Kanada: Im Dienst an Anderen – wenn sich Kirche wie Zuhause anfühlt

8. Jun. 2021
Susan Johnson, Nationalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada, bei der Zwölften Vollversammlung des LWB 2017 in Windhoek, Namibia. Foto: LWB/Albin Hillert

Susan Johnson, Nationalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada, bei der Zwölften Vollversammlung des LWB 2017 in Windhoek, Namibia. Foto: LWB/Albin Hillert

Interview mit Susan Johnson, Nationalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada

WINNIPEG, Kanada/GENF (LWI) – Die Nationalbischöfin der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kanada (ELKIK), Susan Johnson, wuchs in einem fürsorglichen Umfeld in der kanadischen Provinz Saskatchewan in einer Pfarrfamilie; ihr Vater war der Gemeindepfarrer. Sie sagt, sie habe sich in der Kirche immer sehr wohl gefühlt: „Die Kirche und Zuhause kamen mir vor wie ein und derselbe Ort.“ 

Seit 2007 ist Johnson Nationalbischöfin der ELKIK und hat sich zum Ziel gesetzt, dass die Kirche allen gesellschaftlich Ausgegrenzten dieses Gefühl von Zuhause und Zuwendung vermitteln kann. 

Johnson war ist beim Lutherischen Weltbund (LWB) Vizepräsidentin für die Region Nordamerika und in verschiedenen Ausschüssen tätig. Sie arbeitet direkt mit anderen LWB-Mitgliedskirchen wie der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL) zusammen, zum Beispiel bei einer Kampagne, die Stipendien an Studierende der ELKJHL vergibt. Zudem ist die ELKIK unter ihrer Führung eine engagierte Kämpferin für Versöhnung in ihrem Land, unter den Kirchen und mit der indigenen Bevölkerung geworden. 

Im folgenden Interview erzählt Johnson, wie ihre fürsorgliche Familie und ihre Kindheitserfahrungen in der Kirche für ihren Führungsstil in der ELKIK heute prägend waren und wie sie die Kirche beim Umgang mit den eigenen Verfehlungen zu einem Nachdenken und Handeln bewegen will, das in der Bibel begründet ist.

Woran arbeiten Sie persönlich im Jahr 2021? 

Ich mache in diesem Jahr ein Sabbatjahr und habe an der dritten Ausgabe eines Buches von meinem Vater geschrieben: „Praying the Catechism“. In dem Buch hat ursprünglich mein Vater eine Art Zwiegespräch mit Martin Luther geführt, und in dieser dritten Ausgabe geselle ich mich dazu. Das Ganze sollte unter der Prämisse stehen, die Menschen an neunzig Tagen von Aschermittwoch bis Pfingsten zu begleiten, aber man kann das Buch natürlich auch zu jeder anderen Zeit im Jahr lesen. Die ursprüngliche Idee war, erwachsene Taufinteressierte auf die Taufe vorzubereiten, aber es kann auch für alle anderen eine Hilfe sein.

Im letzten Jahr haben Sie auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie jeden Tag ein Kirchenlied gesungen. Wie kam es dazu? 

Mein Gesang war eigentlich eine Einladung an andere, mit mir gemeinsam zu singen; es sollte nie eine Art Performance oder Darbietung sein. Ich wollte, dass die Menschen das Gefühl haben, dass die Kirchenlieder auch während der Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie erreichbar und verfügbar sind. 

Die Menschen hatten Angst und ich habe mich gefragt, was ich persönlich tun könnte. Ich habe überlegt, jeden Tag ein Gebet zu schreiben. Aber dann habe ich gedacht: „Warum singe ich nicht jeden Tag ein Kirchenlied?“ Ich erinnere mich noch gut, dass meine Großmutter mir vor langer Zeit einmal gesagt hat, dass ich eine gute Singstimme hätte und diese Gabe nutzen sollte. Als mir das im letzten Jahr in den Sinn kam, habe ich beschlossen, zu versuchen, den Zuhörenden während der Pandemie auf diese Art und Weise ein Gefühl von Glauben und von Gelassenheit und Hoffnung zu vermitteln. Und die Lieder waren dann von Mitte März bis Juli auch eine Art Gebet. Im September habe ich das dann nur noch an drei Tagen in der Woche gemacht, dann eine Pause eingelegt und zum Advent, zu Weihnachten und dann jetzt in der Fastenzeit wieder dieses Angebot gemacht.

