„Es war Berufung. Mir war klar, dass ich einfach etwas tun muss“, sagt Thanasis, der seine Anstellung in einer Fabrik aufgab, um den Migrierenden und Geflüchteten zu helfen, die auf die griechische Insel Lesbos kamen.
Thanasis arbeitet auf Lesbos für #LeaveNoOneBehind
(LWI) – Für Thanasis, der auf einer griechischen Insel in der Nähe von Athen geboren wurde, war es eine Art Damaskuserlebnis, das ihn nach Lesbos führte, um dort ein neues Leben zu beginnen und Migrierenden und Geflüchteten aus Seenot zu retten. Er war Manager für Vertrieb und Logistik in einer Aluminiumfabrik und eines Tages auf dem Festland im Auto unterwegs, als er im Radio hörte, dass eine Gruppe Kinder, die einen Schiffbruch überlebt hatte, von der Küstenwache in einem kleinen Boot zurück aufs Meer geschoben worden waren und gestorben sind.
„Für mich war das in dem Moment einfach eine Berufung“, erinnert er sich. „Es kam ein Mann zu Wort, der berichtete, dass er hätte mit ansehen müssen, dass seine Kinder von der Küstenwache mit einem Tritt zurück aufs Wasser geschoben wurden. Sie hätten diese Kinder retten können und haben es nicht getan. Ich musste erstmal innehalten. Es brach mir das Herz, ich war wütend, bin fast explodiert, und ich wusste, dass ich etwas tun musste.“
Heute arbeitet Thanasis auf Lesbos für #LeaveNoOneBehind, eine in Deutschland ansässige Hilfsorganisation, die Menschen auf der Flucht unterstützt. In der dritten Folge der Podcast-Reihe „Living as Neighbours“ (in guter Nachbarschaft zusammenleben), die eine gemeinsame Initiative vom Lutherischen Weltbund und dem Netzwerk „A World of Neighbours“ ist, erzählt er seine Geschichte.
Von Arbeit in Fabrik zur Seenotrettung
Thanasis wurde in der Stadt Chalkida auf der Insel Euböa geboren, die über eine Brücke mit dem Festland verbunden ist, und sagt, dass er viele Jahre „ein ganz normales Leben“ geführt habe. In der Fabrik habe er viele pakistanische Kolleginnen und Kollegen gehabt und als er in der Landwirtschaft tätig gewesen sei, habe er eng mit indischen Immigrantinnen und Immigranten zusammengearbeitet. „Ich bin schon immer sehr offen gewesen, habe es akzeptiert, dass Menschen unterschiedlich sind, und habe die Menschen in unserer Nachbarschaft in der Stadt immer gegrüßt.“
Aber die Nachricht, dass Flüchtlinge, die versuchten in sein Land zu kommen, wieder zurück aufs Meer gestoßen wurden, war 2014 ein Wendepunkt für ihn. Wie die meisten Menschen in Griechenland damals litt auch Thanasis unter den Sparmaßnahmen, die die Regierung des Landes beschlossen hatte, um der Finanzkrise im Land Herr zu werden. Sein Gehalt wurde um die Hälfte gekürzt; viele andere Menschen verloren ihre Arbeit komplett. „Ich war damals 38 Jahre alt und mein Job bedeutete mir alles, aber mir war klar, dass ich nach Lesbos gehen musste. Ich konnte an nichts anderes mehr denken“, sagt er.
Ein Jahr später, im September 2015, nahm er seine gesamten Ersparnisse und ging nach Lesbos, wo zu diesem Zeitpunkt zehntausende Flüchtlinge aus der Türkei und anderen Ländern ankamen – viele weitere aber auch in notdürftig zusammengeflickten Booten, die in den plötzlichen Unwettern kenterten, starben. Nur zwei Tage später, steht er zusammen mit anderen Freiwilligen bis zum Hals im Meer und trägt Menschen an Land.
Neuer Lebenssinn
„In der ersten Nacht war es chaotisch und kompliziert: Da waren ungefähr 150 Menschen in einem Holzboot, nicht weit vom Ufer entfernt, aber sie gerieten in Panik, so dass Wasser ins Boot lief. Wir waren etwa 20 Freiwillige und jemand, der Arabisch sprach; wir erklärten ihnen, wie sie das Boot im Gleichgewicht halten sollten, und haben sie dann alle einzeln auf unseren Schultern an Land getragen.“
Thanasis engagierte sich dreieinhalb Jahre lang als freiwilliger Helfer und arbeitet seither für verschiedene Nichtregierungsorganisationen, die Neuankömmlinge auf Lesbos unterstützen. „Es ist wie eine Sucht, wenn man weiß, dass man Menschen helfen muss, die in Gefahr sind, aber es hat meinem Leben einen Sinn gegeben“, berichtet er. Er rechnet, dass auf dem Höhepunkt der Krise „rund 300.000 Menschen auf die Insel gekommen sind, und ich war an Land und habe etwa 80 Prozent dieser Menschen von den Booten runtergeholt“.
Anfangs, erinnert er sich, wollten seine Landsleute helfen und waren gute Nachbarn. Insbesondere die ältere Generation erinnerte sich noch gut an den Krieg und wusste, was es heißt, arm und bedürftig zu sein. „Aber dann änderte sich die Lage; viele europäische Länder machten ihre Grenzen dicht und unsere Regierung wusste nicht, wie sie mit einer Million Menschen fertig werden sollte. Es gab viel falsche Berichterstattung und es wurde viel gehetzt.“ Seit 2020, sagt er, sei Lesbos militarisiert, alle möglichen Spezialeinheiten seien dorthin verlegt worden.
„Unter diesen neuen Gegebenheiten werden die Flüchtlinge als Feinde [gesehen], daher ist es illegal, ihnen zu helfen. Es wird immer noch ein stiller Krieg geführt. Anfangs haben wir mit der Küstenwache zusammengearbeitet, aber inzwischen ist es gefährlich, wenn sie mein Auto sehen, und es werden auf der Insel viele Prozesse gegen Aktivistinnen und Aktivisten und Medienschaffende geführt.“ „Aber ich habe nicht vor, zu gehen. Diese Arbeit hat einen besseren Menschen aus mir gemacht. Es ist nicht einfach, aber wir müssen einfach tun, was richtig ist. Ich sage immer: Heute sind sie betroffen, beim nächsten Mal sind es vielleicht wir.“
The Living as Neighbours podcast is a joint initiative of the Lutheran World Federation and A World of Neighbours network, which supports people helping migrants and refugees across the European continent. The project is supported by the German government through the Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Each of the eight episodes features ordinary individuals doing extraordinary work to help the most vulnerable people stranded along some of Europe’s remotest borders.