Eine Bestandsaufnahme zum internationalen Tag der Menschenrechte
Arauca (Kolumbien)/Genf, 10. Dezember 2015 (LWI) – „Wir blieben allein mit unseren Kindern zurück. Plötzlich mussten wir Vater und Mutter für sie sein. Es war eine furchtbare Last und es schien, als würde sie von Tag zu Tag schwerer“, erinnert sich Yaneth Perez, die in der Frauenvereinigung von Arauca (Kolumbien), der Asociación Amanecer de Mujeres por Arauca (AMAR), eine leitende Funktion innehat.
Nachdem die kolumbianische Regierung die Bevölkerung von Arauca samt den dort Führungsverantwortung Tragenden öffentlich beschuldigt hatte, mit der Bewegung der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) in Verbindung zu stehen, kam es Anfang des Jahres 2000 zu Massenverhaftungen. Sie brachten für die Menschen im Departamento und besonders für die Frauen gravierende Veränderungen.
Umkehr traditioneller Rollen
In Arauca, im Osten Kolumbiens nahe der Grenze zu Venezuela, leben etwa 250.000 Menschen, darunter AfrokolumbianerInnen, Indigene und die aus den benachbarten Ortschaften zugezogene kleinbäuerliche Bevölkerung. Manche Menschen sind um der besseren Chancen willen nach Arauca gekommen, andere flohen vor gewalttätigen Konflikten zwischen legalen und illegalen bewaffneten Gruppen, die die Region seit Jahrzehnten kontrollieren.
In dem Gebiet fehlt es an grundlegenden öffentlichen Versorgungseinrichtungen, etwa im Blick auf Trinkwasser, Schulen und Gesundheit. Ein Bericht der Vereinten Nationen vom August 2014 nennt die Zwangsrekrutierung von Kindern, Entführungen, Morde, Vertreibungen und Erpressung als verbreitete Menschenrechtsverletzungen im Departamento. Antipersonenminen und nicht detonierte Sprengkörper stellen eine zusätzliche Gefahr für die Bevölkerung und die in Arauca tätigen humanitären Organisationen dar.
Neue Formen der Zusammenarbeit
Frauen sind besonders oft Opfer von Stigmatisierung und Missbrauch durch Bewaffnete. Nachdem die männlichen Angehörigen – Väter, Brüder, Söhne, Ehemänner - vielfach in Haft sind, müssen sich die Frauen organisieren, um ihre Rechte zu schützen und ihre Familien zu ernähren.
Mit Unterstützung durch den Lutherischen Weltbund (LWB) und durch AMAR, seine örtliche Partnerorganisation, haben die Frauen in Arauca ihre von Hilflosigkeit geprägte Situation in eine Chance verwandelt, Verantwortung für ihr Umfeld zu übernehmen. Im Rahmen eines LWB-Projekts bauen sie Ananas an, erwirtschaften damit ein Einkommen und schaffen sich und ihren Familien so mehr Handlungsspielraum.
Die Frauen von AMAR haben Pläne, zukünftig mit dem Anbau von Maracuja, Zitrusfrüchten, Borojo, Pfirsichpalmen, Avocados, Mangos und verschiedenen Guavenarten ihr Einkommen weiter aufzubessern. Sie möchten sich mit anderen Obstbäuerinnen und -bauern im Land zusammenschliessen und träumen davon, frische Früchte und Fruchtmark zu verkaufen.
„Unsere Arbeit geht weiter“
Seit ihrer Gründung 1996 engagiert sich die Joel Sierra-Menschenrechtsstiftung für die Rechte der ländlichen Bevölkerung, ihren Zugang zu öffentlichen Leistungen, Gesundheitsversorgung und Bildung und verteidigt sie gegen Übergriffe bewaffneter Gruppen. Die Stiftung arbeitet seit 2007 mit dem LWB zusammen und ist ebenfalls an dem Ananas-Projekt der Frauen beteiligt.
„Dank der Unterstützung durch den LWB konnten wir erfolgreich die Probleme sichtbar machen, mit denen die Menschen konfrontiert sind“, stellt Yilson Torres fest, der dem Vorstand der Stiftung angehört. Torres, der in seinem Umfeld Führungsverantwortung wahrnimmt und sich für die Wahrung der Menschenrechte einsetzt, ist es wichtig, die Organisation im Departamento zu stärken, ihren Einfluss in der ganzen Region auszuweiten und auch zukünftig die Rechte aller Menschen und vor allem der bäuerlichen Bevölkerung, die seiner Meinung nach vielfach an den Rand gedrängt wird, zu fördern, zu schützen und zu sichern.
„Solange es Menschen gibt, die ihre Rechte verletzen, geht unsere Arbeit weiter.“
„Kein Schreibtischjob“
Angesichts der ständigen Menschenrechtsverletzungen, der fehlenden internationalen Aufmerksamkeit für den Konflikt und der Untätigkeit der kolumbianischen Regierung sieht sich das LWB-Länderprogramm in der Pflicht, die von den Gewalttätigkeiten betroffene Bevölkerung zu begleiten und zu schützen.
LWB-Kolumbien arbeitet mit einer weiteren einheimischen Menschenrechtsorganisation, dem Comité Permanente para la Defensa de los Derechos Humanos (CPDDH) de la Región Este, bei einem Friedensprojekt zusammen, das Bildungs- und Freizeitangebote für die einheimische Bevölkerung organisiert und Informationen zur Friedensförderung vermittelt.
Im Rahmen des Projekts werden Workshops für die ländliche Bevölkerung durchgeführt, die sich mit Themen aus den Bereichen Menschenrechte, Landrechte und humanitäres Völkerrecht befassen und die Menschen in die Lage versetzen, ihre Rechte einzufordern. Weiterhin geben sie den Teilnehmenden auch Gelegenheit, gemeinsame Probleme zu diskutieren und Vorschläge zu erarbeiten, und haben in einigen Dörfern bereits zur Einrichtung von Menschenrechtsausschüssen geführt.
„Es ist keine leichte Aufgabe“, stellt Guillermo Diaz, Vertreter des CPDDH in Arauca, fest. „Für die Menschenrechte einzutreten ist kein Schreibtischjob. Es erfordert eine Menge Engagement und Opfer, aber die Menschen hier verdienen es, dass ihre Würde geachtet und ihre Stimme gehört wird.“
Ein Beitrag von Nubia Rojas, LWB-Kolumbien.