Konzept „Zusammenleben“ ist in vielfältigen Kontexten anwendbar
Vor dem Hintergrund der Finanzkrise, von der fast ganz Europa seit 2008 betroffen ist, hat eine Kerngruppe lutherischer Fachleute einen breiten Rahmen für einen Aktionsplan zur Reformierung der Diakonie in Gemeinschaft konzipiert.
VertreterInnen aus allen drei europäischen Regionen des Lutherischen Weltbundes (LWB) einigten sich auf den Entwurf, der praktische Massnahmen mit einer gemeinsamen Strategie für einen ganzheitlicheren diakonischen Ansatz verbindet, der in der Diakonie Tätigen wie EntscheidungsträgerInnen in den europäischen Kirchen Hilfestellung geben soll.
Die „Solidaritätsgruppe“ von Diakoniefachleuten und PädagogInnen aus 14 europäischen Ländern beschloss bei einem Workshop, der vom 16. bis 19. Januar in Odessa (Ukraine) stattfand, auch einen Umsetzungsprozess. Der Workshop gehört zu einer Serie von Veranstaltungen, die seit Dezember 2011 läuft und unter dem Thema „Zusammenleben anstreben: Neugestaltung der Diakonie in Gemeinschaft in Europa“ steht. Das der Abteilung des LWB für Mission und Entwicklung angegliederte Europareferat koordiniert die Initiative in Zusammenarbeit mit der Internationalen Akademie für Diakonie und soziales Handeln (interdiac), Český Těšín (Tschechische Republik).
Die Teilnehmenden an dem Workshop in Odessa betonten, das Konzept „Zusammenleben“ habe zentrale Bedeutung für die diakonische Arbeit in Europa. Der Begriff weise darauf hin, dass wechselseitige Beziehungen zwischen Menschen das Fundament von Gemeinschaften bilden, und bekräftige die Achtung vor Menschen wie auch Gruppen, die „anders“ sind. Diakonie, so ihr Fazit, „wurzelt im Gemeindeleben und Gemeindeleben bedeutet Leben in Gemeinschaft und Nachbarschaft“.
Betont wurde weiterhin, der LWB sei zwar eine Kirchengemeinschaft, die lutherischen Kirchen seien jedoch mit vielfältigen Kontexten und Realitäten konfrontiert. Der Arbeitsprozess der Gruppe sei partizipatorisch angelegt und fördere Vertrauen zwischen den einzelnen Beteiligten sowie Identifikation mit dem Gesamtprozess. Er vertiefe zudem das Verständnis für die Probleme des jeweiligen Kontexts und biete gleichzeitig Raum, voneinander zu lernen und einander kritisch zu hinterfragen.
Zur besseren Umsetzung der Ergebnisse des aktuellen Prozesses erarbeiteten die Teilnehmenden in Odessa individuelle Aktionspläne und gingen Partnerschaften ein. Sie sprachen sich dafür aus, der abschliessende Bericht und Aktionsplan solle die unterschiedlichen Situationen in Europa berücksichtigen und einzelne wie auch gemeinsame Projektpläne enthalten, die Fragen der sozialen Gerechtigkeit in Bezug setzen zum Thema gerechte Wirtschaft.
Lernerfahrungen der Teilnehmenden
Pfr. Tony Addy, Leiter der Ausbildungsabteilung bei interdiac, betonte, Hauptergebnis des Workshops in Odessa sei nicht nur die Erarbeitung von Aktionsplänen durch die einzelnen Teilnehmenden und die Skizzierung der allgemeinem Konzepte und Methoden. „Wir vertiefen Beziehungen und Lernerfahrungen unter den Teilnehmenden und sind unmittelbar mit den echten Lernerfahrungen aus Osteuropa konfrontiert – nicht als Randnotiz, sondern als wesentlicher Teil des Prozesses. So hat Osteuropa eine deutlich gleichberechtigtere Stimme“, legte Addy dar.
Er führte weiter aus, dass die Ausgangsposition der Gruppe zu Beginn ihrer Arbeit eine Integration verschiedener Ansätze erfordert habe, etwa von Konzepten aus Ländern wie Deutschland, wo es eine 150-jährige diakonische Tradition gebe, oder aus Osteuropa, wo diese Tradition während des Kommunismus unterbrochen wurde und die soziale Arbeit der Kirche hauptsächlich durch informelles Engagement von Gemeinden oder Einzelpersonen erfolgte. In diesen Ländern konnte eine organisierte Diakonie erst nach Öffnung des Eisernen Vorhangs, der Europa mehr als 40 Jahre teilte, wieder neu entstehen.
Aus Sicht von Janka Adameová, Geschäftsführerin von interdiac, hat der Workshop ein vertieftes Verständnis zwischen den drei Regionen Mittel- und Osteuropa, Mittel- und Westeuropa sowie Nordische Länder gebracht. Bisher habe lediglich ein allgemeines Verständnis von Diakonie existiert, das hauptsächlich von den PartnerInnen in Westeuropa vorgegeben war. „Die osteuropäischen Länder waren gewöhnlich unterrepräsentiert“, so Adameová.
Sie rief auch dazu auf, den Begriff Europa nicht mit der Europäischen Union gleichzusetzen. Die Perspektive auf die Region solle auch die Ukraine, Armenien, Georgien sowie Teile Russlands einbeziehen.
Die Aktionspläne enthalten eine globale Strategie, die bisherigen Ergebnisse des Prozesses für die europäische Ebene der LWB-Strukturen sowie für Länder zu erschliessen, die in der Solidaritätsgruppe nicht vertreten sind.
Gunnel Claesson von der Schwedischen Kirche sprach vielen Teilnehmenden aus dem Herzen: „Wir wollen nicht, dass das Dokument in einem Regal steht, es sollte in der praktischen Arbeit angewendet werden.“
Die LWB-Europareferentin, Pfarrerin Dr. Eva Sibylle Vogel-Mfato, erläuterte, die nächste Phase des Prozesses sei von entscheidender Bedeutung, da es nun um die Anwendung der Methoden gehe, die für die jeweiligen Aktionspläne entwickelt wurden.
„Jetzt nehmen die Teilnehmenden die diakonischen Ansätze und Methoden, die im Prozess herausgearbeitet wurden, mit in ihre Arbeit vor Ort, in die politische wie strukturelle kirchliche Ebene. Bei unserem nächsten Treffen werden wir uns damit befassen, was sich hat umsetzen lassen, was nicht wie geplant verwirklicht werden konnte und warum, und wir werden Strategien entwickeln, wie für Menschen und Gruppen, die am Rand stehen, sinnvoller Wandel bewirkt werden kann“, führte Vogel-Mfato aus.
Die Gruppe kommt im Januar 2014 zu ihrem nächsten Workshop zusammen.
(Ein Beitrag von Anli Serfontein, Berlin.)