Gemeinsam die Last tragen – Seelsorge und psychosoziale Betreuung in Krisenzeiten

30 Mai 2023

Zu einer Konsultation über Seelsorge und psychosoziale Nothilfe sind Pfarrpersonen sowie haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende aus LWB-Mitgliedskirchen in Osteuropa, die Geflüchtete aus der Ukraine unterstützen, zusammengekommen.

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Teilnehmende der LWB-Konsultation für Personen, die in der Arbeit mit ukrainischen Flüchtlingen tätig sind

Teilnehmende der LWB-Konsultation für Personen, die in der Arbeit mit ukrainischen Flüchtlingen tätig sind. Foto: LWB

LWB-Konsultation für Betreuende von Geflüchteten aus der Ukraine 

(LWB) – „Er erquicket meine Seele“ – nach Psalm 23 – war das Leitwort der Konsultation des Lutherischen Weltbunds (LWB) für Menschen, die sich für Geflüchtete aus der Ukraine engagieren.

Die Konsultation fand vom 9. bis 11. Mai in der tschechischen Hauptstadt Prag statt. Gastgeberin war die Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. Zwei Arbeitsbereiche standen im Mittelpunkt der Gespräche: psychosoziale Methoden und Strategien für die Betreuung von Menschen in Krisensituationen und Traumata sowie die Selbstfürsorge für Mitarbeitende, die diese Menschen nach belastenden Erfahrungen in dieser Arbeit unterstützen.

Die Teilnehmenden kamen mehrheitlich aus LWB-Mitgliedskirchen in an die Ukraine angrenzenden osteuropäischen Ländern, die Opfer des bewaffneten Konflikts aufgenommen haben. Achtzehn Pfarrpersonen, Haupt- und Ehrenamtliche trafen sich zum Erfahrungsaustausch und erhielten praktische und theoretische Anregungen. Einen geistlichen Rahmen für die Konsultation bildeten gemeinsame Morgen- und Abendgebete. 

Viele Teilnehmende haben sich in den letzten 14 Monaten intensiv eingesetzt und ukrainischen Geflüchteten Unterkunft, Essen, Arbeitsplätze, Hilfe bei Behördengängen sowie psychologische und seelsorgerische Unterstützung zur Verfügung gestellt. Die Erfahrungen, die sie dabei gemacht haben, sind vielfältig. Ein Pastor aus der Tschechischen Republik erzählte beispielsweise, dass er vorübergehend die gesetzliche Vormundschaft für einen ukrainischen Jugendlichen übernommen hat.

Neue Bedürfnisse aufgrund von neuen Umständen

Angesichts der Fülle der Aufgaben sind viele Helfende erschöpft, zumal, wenn es darum geht, das Engagement für die Menschen aufrechtzuerhalten, die – traumatisiert von Krieg und Flucht – jetzt vor den Herausforderungen des Neuanfangs in einem anderen Land stehen.

Angesichts der aktuellen politischen Lage und des anhaltenden Konflikts benötigen die Geflüchteten mehr als nur eine erste materielle Unterstützung. Für die Unterstützenden ergeben sich daraus neue Herausforderungen, sagte Pfarrerin Rivka Schunk, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der LWB-Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit und Koordinatorin der Konsultation. 

„Die neue Realität bedeutet, dass die Betroffenen eine Arbeit finden und sich in der neuen Umgebung selbst versorgen müssen. Auch die Unterstützung durch kirchliche Einrichtungen kann nicht auf dem ursprünglichen Niveau gehalten werden und muss eine neue Form finden“, erklärte Schunk. Während anfangs materielle Hilfe in Form von Lebensmitteln, Kleidung und Unterkünften benötigt wurde, verschieben sich die Bedürfnisse nun hin zu spirituellen und psychosozialen Bedürfnissen. „Uns geht es darum, den Teilnehmenden zu zeigen, dass die Arbeit in den Kirchengemeinden vor Ort und die seelsorgerische Betreuung unter diesen Umständen sehr viel bewirken können.“

Dennoch sei es hilfreich, sich im Umgang mit traumatisierten Menschen und Flüchtlingen ein paar Methoden und Strategien anzueignen und eine gewisse Sensibilität für dieses Thema zu entwickeln, so die Theologin.

Diese praktischen Hilfsmittel wurden von Ekateryna Rebrova, einer der Referentinnen der Konsultation, vorgestellt. Die Ukrainerin ist Psychologin und mit ihrem Sohn nach Deutschland geflohen. Derzeit lebt sie in Regensburg und arbeitet über Malteser International mit kriegstraumatisierten Menschen. Sie schulte die Teilnehmenden in psychologischer Erster Hilfe und führte sie in therapeutische Ansätze ein.

Voraussetzung für langfristiges Engagement: Selbstfürsorge 

Auf die Aspekte der Selbstfürsorge in der anspruchsvollen Arbeit mit Geflüchteten und traumatisierten Menschen ging die zweite Referentin, Pfarrerin Christine Gühne, ein. Sie ist theologische Referentin bei Brot für die Welt, Deutschland, und Autorin eines Buches über das Potenzial von Religion und Spiritualität für Entwicklung. Sie hob hervor, dass Menschen sich von Gott angenommen fühlen und auf ihn vertrauen müssen, um anderen etwas geben zu können. 

„Mir hat gefallen, dass Brüder und Schwestern in Christus zu sein, nicht unbedingt bedeutet, dass wir immer in Harmonie leben müssen“, sagte Joanna Wójcik, eine Teilnehmerin, die in einer Gemeinde der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Polen die Geflüchtetenarbeit koordiniert. „Das lässt die Konflikte, die ich auch bei meiner Arbeit erlebe, leichter ertragen.“ 

„Diese Konsultation hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, dass wir auch mit anderen über die Belastungen sprechen, die sich aus unserer Begegnung mit den Menschen ergeben, denen wir helfen wollen“, sagte Tiiu Roosma von der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche. Roosma ist Mitglied des Kirchengemeinderats von Risti und engagiert sich in der Geflüchtetenseelsorge und bei der Integration von Geflüchteten in die Gesellschaft vor Ort.“ Es ist einfacher, sich mit anderen über dieses Thema auszutauschen, als ich dachte“, sagte sie. „Zu Hause möchte ich mich mehr mit anderen Gemeinden und den kommunalen Projekten vernetzen.“

„Letztendlich ging es bei der Konsultation um ein unterstützendes Miteinander. Menschen, die sich sonst nur um andere kümmern, sollten die Möglichkeit haben, sich auszutauschen und gegenseitig zu beraten“, sagte Schunk. „Hilfreich war, dass alle - egal aus welchem Land sie kamen - schnell gemerkt haben, dass ähnliche Erfahrungen sie miteinander verbinden.“ So konnten Konflikte und Enttäuschungen offen zur Sprache gebracht und gegenseitige Unterstützung und Ermutigung gegeben werden.

LWB/A. Weyermüller