Interview mit LWB-Ratsmitglied Cordelia Vitiello aus Italien
Neapel, Italien/Genf (LWI) - „Man muss an viele Dinge denken, wenn man Menschen wirklich helfen will“, weiß Cordelia Vitiello, die mit großem Engagement an der diakonischen Arbeit ihrer Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Italien (ELKI), mitwirkt. Außerdem ist sie als Vize-Präsidentin des Konsistoriums in der Kirchenleitung der ELKI aktiv und seit 2017 für die Region Mittel- und Westeuropa im Rat des Lutherischen Weltbundes (LWB) – eine „wunderbare Bereicherung und neue Perspektive“ wie sie sagt.
Im Interview mit den Lutherischen Welt-Informationen spricht sie über ihr Engagement für Menschen in Not und über besondere Begegnungen, die daraus erwachsen.
Bitte stellen Sie uns Ihre Kirche kurz vor.
Meine Kirche, die ELKI, ist eine Kirche im mehrheitlich katholischen Italien. Sie besteht aus 15 Gemeinden mit etwa 7.000 Mitgliedern, die von Nord bis Süd im ganzen Land verstreut sind. Die Kirchenleitung hat ihren Sitz in Rom – ich gehöre als Vizepräsidentin des Konsistoriums dazu.
Wir haben in Italien eine spezielle Form der Finanzierung von kirchlichen und kulturellen Organisationen. Steuerpflichtige können einer Religionsgemeinschaft mit Staatsvertrag oder dem Staat selbst einen Anteil der zu zahlenden Steuern zuweisen. Diese Möglichkeit, eine Kirche mitzufinanzieren, nennt sich otto per mille, weil sie – bezogen auf die Brutto-Einkommensteuer – 0,8 Prozent beträgt.
Um kulturelle Projekte, soziale Einrichtungen, Bildung, Forschung etc. zu unterstützen, kann man außerdem den Zweck der sogenannten cinque per mille–Steuer – der 0,5-Prozent-Steuer bestimmen. Beide Steuern sind Pflichtsteuern, bei denen die Steuerpflichtigen aber die jeweiligen Empfänger bestimmen können.
Obwohl wir nur eine kleine Kirche sind, vertrauen jedes Jahr zehntausende Steuerzahlender der ELKI ihren Steuerbeitrag an. Das werte ich als Anerkennung unserer Arbeit. Wir setzen große Teile dieser Mittel für die sozialdiakonische Aktivitäten unserer Kirche ein und arbeiten hier eng in ökumenischen Netzwerken mit anderen Kirchen zusammen.
Wie sieht Ihr persönliches Engagement in der ELKI aus?
Mein Wohnort ist Neapel, die drittgrößte Stadt Italiens. Sie ist eine alte Hafenstadt mit rund einer Million Einwohnern. Mein Herz schlägt besonders für die diakonische Arbeit. Daher setze ich mich hier in Neapel schon seit Jahren besonders für die Arbeit im evangelischen Krankenhaus Ospedale Evangelico Betania ein und bin dort im letzten Jahr zur ehrenamtlichen Präsidentin gewählt worden.
Im Oktober 2018 haben wir das 50jährige Jubiläum des Krankenhauses gefeiert. Es wird von einer ökumenischen Stiftung getragen, an der Lutheraner, Methodisten, Waldenser, Baptisten, Adventisten, die Heilsarmee und die Apostolische Kirche beteiligt sind. Heute ist das Krankenhaus fester Bestandteil des Gesundheitswesens in der Region Kampanien. Es verfügt über 158 Betten und 420 Mitarbeitende, darunter 80 Ärztinnen und Ärzte. Jährlich werden etwa 13.000 Patientinnen und Patienten aufgenommen sowie zirka 50.000 Personen in der Notaufnahme behandelt.
An das Krankenhaus angeschlossen sind besondere diakonische Projekte, die vor allem über otto per mille und cinque per mille finanziert werden – seit 2012 beispielsweise das Rose-Rosa-Projekt, das besonders auf Schwangere und sozial schwache Frauen ausgerichtet ist. Eine mobile Einheit, die in bestimmte Stadtteile fahren kann, bietet ihnen medizinische Behandlung und Beratung. Über diese Kontakte kommen Menschen zu uns, die entweder kein Geld oder keine Papiere haben, um sich im regulären Gesundheitssystem versorgen zu lassen. In und um Neapel leben nämlich viele Migranten aus ganz unterschiedlichen Ländern. Um diesen Menschen zu helfen, gibt es das dann das ospedale solidale, das solidarische Krankenhaus.
Wie sieht diese Arbeit konkret aus?
Das ospedale solidale ist eine Kombination aus Ambulanz, die jeden Donnerstag geöffnet ist, Klinik und Notaufnahme. Dort wurden im letzten Jahr rund 3.000 Personen behandelt.
An einem Beispiel kann ich am besten erklären, was unsere Arbeit bedeutet: Vor einiger Zeit wurde eine Frau in die Notaufnahme des Krankenhauses gebracht und brachte dort einen Sohn zur Welt. Nach und nach erfuhren wir ihre Geschichte:
Sie ist eine Nigerianerin, die sich ohne gültige Papiere in Italien aufhält. Von Libyen aus war sie von Menschenhändlern in die Prostitution verkauft worden. Nachdem sie das Kind zur Welt gebracht hatte, musste sie weiterhin als Prostituierte arbeiten und wurde wieder schwanger. So kam sie zurück zu unserem Krankenhaus, weil sie dort schon einmal Schutz und Zuflucht erfahren hatte. Unsere Mitarbeitenden haben ihr daraufhin geholfen, einen Asylantrag zu stellen, damit sie dieser Situation entkommen kann. Nun lebt sie in einer geschützten Familienunterkunft, die wir in ökumenischer Partnerschaft mit anderen Kirchen und Vereinen betreiben.
Gibt es in der ELKI auch Projekte, die der LWB unterstützt?
Ja, und zwar das Projekt granello di senape, das „Senfkorn-Projekt“ auf Sizilien. Auch hier stehen Migranten im Mittelpunkt, die ja oft über das Mittelmeer nach Italien kommen. Seit 2015 gibt es nun in Catania eine Unterkunft für acht junge Afrikaner zwischen 16 und 25 Jahren. Sie kommen aus der Elfenbeinküste, Mali und dem Senegal und haben eine Aufenthaltserlaubnis. Die Mitarbeitenden im Senfkorn-Projekt helfen ihnen dabei, sich in das catanesische soziale Netz zu integrieren. Die jungen Männer haben das Ziel zu studieren, zu arbeiten und sich selbst zu versorgen.
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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