Können Sie uns erzählen, welche Initiativen einzelne Gemeinden der ELKIK in die Wege geleitet haben? 

Spirituelle Erneuerung liegt mir seit Langem am Herzen. Als Kirche gehen wir davon aus, dass die Menschen die grundlegenden Techniken und Praktiken der Nachfolge lernen, aber das ist nicht immer der Fall. 2019 haben wir die Initiative „Living our Faith“ [unseren Glauben leben] ins Leben gerufen, einen Vierjahresplan, der mit dem „Jahr des Gebets“ 2020/2021 begonnen hat und der die Menschen ermutigen soll, mehr über das Beten und die verschiedenen Arten des Betens zu lernen und das Beten mehr in ihren Alltag zu integrieren. Im Zeitraum 2020/2021 haben wir uns auf das Lesen von Bibeltexten konzentriert und eine Art Lesezirkel nachgeahmt. Wir haben eine Lesegruppe mit dem Namen „Bible Book Club“ gegründet, um uns mit den verschiedenen Arten von Schriften und Texten in der Bibel zu beschäftigen und gemeinsam zu lesen, zusammenzukommen und zu lernen. 

Im nächsten Jahr werden wir uns dem Thema Gottesdienst zuwenden, was noch dadurch bereichert werden wird, dass wir unser persönliches Gebetsleben im ersten Jahr bereits ausgebaut und gefestigt haben; im zweiten Jahr werden wir auch in der Bibel lesen und daraus lernen. Den Schwerpunkt werden wir im kommenden Jahr auf die Frage legen, wie wir unser religiöses Leben noch weiter bereichern können. Im letzten Jahr wird es dann um das Thema Liebe gehen. Denn Liebe ist das Handeln, das aus all den vorhergehenden Jahren hervorgeht. Wir werden uns fragen, was wir großzügig geben, was unser Dienst am Nächsten ist – nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der breiteren Gesellschaft vor Ort. Was tun wir im Bereich Evangelisation, all die verschiedenen Arten und Weisen, wie wir Liebe zum Ausdruck bringen?

Was motiviert Sie, der Kirche und der weltweiten Gemeinschaft zu dienen und was motiviert Sie zu Ihrem Bekenntnis zu den ökumenischen Partnern?

„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ (Markus 12,30-31)

Das ist mein persönlicher Motivationsgrund, warum ich innerhalb meiner Glaubensgemeinschaft und allgemein in der Welt auf Menschen zugehe und ihnen die Liebe Gottes zeigen möchte. Ich kann die Liebe Gottes nicht zum Ausdruck bringen, wenn ich nur in meinem stillen Kämmerchen sitze. 

Ich nehme unsere Beziehung der vollen Kirchengemeinschaft mit den anglikanischen Kirchen, den Episkopalkirchen und den lutherischen Kirchen außerhalb unserer Landesgrenzen wie zum Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika und unseren Partnern, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land und der Gemeinschaft von Kirchen im LWB sehr ernst. 

Manchmal fühlt sich die ELKIK als sehr kleine Kirche im Vergleich zu einigen unserer viel größeren Schwesterkirchen in der Welt. Und es stimmt ja, wir sind keine sehr große Kirche – weder im ökumenischen Vergleich in Kanada noch im Vergleich der LWB-Mitgliedskirchen. Aber ich erinnere unsere Ortsgemeinden immer daran, dass wir eine mittelgroße Kirche sind und dass das bedeutet, dass wir mehr Ressourcen und folglich mehr Verantwortung haben als kleine Kirchen haben würden. 

Wenn wir mit ökumenischen Partnern zusammenarbeiten, muss diese Großzügigkeit und Verantwortung größer sein und mehr Menschen erreichen. Manchmal ist es besser, sich zu erinnern, hinzugehen und gemeinsam zu handeln. 

