Schatzmeisterin Milita Poskiene über die Bedeutung der Zugehörigkeit zu einer weltweiten lutherischen Familie
(LWI) – Die Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirche Litauens lässt sich bis zu den Anfängen der Reformation zurückverfolgen, als Preußen im Jahr 1525 zu einem lutherischen Staat wurde – eine Entwicklung, die die Ausbreitung des Protestantismus in der Region maßgeblich beeinflusste. Im Jahr 1555 wurde in Vilnius eine lutherische Gemeinde gegründet, und 1558 ließ sich eine weitere in Kaunas nieder. Im Laufe der Jahrhunderte hat die Verwendung der regionalen Sprachen in der kirchlichen Liturgie in erheblicher Weise dazu beigetragen, ihr Überleben während der aufeinander folgenden Kolonisierungswellen im Ostseeraum zu sichern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Zahl der lutherischen Gemeinden in dem mehrheitlich katholischen Land jedoch stark zurück. Kirchen standen leer, und es gab nur noch eine Handvoll ordinierter Geistlicher. In der darauffolgenden Zeit der sowjetischen Besatzung wurden Christen und Christinnen wegen ihres Glaubens verfolgt. Viele wurden nach Sibirien verbannt, andere wanderten nach Deutschland, in die USA oder nach Lateinamerika aus.
Milita Poskiene ist Schatzmeisterin dieser kleinen Kirche und arbeitet an der Seite von Bischof Mindaugas Sabutis in der Zentralverwaltung in der Landeshauptstadt Vilnius. Sie wurde auf der Dreizehnten Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Krakau, Polen, zum Mitglied des LWB-Rates gewählt. Im Rahmen der ersten Ratstagung sprach sie über ihren eigenen Glaubensweg und über ihre Hoffnungen für die Zukunft der Kirche in ihrem Land.
Sie stammen aus einer gemischt lutherischen und katholischen Familie, richtig?
Ja, die Familie meines Vaters ist katholisch. Die Familie meiner Mutter ist lutherisch und kann ihre Wurzeln bis zu den österreichischen Geflüchteten zurückverfolgen, die während der Glaubensverfolgungen im 18. Jahrhundert aus Salzburg vertrieben worden waren.
Ich wurde heimlich katholisch getauft, aber wir praktizierten unseren Glauben überhaupt nicht, weil mein Vater Polizeichef war. Er hätte seine Arbeitsstelle riskiert, wenn meine Eltern während der Sowjetzeit offen in die Kirche gegangen wären. Wir konnten erst nach Michail Gorbatschows Perestroika-Reformen wieder in die Kirche gehen.
Was waren Ihre ersten Berührungspunkte mit der Kirche?
Wir lebten mit meiner Großmutter zusammen, und auch sie hütete sich davor, offen über ihren Glauben zu sprechen, weil sie der Familie keine Probleme bereiten wollte. Aber ich sah, wie sie still betete und in der Bibel las, ihrem kostbarsten Besitz. Ich fragte mich, was wohl in diesem Buch mit den seltsamen gotischen Buchstaben stand.
Ich war im Zwiespalt: einerseits wollte ich wirklich mehr darüber erfahren, aber andererseits erinnere ich mich an ein Vorkommnis in meiner Grundschule. Unsere Lehrerin fragte, ob jemand in der Klasse zur Kirche gehe. Ein mutiger Junge stand auf. Die Lehrerin erklärte daraufhin vor der ganzen Klasse, dass dieser Junge „zurückgeblieben“ sei, weil er immer noch an erfundene Geschichten glaube.
Wie haben Sie dann mehr über den christlichen Glauben erfahren?
Schon als Kind habe ich gerne gelesen, und als Jugendliche begann ich mich für Philosophie zu interessieren. Dadurch beschäftigte ich mich intensiver mit der Geschichte der Kirche. Wir wohnten in der gleichen Stadt wie unser früherer lutherischer Bischof, und so kam ich mit ihm in Kontakt. Schließlich wurde ich von ihm im Alter von 16 Jahren konfirmiert.
Nach der Schule habe ich einen Bachelor-Abschluss in Theologie gemacht und dann Pädagogik studiert, um an einer Schule unterrichten zu können. Gleichzeitig wollte ich auch in der Kirche arbeiten, und so begann ich, in der Verwaltung mitzuhelfen. Ich brauchte eine ordentliche Ausbildung, also habe ich einen Master in Wirtschaftswissenschaften gemacht, um die Finanzmärkte zu verstehen. So kam es, dass ich Schatzmeisterin wurde. Gleichzeitig bin ich froh über meinen theologischen Hintergrund, der mir auch sehr hilft, weil ich glaube, dass alles im Leben zusammenhängt.
