Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, Pavel Pokorný, über Hoffnung für ungewisse Zukunft
(LWI) – Als kleiner Junge, der unter kommunistischer Herrschaft in der Tschechoslowakei aufgewachsen ist, wurde Pavel Pokorný entscheidend von der protestantischen Kirche, in die seine Familie ging, und der Leidenschaft seines Vaters für die Naturwissenschaften geprägt. Beides trug dazu bei, dass er ein neugieriger Mensch wurde, ein Mensch, der Zweifel und Fragen zulässt, der immer neue Einblicke in einzelne Aspekte des Lebens anderer Menschen sucht und entdeckt und um ein umfassenderes Verständnis vom Kosmos und unserem Platz darin bemüht ist.
Eine besondere Begegnung mit einer Jugendgruppe während der Sekundarschulzeit war ein Wendepunkt für ihn, denn er erkannte seine Berufung in das ordinierte Amt, um anderen Menschen von der Freiheit zu erzählen, die er im Glauben für sich gefunden hatte. Es war der Beginn einer Reise, die ihn in eine Führungsposition – sein offizieller Titel lautet Synodalsenior – der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, der größten protestantischen Kirche in der Tschechischen Republik, führte.
Wichtige Meilensteine auf diesem Weg seien beispielsweise die Seniorinnen- und Seniorenarbeit, die Krankenhaus- und Hospizseelsorge sowie die Arbeit in einer ökumenischen Arbeitsgruppe gewesen, sagt Pokorný, als er über die Zukunft des christlichen Glaubens in der zunehmend säkularisierten Gesellschaft in seinem Heimatland spricht.
Erzählen Sie uns zunächst etwas über Ihre Familienverhältnisse.
Gerne. Die Geschichte meiner protestantisch-christlichen Familie reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Unsere Vorfahrinnen und Vorfahren waren nach dem Erlass des Toleranzpatents (das nicht-katholischen Christinnen und Christen im Habsburgerreich Religionsfreiheit zusicherte) aus Ungarn in die böhmischen Länder gekommen. Andere Zweige der Familie kommen aus unterschiedlichen Regionen der böhmischen Länder, so dass wir wie fast alle Menschen in Mitteleuropa also eine Mischung davon sind.
Meine Familie ist fest in der Kirche verwurzelt und meine Eltern haben sich immer sehr in der Gemeinde engagiert. Mein Großvater war Pastor, während mein Vater Geologe war. Das war sehr interessant für mich, denn mein Vater war überzeugt, dass sich der Kosmos über Jahrmillionen entwickelt hat. Er hat mit meinem Bruder, meinen beiden Schwestern und mir immer gerne über seine naturwissenschaftliche Geisteshaltung gesprochen: das konstante Zweifeln und das wiederholte Fragen stellen, um neue Dinge zu entdecken. Auch für uns Theologie-Fachleute ist das ein guter Ansatz, um flexibel zu bleiben in unserem Denken.
Sie sind also in der Kirche aufgewachsen, aber gleichzeitig in einer sehr säkularisierten, kommunistischen Gesellschaft?
Ja. Ich bin gläubiger Christ und hatte viele Freunde, die nicht gläubig waren. Aber wir haben einfach gemacht, was verrückte junge Burschen eben so tun, ohne dass wir Unterschiede zwischen uns bemerkt hätten. Es war wie für ein Kind, das zweisprachig aufwächst. Ich habe mich in beiden Kontexten zu Hause gefühlt und keiner der beiden fühlte sich bedrohlich an.
Das ist auch heute noch so: Meine christliche Identität ist mir sehr wichtig, aber das heißt nicht, dass es zwischen mir und nicht-gläubigen Menschen, denen ich begegne, eine verhängnisvolle Kluft gibt, denn mit allen Menschen haben wir Gemeinsamkeiten, aber auch Aspekte, in denen wir uns unterscheiden.
Wann haben Sie entschieden, dass Sie Pastor werden wollen?