Die Arbeit mit der indigenen Bevölkerung ist für die ELKIK sehr wichtig. Auf welche Art und Weise hat die ELKIK zu Heilung und Versöhnung mit den indigenen Menschen in Kanada beigetragen? 

Die ELKIK bekennt sich dazu, gute und erneuerte Beziehungen zwischen der nicht-indigenen und der indigenen Bevölkerung Kanadas zu fördern. Sie ist überzeugt, dass die Anerkennung und Umsetzung der Rechte von indigenen Menschen für die Art von Gesellschaft, die Kanada sein will, von zentraler Bedeutung ist. Wir unterstützen die Arbeit und das Zeugnis der Wahrheits- und Versöhnungskommission Kanadas (TRC). 

Kanada hatte diese Kommission eingesetzt, um die Geschichte der staatlichen Internate zu untersuchen. Diese hat 94 Empfehlungen ausgesprochen, wie in Zukunft Versöhnung geschaffen werden kann. Als Kirche müssen wir unser Engagement entsprechend fortsetzen, aber auch die Regierung und die Gesellschaft drängen, die Ergebnisse der TRC zu lesen, sich für die Umsetzung dieser Empfehlungen einzusetzen und sie auch individuell praktisch umzusetzen.

Leider hält die Krise immer noch an, dass indigene Frauen und Mädchen verschwinden und ermordet werden. Eine solche systemische Gewalt müssen wir ernst nehmen. Insgesamt weiß die Kirche natürlich, dass dies nicht die einzigen Formen von Rassismus sind, die wir verüben oder an denen wir als Kirche oder Nation und ganz sicher als Einzelpersonen beteiligt waren und sind. Dennoch müssen wir irgendwo anfangen und dies sind Bereiche, in denen Versöhnung angestoßen werden kann.  

Wie hat die ELKIK auf die Nachrichten jüngst reagiert, dass auf dem Gelände des Kamloops Indianer-Internats die sterblichen Überreste von 215 Kindern gefunden wurden? 

Auch wenn lutherische Kirchen nicht auf die Art und Weise in den Betrieb dieser Schule eingebunden waren, wie einige unserer ökumenischen Partner, waren Mitglieder der lutherischen Kirche dort, als die Gräueltaten verübt wurden. Wir haben nicht widersprochen und gesagt, dass wir nicht wussten, was dort geschieht. Als lutherische Gläubige müssen wir die Verantwortung für dieses Schweigen übernehmen. 

Die Bischöfinnen und Bischöfe der fünf ELKIK-Synoden und ich haben ein Schreiben veröffentlicht, in dem wir die Mitglieder unserer Kirche daran erinnern, für die Familien dieser Kinder, für die Tk’emlúps te Secwépemc First Nation, für die Stadt Kamloops und alle Völker und Gemeinschaften der First Nations in ganz Kanada zu beten, die um diese Kinder trauern, und wir haben in dem Brief unseren Aufruf wiederholt, sich wieder mehr für die Versöhnungsarbeit zu engagieren.

Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen im zu sein?

Es ist hilfreich zu wissen, dass man Teil von etwas Größerem ist. Ein anschauliches Beispiel ist, wenn die Jugendgruppe aus einer kleinen Ortsgemeinde zu einer landesweiten Veranstaltung geht und merkt, dass sie Teil von etwas viel Größerem sind. Das motiviert sie. Die Tatsache, dass die ELKIK die Zehnte LWB-Vollversammlung 2003 in Winnipeg ausrichten konnte, hat vielen Menschen geholfen, ein solches Gefühl zu kriegen und die Visionen zu teilen. Teil der LWB-Gemeinschaft zu sein, sagt aus: „Dies ist es, was wir machen. Wir haben daran teil; wir machen mit beim Dienst an der Welt.“ Es macht stolz, was wir zusammen schaffen können, und es ist immer hilfreich sagen zu können: „Zusammen schaffen wir mehr als wir allein schaffen könnten – mit Gottes Hilfe natürlich“.

Von LWB/A. Gray. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.