Brasilien: „Kirche Jesu Christi in diesem Land und seiner Gesellschaft sein“

6. Aug. 2024

Das Jubiläumsjahr der IECLB ist für die Kirche der Anlass, ihre Rolle und Aufgabe als Teil der brasilianischen Gesellschaft weiterzuentwickeln. 

Im Jahr 2024 feiert die IECLB „200 Jahre lutherische Präsenz in Brasilien“

Im Jahr 2024 feiert die IECLB „200 Jahre lutherische Präsenz in Brasilien“. Foto: IECLB

IECLB feiert 200 Jahre lutherische Präsenz 

2024 ist das Jahr, in dem die Evangelische Kirche Lutherischen Bekenntnisses in Brasilien (IECLB) “200 Jahre lutherische Präsenz in Brasilien" mit dem Motto aus Matthäus 28,20 feiert: "Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt". Besonders denkwürdige Daten in diesem Jubiläumsjahr sind der 3. Mai und der 24. Juli, als die ersten lutherischen Einwanderer aus Europa im Süden Brasiliens ankamen. Sie trafen in Nova Friburgo/Rio de Janeiro bzw. in São Leopoldo/Rio Grande do Sul ein. 

Ursprünglich waren zu dem Datum in São Leopoldo Festveranstaltungen geplant. Stattdessen wurde dem historischen Ereignis nun aber am 28. Juli mit einem nationalen Online-Gottesdienst gedacht: Im Mai hatten schwere Regenfälle und Überschwemmungen, besonders im Bundesstaat Rio Grande do Sul, die Gegend in den Katastrophenzustand versetzt, so dass nach wie vor Nothilfe für die Betroffenen sowie Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten Priorität haben. 

„In diesem Jubiläumsjahr richten wir das Augenmerk auf unser Kirche-Sein in diesem Land und unsere Rolle in dieser Gesellschaft – und nicht auf 200 Jahre deutsche Einwanderergeschichte“, unterstrich Pfarrerin Sílvia Genz, Kirchenpräsidentin der IECLB. „Wir wollen Kirche Jesu Christi in Brasilien sein.“ Durch die Flutkatastrophe erfährt diese Ankündigung eine ungeplante Bewährungsprobe, der sich die Kirche mit großem Engagement stellt. 

Zukunftsperspektiven entwickeln 

Teil des Jubiläumsjahres bildete im April auch eine groß angelegte Missionskonferenz (Fórum de Missão). Delegierte aus allen 18 Synoden – Ordinierte und Laien, Männer und Frauen, Alte und Junge – der IECLB kamen in São Leopoldo zusammen, um die Visionen, Ziele und Strategien der Kirche für die Jahre 2025 bis 2030 zu erarbeiten. „Wir haben zu vier Themenkomplexen gearbeitet, die jeweils dazu beitragen sollen, unseren weiteren gemeinsamen Weg als Kirche zu definieren“, so Genz. Dabei ging es um Verkündigung und Mission, Erziehung und Ausbildung für haupt- und ehrenamtlich Tätige, Gerechtigkeit aus ökonomischer, ethnischer, ökologischer und Gender-Perspektive sowie Verwaltung, Management und Kommunikation. Die Ergebnisse werden nun in Arbeitsgruppen beraten und abgestimmt. Beim nationalen Kirchenkonzil im Oktober sollen die Ziele dann verabschiedet werden. 

„Die rege Beteiligung am Fórum de Missão hat mir viel Hoffnung gemacht“, sagte die Kirchenpräsidentin, denn die IECLB stehe vor inneren und äußeren Herausforderungen. Die Einheit der Kirche zu erhalten und zu stärken stehe dabei ganz oben auf der Prioritätenliste.

Die Kirchenpräsidentin der IECLB, Pfarrerin Sílvia Genz, predigt in einem Gottesdienst in Nova Friburgo/RJ

Die Kirchenpräsidentin der IECLB, Pfarrerin Sílvia Genz, predigt in einem Gottesdienst in Nova Friburgo/RJ. Foto: IECLB

Einladende Kirche sein

„Wir wollen eine vielfältige und inklusive Kirche sein“, sagte Genz. Sie verwies auf japanische, türkische, koreanische und indigene Gemeinden, die es schon in der IECLB gibt. „Wir können aber noch einladender werden und Menschen unterschiedlicher Herkunft eine geistliche Heimat bieten.“ 

Ein Blick in die Geschichte macht klar, dass das nicht Selbstverständlich ist. In Brasilien wurde die Immigration von Nichtkatholiken durch die Verfassung des nun von Portugal unabhängigen Kaiserreichs (1822) ermöglicht, die zwar weiterhin die „katholische Religion“ als Staatsreligion betrachtete, andere Religionen jedoch zuließ. Diese durften sich allerdings nur in Privathäusern versammeln.  

1824 kamen die ersten lutherischen Einwanderer aus Europa nach Brasilien, einem Land, das von der portugiesischen Kolonialzeit und dem katholischen Glauben geprägt war. Unter ihnen waren auch zahlreiche Menschen lutherischen Glaubens aus Deutschland, die ihre Frömmigkeit im neuen Kontext pflegen und sich eine neue Existenz aufbauen wollten. 

Lutherische Christinnen und Christen, die meist einfache und oft arme Menschen waren, begannen bald, Schulen zu gründen. „Hier trafen sich die Gemeinden auch zu Gottesdiensten, und Lehrer nahmen vielfach pastorale Aufgaben wahr“, berichtet Genz. Es brauchte viele Jahre, bis sich die Menschen als Teil der Gesellschaft fühlten und ihre Rückzugstendenzen überwanden. 

Heute erfordert die theologische Vielfalt innerhalb der IECLB „die Fähigkeit und die Bereitschaft einander zuzuhören“, weiß die Kirchenpräsidentin. „Es gibt bei uns Menschen, die Wert legen auf die Traditionen, andere die eher politisch agieren wollen und die Befreiungstheologie hochhalten, aber auch pietistisch-evangelikal geprägte Menschen mit einer konservativen Frömmigkeit. Und dann gibt es auch Menschen mit pfingstlerische-charismatischer Prägung.“ 

Junge Menschen eröffnen das Jubiläumsjahr 

Der Start für die Jubiläumsfeierlichkeiten der IECLB fand bereits im Juli 2023 beim nationalen Kongress der Jugend, der 25. CONGRENAJE, statt. Hier versammelten sich mehr als 1.200 junge Menschen, um ihres Glaubens und ihrer Gemeinschaft zu vergewissern. Der Koordinator des Nationalen Rates der evangelischen Jugend, Natan de Oliveira Schumann, rief dazu auf, darüber nachzudenken, was angesichts des Jubiläums „das Wesentliche und Beständige in diesen sich wandelnden Zeiten“ sei. In seiner Ansprache erinnerte er die Teilnehmenden auch daran, was ihr Wesen und ihr Dienst in der Gesellschaft sein sollte: "Wir sind der Wohlgeruch Christi, wir sind Salz der Erde und Licht der Welt."

Die IECLB-Jugend eröffnet die Jubiläumsfeierlichkeiten während der 25. CONGRENAJE

Die IECLB-Jugend eröffnet die Jubiläumsfeierlichkeiten während der 25. CONGRENAJE. Foto: IECLB

LWB/A. Weyermüller