Sie waren Jugenddelegierte bei der Zehnten Vollversammlung des LWB in Winnipeg – was ist Ihnen von dieser Erfahrung am eindrücklichsten in Erinnerung geblieben?
Das war meine erste Erfahrung mit der globalen Kirche, und ich erinnere mich, dass ich dachte: So sollte die Welt aussehen! Es war so ein gutes Gefühl, mit allen dort ins Gespräch zu kommen und von ihnen akzeptiert zu werden. An diesem Ort habe ich zum ersten Mal verstanden, dass Vielfalt eine echte Bereicherung ist, wenn man sie mit offenem Herzen und ohne Vorurteile annimmt.
Viele befürchten, dass die Akzeptanz der Vielfalt den Verlust der eigenen Identität bedeutet, aber ich habe gesehen, dass es einfach bedeutet, die lutherische Familie besser zu verstehen. Diese Erfahrung hat meinen Horizont erweitert, und das hat mir seither in so vielen verschiedenen Lebenssituationen geholfen.
Nach dieser Versammlung waren Sie schon einmal Mitglied des Rates und sind gerade wiedergewählt worden – welche Hoffnungen haben Sie für die kommenden Jahre?
Wie Sie wissen, sind die drei baltischen Staaten abwechselnd im Rat vertreten. Jetzt gerade ist Litauen wieder an der Reihe, was mehr Sichtbarkeit für unsere kleine Kirche bedeutet.
Es gibt Unterschiede zu meiner ersten Amtszeit. Zum Beispiel unterhält der LWB mehr Programme als früher, und es gab auch viele personelle Wechsel. Aber die Aufgabe ist die gleiche geblieben, denke ich. Ich bin im Finanzausschuss und werde mein Bestes tun, dessen wichtige Arbeit durch mein Fachwissen zu unterstützen.
Was bedeutet es für Ihre Kirche, Teil des LWB zu sein?
Ich denke, es bedeutet dasselbe wie zur Zeit unseres Beitritts im Jahr 1967, aber in einem ganz anderen Kontext. Damals waren wir eine völlig geschlossene Gesellschaft. Wir konnten nicht reisen, und unsere Kirche war isoliert. Der Beitritt bot uns die Möglichkeit, auf andere zuzugehen und von der ganzen lutherischen Familie bereichert zu werden. Heute ist unsere Situation eine andere, aber das Ziel ist das gleiche: voneinander zu lernen, miteinander zu teilen und von anderen Kirchen in anderen Teilen der Welt bereichert zu werden.
Was werden Sie Ihrer Kirche über Ihre Erfahrungen auf der ersten Ratstagung seit der Krakauer Vollversammlung mitteilen?
Als Mitglied des Konsistoriums unserer Kirche werde ich meine Erfahrungen an die Mitglieder dieses Gremiums weitergeben. Sie sind sehr interessiert daran, was anderswo passiert. Die Basis zu erreichen ist da schon schwieriger. Es ist Sache der Pfarrpersonen, Informationen an die Menschen in ihren Gemeinden weiterzugeben. Aber zurzeit sind nur etwa 22 Pfarrstellen besetzt. Viele Kirchen stehen leer, und es gibt momentan keinen Nachwuchs, der sich auf die Ordination vorbereitet.
Welche Hoffnungen hegen Sie für die Zukunft der Kirche in Litauen?
Wir sind sehr besorgt und diskutieren viel darüber, wie wir diesen Herausforderungen begegnen können. Wir bitten unsere Pfarrpersonen, mit jungen Menschen zu sprechen und sie zum Theologiestudium zu ermutigen. Zum anderen müssen wir viel beten. Wir bitten die Menschen, unsere Kirche in ihre Gebete mit einzuschließen. Vor allem ist es wichtig, die Hoffnung für die Zukunft nicht zu verlieren, weil wir uns in Gottes Hand wissen.
Die Erfahrungen der litauischen Kirche können meiner Meinung nach auch für die lutherische Familie im weiteren Sinne wertvoll sein. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir gelernt, als Minderheitskirche zu überleben, ohne auf die Hilfe der Behörden angewiesen zu sein und ohne uns mit der Politik wechselnder Regime gemein zu machen. Dabei haben wir immer am Kern der christlichen Kirche festgehalten, der in der Verkündigung des Evangeliums und dem Spenden der Sakramente besteht. Das hält uns und unseren Glauben lebendig.