Rolle der Kirchen zur Stärkung des Gesellschaftsvertrags zwischen Regierungen und dem Volk
GENF, Schweiz (LWI) – Die COVID-19-Pandemie „hat gezeigt, dass wir eine soziale Absicherung für alle Menschen brauchen. Die Kirchen sind deshalb aufgefordert, die eigene Strategie für den Aufbau gerechter und inklusiver Gesellschaften zu überdenken.“
Während seiner Teilnahme an einer ökumenischen Konsultation zur „Förderung des Gesellschaftsvertrags“ hat Isaiah Toroitich, Leiter für globale Advocacy-Arbeit, darauf hingewiesen, dass sozialer Schutz nicht nur ein wichtiges ökonomisches Thema ist, sondern auch ein wichtiges Menschenrecht. Die Online-Tagung am 3. Februar befasste sich mit der Rolle der Kirchen und der aus dem Glauben handelnden Organisationen (FBOs) bei der Stärkung des Gesellschaftsvertrags zwischen den Regierungen und der Bevölkerung besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Lutherischen Weltbund (LWB) und Act Church of Sweden (CoS).
Die Konsultation erörterte Kommentare aus Afrika, Asien und Lateinamerika zu einem neuen Bericht, der von Act CoS und dem in London beheimateten Think Tank Development Pathways veröffentlicht wurde. Das Autorenteam Stephen Kidd und Gunnel Axelsso Nycander, politische Beraterin bei Act CoS, stellte fest, dass das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und der Regierung eine wichtige Voraussetzung für den Aufbau friedlicher und gerechter Gesellschaften sei. Beide argumentierten, dass universeller sozialer Schutz durch eine bezahlbare Gesundheitsversorgung, Bildung und Sozialleistungen entscheidend seien für den Aufbau dieser auf gegenseitigem Vertrauen basierenden Beziehung.
Nycander wies auf eine Resolution der LWB-Vollversammlung in Windhoek, Namibia hin. Darin heißt es, dass „Kirchen und FBOs eine entscheidende Rolle zukommt, wenn es darum geht, sich aktiv für eine gerechte Gesellschaft und die Sicherung von sozialem Schutz für alle einzusetzen.“ Die Resolution bekräftigt ebenfalls „einen durch die öffentliche Hand finanzierten sozialen Schutz als einen moralischen Imperativ und als ein Menschenrecht für alle, insbesondere für jene, die durch die gegenwärtigen ökonomischen und entwicklungsmäßigen Gegebenheiten unsichtbar gemacht worden sind.“
Kidd rekapitulierte, wie europäische Nationen öffentliche Dienste und einen universellen sozialen Schutz entwickelt hätten, um ihre Gesellschaften nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufzubauen. Auf der anderen Seite, so stellte er fest, führten schwache Gesellschaftsverträge zu Brüchen und Konflikten und letztlich zu Staatsversagen. Darüber hinaus sind universelle Leistungen für Kinder, ältere Menschen, Arbeitslose oder Menschen mit Behinderungen deutlich effektivere Maßnahmen der Armutsbekämpfung als speziell auf die Armen abzielende Programme, denn diese, so behauptet Kidd, würden die bedürftigsten Personenkreise gar nicht erreichen.
In ihrer Antwort auf den Bericht stellte Isobel Frye, Direktorin des südafrikanischen Instituts Studies in Poverty and Inequality, die Relevanz des Berichts für zahlreiche Länder im globalen Süden in Frage, wo das tiefe Misstrauen zwischen Regierungen und Bevölkerung bis in die Kolonialzeit zurückgehe. Sie fügte hinzu, dass die Verfassung in ihrem Land soziale Unterstützung für alle Menschen garantiere, dass das Problem jedoch die ungleiche Verteilung sei. Die Fähigkeit der Regierung, ihre Versprechen einzuhalten, werde durch multinationale Bergbauunternehmen verhindert, die keine Steuern zahlen, aber wichtige Ressourcen und Gewinne aus dem Land abziehen.
Kirchen können Narrative über Stigmatisierungen ändern
Annabella Sibrián aus Guatemala sagte, ihr Land sei das beste Beispiel für den Teufelskreis aus einer Politik geringer Investitionen in öffentliche Dienste sowie der Privatisierung der Gesundheitsversorgung und Bildung und einer daraus resultierenden Ablehnungs- und Protesthaltung gegenüber der Regierung, der Korruption und „reicher Eliten, die keine Steuern zahlen wollen.“ Sibrián, die eine internationale Plattform gegen Straffreiheit leitet, erklärte, dass FBOs „Narrative über die Stigmatisierung der Armen ändern können, die nur zu weiteren Ungleichheiten führt.“ Kirchen, so erklärte sie, „müssen ihrer prophetischen Mission treu bleiben, Ungleichheiten anprangern und einen neuen Gesellschaftsvertrag auf Grundlage der universellen Menschenrechte fordern.“
Pfarrer Philip Peacock aus Indien wies darauf hin, dass die ständige Kürzung von Investitionen der Regierung in das Gesundheitssystem in den vergangenen Jahren in seinem Land zu einem Zusammenbruch der öffentlichen Gesundheitsversorgung während der COVID-19-Pandemie geführt habe. Peacock, Referent für Gerechtigkeit und Zeugnis der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen und Mitglied der Initiative für eine neue internationale Finanz- und Wirtschaftsarchitektur (NIFEA), erklärte, die Krise habe 1991 begonnen. Indien unterzeichnete damals das Strukturanpassungsprogramm der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, dessen Konditionalität die Kürzung öffentlicher Ausgaben vorschrieb, damit die Kredite überhaupt gewährt wurden. Kirchen, so Peacock weiter, müssten „anhaltend kritisch“ gegenüber Staaten und Institutionen sein „um sicherzustellen, dass diese im Interesse der Menschen handeln.“
Die Teilnehmenden wiesen darauf hin, dass der Reichtum der wohlhabendsten Milliardäre während der Pandemie beträchtlich zugenommen habe. Gleichzeitig sind diejenigen am unteren Ende der Einkommensskala am härtesten betroffen und leiden weiterhin darunter, dass Regierungen öffentliche Ausgaben noch stärker kürzen. Uhuru Dempers, Leiter des Referats für soziale Entwicklung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Republik Namibia, erklärte, dass reiche Bergbauunternehmen in seinem Land keine Steuern zahlten und darin noch von Investoren in den westlichen Ländern unterstützt würden. Als die Regierung versucht habe, das Steuerregime im Bergbau zu ändern, erklärte Dempers, habe Namibias Premierministerin „Drohbriefe erhalten, in denen die Folgen der Abschreckung von Investoren durch ungünstige Rahmenbedingungen an die Wand gemalt wurden.“