Interview mit dem neuseeländischen Bischof Mark Whitfield
WELLINGTON, Neuseeland/GENF (LWI) – Die Lutherische Kirche Neuseelands (LKN) ist eine kleine Kirche mit rund 800 getauften Mitgliedern, die sich zu insgesamt 14 Gemeinden auf der Nord- und der Südinsel zusammengeschlossen haben. Zahlen sind für Mark Whitfield, Bischof der LKN, jedoch nicht ausschlaggebend, berichtet er im Gespräch mit den Lutherischen Welt-Informationen; er ist überzeugt, dass es oberste Priorität einer jeden Gemeinde sein muss, „herauszufinden, wozu Gott sie in ihrem jeweiligen Kontext beruft“.
Die ersten lutherischen Missionare kamen vor über 150 Jahren aus Deutschland und Skandinavien nach Neuseeland, weitere folgten in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was sind in Ihren Augen aktuell die wichtigsten Arbeitsschwerpunkte für Ihre Kirche?
Ich glaube nicht, dass es darum geht, sich Wachstumsprogramme oder -pläne auszudenken, sondern dass es wichtig ist, die Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich immer und überall bieten, um Gottes Liebe für die Menschen in unseren Gemeinden zu bezeugen. Als Bischof und vorher als Pfarrer in Wellington, wo ich auch heute noch lebe, verbringe ich viel Zeit damit, ganz bewusst nach Gelegenheiten Ausschau zu halten, das Evangelium zu verkündigen und das Evangelium in meinen Beziehungen zu anderen Menschen zu verkörpern. Als Bischof ist das auch mein Credo in der Zusammenarbeit mit Pfarrern und Gemeindeleitungen: einfach das Herz öffnen und die Augen und Ohren offenhalten für die Gelegenheiten, die Gott uns zeigt.
Gibt es Orte, an denen Ihre Kirche wächst?
In allen großen Städten gibt es Wachstumspotenzial und in den letzten 15 bis 20 Jahren sind auch einige Gemeinden gewachsen. In Auckland, mit 1,5 Millionen Menschen die größte Stadt in unserem Land, haben wir nur eine englischsprachige Gemeinde, aber diese Gemeinde hat gerade ein Programm gestartet, das zur Gründung neuer Gemeinden führen könnte. Auf jeden Fall haben sie eine Vision und wollen wachsen, aber das ist nicht so einfach, daher bleiben unsere Mitgliederzahlen in etwa gleich bzw. gehen sogar etwas zurück.
Wie würden Sie die Beziehungen Ihrer Kirche zu den anderen christlichen Kirchen beschreiben?
Der ökumenische Geist ist hier bei uns in Neuseeland sehr ausgeprägt und wir kommen sehr gut miteinander aus. Eine der größten Herausforderungen für uns Lutheranerinnen und Lutheraner ist, dass viele andere Konfessionen gar nicht wissen, dass es uns hier gibt, weil wir so wenige sind. Wir sind kein wichtiger Akteur und manchmal müssen wir den anderen Konfessionen erst in Erinnerung rufen, dass es uns auch noch gibt und dass wir teilhaben wollen an dem, was sie tun. Aber dort, wo es ein Bewusstsein dafür gibt, wird uns große Herzlichkeit entgegengebracht und der Beitrag wertgeschätzt, den wir für das allgemeine christliche Zeugnis leisten können. Ich bin aktuell Sekretär unserer Arbeitsgemeinschaft der Nationalen Kirchenleitenden von Aotearoa-Neuseeland und bin dort sehr aktiv, was natürlich dazu beigetragen hat, das Profil der Lutherischen Kirche Neuseelands zu schärfen.
Welche Auswirkungen hatte das 500. Reformationsjubiläum von 2017 auf diese Beziehungen?
Ich habe mich sehr dafür eingesetzt, andere Konfessionen einzuladen, dieses Jubiläum gemeinsam mit uns zu begehen, und wir haben dann auch ganz wunderbar zusammen gefeiert – insbesondere mit der römisch-katholischen Kirche, mit der wir in der Folge einen offiziellen Dialog begonnen haben. Darüber hinaus durften wir unsere große Reformationskantaten-Vesper in der anglikanischen Kathedrale in Wellington feiern. Ich singe dort in einem Chor mit, wenn ich Zeit habe, das hat auf jeden Fall auch geholfen, gute Beziehungen aufzubauen, aber es bleibt noch viel zu tun.
Was tun sie, um den Menschen zu helfen, die von den jüngsten Terroranschlägen in den Moscheen in Christchurch betroffen waren?
