Die Fachfrau für internationale kirchliche Zusammenarbeit

28 Jan. 2022
Image
Eva Christina Nilsson leitet die Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit des LWB. Foto: LWB/S. Gallay

Eva Christina Nilsson leitet die Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit des LWB. Foto: LWB/S. Gallay

Ein Rückblick von Eva Christina Nilsson

GENF, Schweiz (LWI) – Die Kindheit auf einem Bauernhof in Südschweden scheint weit entfernt von der anspruchsvollen Laufbahn im Bereich internationale Entwicklung und Mission, die Eva Christina Nilsson seit beinahe vier Jahrzehnten verfolgt. Als jüngstes von fünf Kindern wuchs sie in einem kleinen Dorf auf, das gerade einmal aus vier Bauernhöfen und einem Gebetshaus der Freikirche bestand; allerdings fuhr ihre Familie jeden Sonntag zur Kirche der lutherischen Gemeinde in das Nachbardorf.

Beide Eltern waren sehr engagiert in der Lokalpolitik und Zivilgesellschaft; ihr Vater wurde sogar zum Bürgermeister der Region gewählt. Nilsson erinnert sich gut daran, wie aufgeregt sie war, wenn ein Parlamentsmitglied oder ein lokaler Würdenträger zu Besuch kam: „Es war, als würde der König zu uns nach Hause kommen!“ 

 Private

Eine andere aufregende und prägende Erfahrung aus den Kindheitsjahren war die Anwesenheit von Missionaren, die manchmal in die Heimatregion von Nilsson zurückkamen und Vertreterinnen und Vertreter ihrer Missionsstation in Indien oder im südlichen Afrika mitbrachten. „Ich habe damals gelernt, dass die Welt ein gutes Stück größer ist als nur mein kleines Dorf“, sagt Nilsson, die heute als Leiterin der Abteilung für Theologie, Mission und Gerechtigkeit des Lutherischen Weltbundes (LWB) arbeitet.

Sie leitet ihre Abteilung von ihrem Büro am Hauptsitz in Genf aus; von dort werden die Mitgliedskirchen des LWB in 99 Ländern auf allen Erdteilen unterstützt. Zuvor arbeitete sie viele Jahre lang für die Schwedische Kirche im Bereich Entwicklungspolitik und -strategien sowie Stärkung der ökumenischen Zusammenarbeit und leitete 2007 als erste Frau den Schwedischen Missionsrat. Sie war auch als Beraterin für den Missionsausschuss des Ökumenischer Rates der Kirchen tätig.

 SMC

Nilssons erste Erfahrung mit der Kirche außerhalb ihres Geburtslandes war im Sommer 1983, als ihr als Mitglied der nationalen Jugendbewegung der Schwedischen Kirche ein Platz für eine Studienreise des LWB angeboten wurde. Als Studentin der Geschichte und Politikwissenschaften an der Universität Uppsala wollte sie unbedingt nach Afrika, Asien oder Lateinamerika. Sie war enttäuscht, als sie erfuhr, dass ihr stattdessen eine Reise nach Osteuropa angeboten worden war. „Aber dieser Besuch gab meinem Leben eine Wendung und stellte sich als Schlüsselerlebnis heraus, da ich auf junge Leute traf, die bereit waren, einen Preis dafür zu zahlen, in ihrer Kirche zu bleiben und an ihrem Glauben festzuhalten“, erinnert sie sich.

Nachdem sie von dieser Reise zurückgekehrt war, wollte die junge Nilsson mehr über die Kirche in Osteuropa erfahren und erhielt ein Stipendium für ein Studium in Ostdeutschland. Sie und andere Studierende aus dem Westen führten in dieser Zeit viele Gespräche, die ihr Berufsleben seitdem geprägt haben, stellt sie fest. „Ein junger Freund aus Estland merkte an, wie schwer das Leben für Christinnen und Christen in den USA doch sein müsse, und das stellte alle meine vorgefassten Meinungen auf den Kopf“, erinnert sie sich. „Ich erkannte damals, wie wichtig es ist, sich und seine Vorstellungen immer wieder zu hinterfragen, die Perspektive zu wechseln und andere Fragen zu stellen.“

Nilsson hat sich tiefe Freundschaften aus diesen prägenden Jahren in Osteuropa bewahrt. Bei einer Geburtstagsfeier in Berlin Jahrzehnte später war sie tief bewegt, als diese Menschen sich für ihr Interesse an den Kämpfen bedankten, die sie „eingesperrt im sowjetischen System“ als Christinnen und Christen führten. Ein anderes Schlüsselerlebnis hatte sie nach der Vollversammlung 1984 in Budapest, an der sie als Steward des LWB teilnahm und bei der sie die starke lutherische Identität einer Minderheitskirche erlebte, die bei dieser Versammlung zum Ausdruck kam. „Das war so anders als in meiner Kindheit, dass ich mich nicht damit identifizieren konnte“, erinnert sie sich. Aber die Worte eines jungen Mannes aus Ostdeutschland, der „so dankbar dafür war, dass er einmal in seinem Leben die Gelegenheit hatte, seinen Horizont zu erweitern, trafen mich in meinem Innersten und halfen mir, die Bedeutung einer wahrhaft globalen lutherischen Kirche zu verstehen“, fügt sie hinzu.