Mit ungefähr 17 bin ich einer Gemeinschaft beigetreten, die zwar lose mit der Kirche verbunden, aber eigentlich einfach eine informelle Gruppe von Freunden war. Die Gruppe stand allen jungen Menschen offen und wurde von zwei Pastoren geleitet. Wir haben uns auf einem Bauernhof auf dem Land getroffen. In der damaligen Zeit des politischen Totalitarismus war diese Gruppe für mich eine Gemeinschaft der Freiheit – eine Insel der freien Meinungsäußerung und des gegenseitigen Vertrauens, wo wir uns über die wichtigen Fragen des Lebens austauschen konnten.
Mir ist damals aufgefallen, dass die beiden Pastoren die Gruppe nicht im eigentlichen Sinn leiteten, sondern sich vielmehr im Hintergrund hielten, zuhörten, Verständnis hatten, uns unterstützten. Mir wurde klar, dass es ohne sie trotzdem keine Gemeinschaft geben würde. Das war eine so beeindruckende Beobachtung, dass ich beschloss, Theologie zu studieren, denn das war in meinen Augen etwas sehr wertvolles, das es auch für zukünftige Generationen geben sollte.
Wo und wann haben Sie studiert?
Ich habe mein Studium 1979 in Prag begonnen. Das war damals und ist auch heute noch die einzige Fakultät für evangelische Theologie hier bei uns. 1987 wurde ich ordiniert, aber zuvor musste ich noch zwei Jahre in der Armee dienen, was sehr anstrengend war. Ich hatte keinen Kontakt zu meiner Familie oder meiner Gemeinde. Theologie-Studierende galten damals grundsätzlich als Gegner des kommunistischen Regimes, weshalb wir sehr genau beobachtet wurden und die Zeit in der Armee keine sehr schöne Erfahrung war.
In welcher Gemeinde waren Sie nach Ihrer Ordination erstmals Gemeindepfarrer?
Ich ging zunächst nach Ostböhmen in das so genannte Sudetenland, aus dem die Deutschen, die dort gelebt hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden waren und wo sich dann tschechische Menschen aus anderen Landesteilen niedergelassen hatten. Es war eine spezielle Mischung von Menschen, die sich nicht kannten und sich aufgrund der Schreckensherrschaft der kommunistischen Partei nicht über den Weg trauten.
Als ich Ende der 80er Jahre dorthin kam, gab es in meiner Gemeinde Menschen, die nicht miteinander sprachen. Wenn ich ältere Menschen zu Hause besuchte, sagten sie mir oft, „wir fühlen uns hier nicht zu Hause“. Das war schrecklich: Sie lebten seit 40 Jahren an einem Ort, an dem sie sich nicht zu Hause fühlten. Ich fühlte mich so ohnmächtig – was konnte ich diesen Menschen für ihren Lebensabend denn bieten?
Durch diese ganze Situation wurde mir bewusst, dass politische und historische Veränderungen Auswirkungen auf eine ganze Generation haben können. Ich lernte aber auch viel, denn gerade aus dem Studium kommend dachte ich ja, dass ich jetzt wüsste, wie man predigt und den Menschen alles erklärt. Ich blieb zwölf Jahre in dieser Gemeinde und diese zwölf Jahre waren eine wirklich gute Übung für mich.
Sie haben auch in den USA studiert, richtig?
Ja, denn weil ich erlebt hatte, wie schwierig die Seelsorge sein kann, hatte ich das Gefühl, nicht ausreichend qualifiziert zu sein. Ich wollte noch mehr studieren und mir darüber Gedanken machen. Ich ging nach Texas an das Austin Presyterian Theological Seminary und habe mein Praxis-Modul in der Krankenhausseelsorge gemacht. Als ich nach Prag zurückkehrte, bat mich der Synodalrat meiner Kirche, in einer ökumenischen Arbeitsgruppe mitzuarbeiten, die gerade eine Krankenhausseelsorge in der Tschechischen Republik aufbaute, weil es das in der Zeit des Kommunismus natürlich nicht gegeben hatte.
