer aufgebrochen. Das Schiff habe am 15. August den spanischen Hafen von Burriana verlassen und sei auf dem Weg in die Such- und Rettungszone vor Libyen, teilte die Initiative Sea-Watch mit, die sich der zivilen Seenotrettung im zentralen Mittelmeer verschrieben hat. Es sei derzeit das einzige Rettungsschiff im Mittelmeer. Ursprünglich sollte die Sea-Watch 4 im April auslaufen. Der Start verzögerte sich jedoch wegen der Coronavirus-Pandemie.
Der Kauf und die Umrüstung des ehemaligen Forschungsschiffs wurde vom Bündnis „United4Rescue“ finanziert, das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) initiiert wurde. An dem Projekt beteiligt sich neben Sea-Watch auch „Ärzte ohne Grenzen“ (medicins sans frontieres).
Internationale Crew will Menschenleben retten
Zu deren Team an Bord der Sea-Watch 4 gehört Barbara Deck aus Canada. Die Krankenschwester koordiniert das medizinische Team an Bord. Auf die Frage, in welchen Zuständen sie die Geflüchteten erwarte, nennt sie: schwangere Frauen, Menschen, die durch die Libyer Gewalt erfahren haben, chemische Verbrennungen und auch Fälle von Covid-19. Das Virus, das die ganze Welt nach wie vor in Atem hält, bezeichnet Deck als „große Herausforderung“. Aber man sei vorbereitet, versichert sie mir. Infektionskontrollen werden Standard sein und an Bord wird es einen Bereich geben, in dem Menschen mit dem Virus isoliert werden können. Die moderne Krankenstation an Bord stellt die medizinische Erstversorgung sicher und bietet dem medizinischen Personal die alle Möglichkeiten, um verletzte und geschwächte Gerettete behandeln zu können.
Jakob Führmann aus Österreich ist Lehrer und gehört ebenfalls zur aktuellen Crew der Sea-Watch 4. Seit zwei Jahren ist er beim Verein Sea-Watch aktiv und kümmert sich ehrenamtlich ums „Crewing“, also darum, die passende und qualifizierte Besatzung für die Seenotrettungsschiffe zu bekommen. Aufgrund des politischen Drucks, dem sich der Verein ausgesetzt sieht, seien die Anforderungen an Crew und Schiffe stetig höher geworden, weiß er. Viele Positionen an Bord sind inzwischen mit nautischen Profis besetzt. Weiterhin besteht die Besatzung aus vielen Ehrenamtlichen an Bord – zum Beispiel jenen, die sich um die Geretteten kümmern.
Nach Führmanns Meinung müssten sich christliche Gemeinden noch viel stärker politisch positionieren. Für ihn sind Aussagen wie „Die Kirche muss neutral sein“ Humbug. „Es gibt keinen unpolitischen Raum“, ist er überzeugt. Es brauche auch in der Zivilgesellschaft viele, die sich für die Arbeit von Sea-Watch stark machen und helfen, so dass diese nicht mehr kriminalisiert werde.
Luftbeobachtung
Nicht alle Beteiligten an der Seenotrettung befinden sich an Bord des Schiffs. Tamino Böhm aus Deutschland ist Head of Mission bei den Airbone Operations. Das heißt, er fliegt mit bei den Aufklärungsflügen der „Moonbird“ und „Seabird“. Diese Flugzeuge unterstützen die Arbeit auf dem Meer erheblich. Aus der Luft beobachten er und sein Team, was im zentralen Mittelmeer, in den Such- und Rettungszonen der Europäer und auch der Libyer passiert. Dann meldet das Team die Seenotfälle den zuständigen Behörden und Schiffen in der Nähe. „Wir sind die Augen für alle“, sagt er.
In monatlichen Protokollen der Airborne Operations ist nachzulesen, was im Januar und Februar 2020 und dann wieder im Juni alles auf dem zentralen Mittelmeer passiert ist (zwischenzeitlich mussten die Flugzeuge Covid-bedingt am Boden bleiben). Allein im Januar dieses Jahres sind etwa 500 Menschen auf dem Mittelmeer in Seenot geraten; die Meisten in überladenen Gummibooten und ohne Rettungswesten.
Die Aufklärungsflugzeuge von Sea-Watch hätten allein in den vergangenen sechs Wochen mehr als 1.500 Personen in Seenot dokumentiert, so Michael Schwickart von United4Rescue. Viele von ihnen seien nach Libyen zurückgebracht worden. In der Zeit seien keine zivilen Rettungskräfte mehr vor der libyschen Küste im Einsatz gewesen. Fast alle Schiffe würden von den italienischen Behörden wegen angeblicher Sicherheitsmängel festgehalten oder mit nicht erfüllbaren Auflagen am Einsatz gehindert.
Die italienischen und maltesischen Behörden torpedieren die private Seenotrettung seit vielen Monaten, berichtet der Nachrichtendienst epd. Sie fordern eine bessere Verteilung der Geflüchteten innerhalb Europas. Besatzungen erhalten teils über Wochen keine Erlaubnis zur Anlandung in einem Hafen, Schiffe werden festgesetzt, Crew-Mitglieder juristisch belangt. Die Corona-Pandemie und Maßnahmen zu ihrer Eindämmung erschweren die Arbeit der Retter weiter.
Er sei dankbar, dass das Engagement vieler Menschen dazu geführt hat, dass die Sea-Watch 4 in See stechen kann, so Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzender der EKD. „Europa soll sehen, dass die Politik des Wegsehens nicht mehr tatenlos hingenommen wird. Der Einsatz des Schiffes ist beides: eine humanitäre Hilfsmaßnahme, aber auch ein politisches Zeichen dafür, dass wir uns weiter einmischen werden.“
Die Idee eines kirchlichen Seenotrettungsschiffs im Mittelmeer geht auf den evangelischen Kirchentag in Dortmund 2019 zurück. Im Januar ersteigerte das Bündnis United4Rescue das Schiff „Poseidon“ für 1,3 Millionen Euro, darunter 1,1 Millionen Euro Spendengelder des Bündnisses, dem mittlerweile über 550 Organisationen und Unternehmen angehören. Im Februar wurde die „Sea-Watch 4“ in Kiel, (Deutschland) getauft und an die Seenotrettungsorganisation Sea-Watch übergeben.