Das ganze Land hat sehr positiv reagiert und ist mit viel Liebe und Fürsorge auf unsere muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zugegangen. Die Liebe und Warmherzigkeit des ganzen Landes hat auch unsere Premierministerin Jacinda Ardern sehr gut verkörpert. Die Herausforderung wird sein, dass wir das aufrechterhalten. Die ökumenische Kirche hat sich insbesondere in Christuchurch an der Seite der Musliminnen und Muslime versammelt und hat viele Gebets- und Mahnwachen und Gottesdienste veranstaltet. Am Tag nach den Anschlägen habe ich mit einer kleinen Gruppe lutherischer Gläubiger einen Gottesdienst in einem Privathaus gehalten. Wir haben dann vor Ort in Tauranga eine Moschee besucht, aus den Psalmen gelesen, gebetet und den aaronitischen Segen gesprochen. Aber ich glaube auch, dass wir Lutheranerinnen und Lutheraner etwas zögerlich – oder vielleicht unsicher – waren, wie wir in dieser Situation reagieren sollen. Unser Pfarrer hier in Wellington ist mit einer Frau aus Indonesien verheiratet und ist daher ein Fachmann für christlich-muslimische Beziehungen. Aber ich glaube andere Menschen wissen einfach nicht genau, wie sie auf die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zugehen sollen.
Wie versuchen Sie, bessere interreligiöse Beziehungen zu fördern?
Wenn Sie mich das vor 10 oder 20 Jahren gefragt hätten, wäre mir die ganze Sache der christlich-muslimischen Beziehungen auch nicht ganz geheuer gewesen, glaube ich. Aber heute bin ich überzeugt, dass es ausgesprochen wichtig für uns ist, ein Verständnis für andere Religionen zu haben und zu verstehen, wie wir uns mit ihnen vernetzten und Beziehungen zu ihnen aufbauen können. Zwei Wochen nach den Anschlägen auf die Moscheen in Christchurch habe ich eine Videokonferenz mit einem jungen Pfarrer der Lutherischen Kirche – Missouri-Synode, einem Fachmann für islamisch-christliche Beziehungen, für unsere Pfarrerschaft organisiert. Ich habe also wirklich versucht, die Menschen in Leitungsfunktionen bei uns zu ermutigen, offen und bereit zu sein, zu lernen, wie diese Beziehungen entweder aufgebaut oder gepflegt werden können.
Fühlen sich die Menschen in Ihrer Kirche mit der größeren Gemeinschaft des Lutherischen Weltbundes (LWB) verbunden?
Einige sind sich bewusst, dass sie Teil einer sehr großen weltweiten Konfession und Gemeinschaft sind, aber für andere ist es nicht einmal von Bedeutung, dass wir ein Distrikt der Lutherischen Kirche Australiens (LKA) sind. Viele Menschen haben das Gefühl, dass wir hier, ganz am Ende der Welt, weit weg von allem sind und selbst in unserem eigenen Land wissen die Menschen meist nicht, wer wir sind. Daher sind die Lutheranerinnen und Lutheraner oftmals nicht sehr selbstbewusst und diese ganze Sache, dass wir Teil einer weltweiten lutherischen Familie sind, wird eher heruntergespielt. LWB-Generalsekretär Martin Junge hat uns hier vor einigen Jahren zwar besucht und es war mir sehr wichtig, darüber zu berichten, was wir hier tun. Aber ich fände es schön, wenn es auch andersherum so sein würde: Ich würde mir wünschen, dass die Menschen hier sich als Teil von etwas Größerem fühlen, dass sie wissen, dass wir Teil einer Kirche sind, durch die Gott in der ganzen Welt so viel Großartiges vollbringt, von dem wir gar nichts wissen.
Welche wichtigen Ereignisse stehen als nächstes für Ihre Kirche auf der Tagesordnung?
Die nächste größere Veranstaltung wird unsere Synodentagung in etwa zwei Monaten sein. Sie findet alle zwei Jahre statt und ist im Vergleich zu der Generalsynode der Lutherischen Kirche Australiens, wo sehr viel wichtigere Dinge angegangen werden, eher klein. Hauptaugenmerk unserer Synode liegt auf kreativen und ermutigenden Chancen und Möglichkeiten für unser Engagement und unseren Dienst vor Ort. Und ich halte immer Ausschau nach Gelegenheiten, Momente aus unserer Geschichte zu feiern, die uns heute neu inspirieren und neu begeistern können für die Geschichte, die Gott auch in unserem Land heute noch weiterschreibt.
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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