Zwar hatte ich in US-amerikanischen Krankenhäusern Erfahrungen gesammelt, aber in tschechischen Krankenhäusern lief alles ganz anders. Ich nahm also eine Teilzeitstelle in einem Krankenhaus an und wurde parallel Mitglied in dieser ökumenischen Arbeitsgruppe. Wir haben die Seelsorge für das nationale Gesundheitssystem aufgebaut. Es war eine sehr interessante ökumenische Erfahrung, einfach nur eine Runde von – hauptsächlich evangelischen und katholischen – Pfarrpersonen zu sein, die bedürftigen Menschen in den Krankenhäusern helfen wollen.
Mit welchen Herausforderungen sind Pfarrpersonen in der Tschechischen Republik, einem der säkularisiertesten Länder weltweit, heute konfrontiert?
Ich würde sagen, die Menschen haben viele unterschiedliche Sichtweisen, auch wenn die meisten Menschen nicht Mitglied in der Kirche sind. Wenn man mit ihnen spricht, stellt man fest, dass ihre persönlichen Überzeugungen unseren christlichen Glaubensüberzeugungen sehr ähnlich sind. Die Tschechische Republik war einmal ein christliches Land und ich denke, dass das die Vorstellungen der Menschen unterbewusst immer noch irgendwie prägt.
Darüber hinaus gibt es Menschen, die sich den östlichen Religionen zugehörig fühlen, und Anhängerinnen und Anhänger ganz unterschiedlicher esoterischer Überzeugungen oder New Age-Religionen sowie Menschen mit einer sehr säkularen oder materialistischen Mentalität. Ich denke, es ist ähnlich wie in vielen anderen traditionell christlichen Ländern, aber versteckter unter der Oberfläche. Ich glaube, in unserem Fall kann es ein Vorteil sein, dass die Menschen nichts vorspielen müssen, sondern ganz offen sagen können, ob sie gläubig sind oder nicht.
Welche Rolle spielt die Kirche, die Sie leiten, in diesem Kontext?
Ich denke, dass sich viele Chancen bieten, weil es so viele verschiedene Sichtweisen gibt. Wir müssen die verschiedenen Lebensarten und Überzeugungen erkennen, wobei diese auch persönlich und individuell bleiben müssen. Von groß angelegten Kampagnen halte ich nicht viel; ich vertraue eher auf kleine, persönliche und seelsorgerische Missionen. Das verlangt, dass man sich wirklich dafür interessieren muss, wer die Menschen sind und mit welchen Fragen sie ringen.
Ich glaube, die Rolle der Kirche im öffentlichen Raum muss sein, eine von vielen Stimmen zu sein. Die Kirche darf sich nicht nur für den Erhalt der eigenen Institutionen einsetzen, sondern muss für die Schwachen eintreten. Wir müssen den Mut finden, Vertrauen zu haben und uns immer wieder bewusst zu machen, dass wir zu Christus gehören, dass aber Christus uns nicht gehört.
Blicken Sie also hoffnungsvoll in die Zukunft der Kirche?
Ich arbeite nicht nur in der Krankenhausseelsorge, sondern auch in einem Hospiz und ich musste viel über das Thema Hoffnung nachdenken. Ich bin überzeugt, dass Hoffnung im biblischen Sinn eine Art Geschenk von Gott ist und nicht von irgendwelchen messbaren Fakten abhängt. Ich mag meine Kirche als Institution mit ihren vielen Traditionen. Aber ich denke auch, dass selbst wenn sie als solche keine Zukunft hat, das für mich nicht das Ende des Evangeliums, der Geschichte von Gott und der Welt und der Menschheit, bedeuten wird. Ich bin hoffnungsvoll, weil sich meine Hoffnung nicht nur auf diese Welt und unsere eigenen Traditionen bezieht.
Was bedeutet es für Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?
Auf meinen Alltag hat das keine Auswirkungen, aber immer, wenn wir in größerem Kreis zusammenkommen, kann ich die umfassendere Gemeinschaft von christlichen Gläubigen erkennen und das macht mir Mut. Es ermöglicht eine umfassendere Sicht auf die Dinge und ich denke, auf emotionaler und intellektueller Ebene macht es uns bewusst, dass wir mit anderen Menschen verbunden sind. Und es hilft mir persönlich, über meine Arbeit und mein Zeugnis für den christlichen Glauben – unser Zeugnis für den christlichen Glauben als Kirche in der Tschechischen Republik – nachzudenken.