Frankreich: Die Stimme und Präsenz von Frauen in der Kirche stärken

6. Aug. 2021
Ruth Wolff-Bonsirven, Pfarrerin der Vereinigung evangelischer Kirchen von Elsass und Lothringen (UEPAL). Foto: UEPAL

Ruth Wolff-Bonsirven, Pfarrerin der Vereinigung evangelischer Kirchen von Elsass und Lothringen (UEPAL). Foto: UEPAL

Interview mit Ruth Wolff-Bonsirven, Pfarrerin der Vereinigung evangelischer Kirchen von Elsass und Lothringen (UEPAL)

ELSASS, Frankreich/GENF (LWI) – Als Ruth Wolff-Bonsirven in der Region Elsass-Lothringen im Nordosten Frankreichs nicht weit von der deutschen Grenze aufwuchs, mussten alle Kinder in der Schule Französisch sprechen. Sie erinnert sich daran, dass sie sich als sechs Jahre altes Mädchen in der ersten Klasse schämte und nicht in der Lage war, mit irgendjemandem zu reden, da sie nur den lokalen deutschen Dialekt beherrschte, der in ihrer Familie zu Hause gesprochen wurde.

Dieses traumatische Kindheitserlebnis, „nicht reden zu können“, führte sie auf den Weg zur Ordination und ließ sie immer mehr Worte in der Bibel finden, die ihr dabei halfen, für sich selbst und für andere „zum Schweigen gebrachte“ Frauen zu sprechen.

Heute ist Wolff-Bonsirven eine von sieben Leitungspersonen der lutherischen Kirche in ihrer Region und ein ehemaliges Ratsmitglied des Französischen Evangelischen Kirchenbundes (FPF).

Sie waren die zweite Frau, die als Pfarrerin in der Vereinigung evangelischer Kirchen von Elsass und Lothringen (UEPAL) ordiniert wurde – richtig?

Ja, ich wurde 1998 ordiniert. Vor mir gab es nur eine weitere Pfarrerin, die aber nicht heiraten durfte. Ich war die erste, die sich nicht zwischen dem Amt und einer Ehe mit Familienleben entscheiden musste.

Erzählen Sie uns etwas über die Kirche in dieser Region.

Menschen protestantischen Glaubens haben in Frankreich einen Anteil zwischen zwei und drei Prozent an der Bevölkerung, aber in Elsass-Lothringen sind es etwa zehn Prozent. Die Anzahl der katholischen Gläubigen ist rückläufig, und an den Gottesdiensten nehmen nur noch etwa zehn Prozent von ihnen teil. Unsere Mitgliedszahlen scheinen hingegen konstant zu bleiben.

Die Geschichte des Protestantismus in unserer Region geht auf Johannes Calvin zurück, der die erste Reformierte Kirche in Straßburg gründete. Während des letzten Jahrhunderts war die Stadt maßgebend für die ökumenische Bewegung. In dem Zuge nahm auch das Institut für Ökumenische Forschung Zentrum im Jahre 1965 seinen Betrieb auf. 2006 haben die lutherische und die Reformierte Kirche gemeinsam die UEPAL gegründet, mit einer gemeinsamen Vollversammlung und einem gemeinsamen Rat, bestehend aus 16 Mitgliedern.

Sie sind eine der Kirchenleitenden dort?

Ja, ich wurde 2011 zur Inspectrice Ecclésiastique ernannt, und vor drei Jahren wurde mein Mandat durch ein Vertrauensvotum verlängert. Ich wurde als Inspecteur bezeichnet, habe das aber immer durchgestrichen und auf meinem Briefkopf durch Inspectrice ersetzt, denn meiner Meinung nach ist eine inklusive Sprache sehr wichtig, und Frauen müssen das Gefühl haben, dass sie repräsentiert werden.

Während meiner zwölf Jahre im Rat des FPF habe ich versucht, in allen unseren Verlautbarungen darauf zu bestehen, denn diese Vorgehensweise hat einen symbolischen Wert und vermittelt, wie wir die Welt sehen. Zunächst waren meine Maßnahmen nicht sonderlich beliebt und wurden ignoriert, aber schließlich hat der Präsident ein Rundschreiben an alle Mitglieder verfasst und erklärt, da sich die Gesellschaft verändert habe, könne die Kirche dies wohl auch!

Sie waren federführend an anderen Initiativen beteiligt, damit Frauen auch in der Kirche eine stärkere Präsenz zeigen können – woher stammt ihr Interesse, sich für diese Arbeit so stark zu engagieren?

Ich habe mich schon immer für feministische Anliegen interessiert, denn ich wollte mir Gehör verschaffen. Dass ich mit anderen Menschen über meine Kindheit gesprochen habe, hat mit geholfen zu verstehen, dass dies auf meine Bekämpfung des Traumas zurückzuführen ist, als kleines Schulmädchen zum Schweigen verurteilt worden zu sein, weil ich meine Muttersprache nicht sprechen durfte. Das hat mich dazu gebracht, das Wort für so viele andere Frauen zu ergreifen, die von ihren Kirchen, ihren Familien oder ihren Gemeinschaften zum Schweigen gebracht werden.

Vor vielen Jahren habe ich mich mit Pfarrern und Pfarrerinnen zusammengesetzt, um über die Schwierigkeiten zu reden, mit denen Frauen zu kämpfen haben, und wir erkannten, mit welch großen Herausforderungen wir konfrontiert waren. Ich habe mit Frauen aus anderen Kirchen und anderen Glaubenstraditionen Diskussionen über feministische Theologie geführt, denn alle weiblichen Führungskräfte sind in ihren eigenen Kontexten grundsätzlich eine Minderheit.

In meiner Kirche hat sich die Praxis jetzt geändert, so dass Frauen über die gleichen Rechte verfügen, aber in der Gesetzgebung ist das nach wie vor nicht zu erkennen. Ich wurde gebeten, unserer Synode über diese Gleichstellungsfragen zu berichten, und zum ersten Mal seit 2018 haben wir eine Resolution zur Umsetzung des Grundsatzpapiers des Lutherischen Weltbundes zur Gendergerechtigkeit verabschiedet.

Was bedeutet es für Ihre Kirche und für Ihre Arbeit, Teil der Kirchengemeinschaft des Lutherischen Weltbundes (LWB) zu sein?

Ich sehe das als meine Berufung an, und ich bin dankbar dafür, dass die Arbeit des LWB das Augenmerk auf die Theologie und die Bibel lenkt, die hinter unserer Arbeit für mehr Gendergerechtigkeit stehen. Ich werde meinen Dienst am Wort weiterhin dazu benutzen, andere Frauen dabei zu unterstützen, sich ebenfalls Gehör zu verschaffen.

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Detlef höffken, Redaktion: LWB/A. Weyermüller

 

Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:

Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.