Engagement für Gerechtigkeit und Ökumene

Nach dem Fall der kommunistischen Regierungen Anfang der 1990er Jahre stellte Nilsson Kontakte zwischen der Schwedischen Kirche und den frei gewordenen Kirchen in Osteuropa her und baute eine praxisorientierte Zusammenarbeit auf. Später arbeitete sie als stellvertretende Leiterin von Concord Europe, eines Verbandes von beinahe zweitausend Nichtregierungsorganisationen im Bereich Nothilfe und Entwicklung auf dem gesamten Kontinent. Es war eine wichtige Lernerfahrung, erinnert sie sich, in Bezug auf das Engagement für Gerechtigkeit mit Regierungsministerien und im Hinblick auf ökumenisches Engagement.

Nilsson gibt zu, dass es trotz des Erfolgs viele Herausforderungen und Enttäuschungen auf ihrem Weg gab, nicht zuletzt für sie als Laiin in Schlüsselpositionen mit Entscheidungsbefugnis innerhalb ihrer Kirche. Sie scherzt: „Als ich jung war, habe ich immer gesagt, dass drei Dinge gegen mich zählen würden: mein Geschlecht, meine Größe (sie ist 154 cm klein) und mein Alter“ (mit 64, gibt sie zu, ist das nicht mehr so wichtig). Aber während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn, fährt sie fort, „stand ich unter dem Segen meiner Vorfahren, die mir vertraut und mich unterstützt haben.“ Sie waren wichtige Vorbilder für mich, denen ich versucht habe zu folgen.“ Ihr Rat an junge Frauen, die eine Laufbahn in der Kirche einschlagen möchten: „Glaubt an euch, vertraut auf eure Gaben und sucht euch diejenigen, die bereit sind, den Weg mit euch gemeinsam zu gehen.“

 LWF/S. Gallay

Nilsson versteht sich nicht als feministische Pionierin, aber sie unterstreicht, wie dringend es ist, ungerechte Machtstrukturen in der Kirche zu zerschlagen. „Gleichberechtigung ist sehr wichtig“, betont sie, „und eine Kirche, die diesen Namen verdient, sollte die Gaben von Frauen und Männern schätzen – sonst entspricht sie nicht dem Evangelium. Ich möchte keine Quotenfrau sein, und oft standen andere in der vordersten Reihe als ich. Trotzdem scheue ich keine Verantwortung, selbst wenn das bedeutet, dass ich mich manchmal auf den Barrikaden wiederfinde.“

Trotz ihres reichen Erfahrungsschatzes erwies sich ihre derzeitige Position beim LWB auf besondere und überraschende Art und Weise als eine Herausforderung. Sie wurde eingestellt, um die Aufnahme der Arbeit in einer neu organisierten Abteilung zu betreuen, in der Anfang 2007 die Bereiche Theologie und Unterstützung der Mission durch die Kirchen mit dem neuen Bereich „Engagement für Gerechtigkeit“ (Advocacy) zusammengeführt wurden. Kaum drei Monate später kam die Corona-Pandemie, und die Lockdowns begannen, die die Kirchen auf der ganzen Welt in eine Krise stürzten. Nilsson ist den Kolleginnen und Kollegen aus tiefstem Herzen dafür dankbar, dass sie unermüdlich von zuhause aus daran gearbeitet haben, die neuen Organisationsstrukturen zu implementieren und zum Laufen zu bringen trotz aller Schwierigkeiten, denen sie sich gegenübersahen.

 LWF/A. Hillert

„Unsere Aufgabe als Abteilung liegt in der Vertiefung theologischer Reflexion und in der Unterstützung der Arbeit der Mitgliedskirchen, um ihnen dabei zu helfen, neue Wege für die Zusammenarbeit zu finden. Es ist absolut wichtig, die theologische Grundlage für unser Engagement für Gerechtigkeit und die diakonische Arbeit hervorzuheben, daher arbeiten wir daran, Synergien zwischen diesen unterschiedlichen Bereichen zu finden. Wir vertreten auch unsere Mitgliedskirchen bei den Vereinten Nationen, wie in der Kommission für die Rechtsstellung der Frau und bei den Allgemeinen Periodischen Überprüfungsverfahren. Und wir können sogar Kirchen herausfordern und dazu ermutigen, neue Blickwinkel einzunehmen, wenn sie danach streben, innerhalb ihrer verschiedenen Kontexte dem Evangelium treu zu bleiben.“

Im Laufe des Jahres wird Nilsson ihre Aufgaben innerhalb des LWB beenden und überlegt zusammen mit Verantwortlichen der Schwedischen Kirche die nächsten Schritte. Während ihrer gesamten Karriere und der ihres Mannes, eines Pfarrers der Schwedischen Kirche, stand das Familienleben immer im Mittelpunkt; er teilte sich mit ihr die Erziehung ihrer vier Kinder und nahm die vielen internationalen Kolleginnen und Kollegen, die Nilsson zu sich nach Hause einlud, gastfreundlich auf. Außerdem hat Nilsson immer die Arbeit mit jungen Leuten geschätzt, angefangen mit ihrer Zeit in der nationalen Jugendbewegung, als sie Schulen besuchte, um über die Arbeit der Kirche zu sprechen. Ein Buch ist eine weitere Option – als Fortsetzung des ersten Bandes über ihre Erfahrungen in Ostdeutschland. „Wie kann ich diese Erfahrungen weiterhin nutzbringend verwenden, gleich ob auf globaler, nationaler oder auch sehr lokaler Ebene“, überlegt sie. „Das wichtigste ist für mich, dass ich etwas Aussagekräftiges tue und irgendwie mit jungen Leuten in Beziehung trete: Ich muss nur noch herausfinden, was das sein wird.“

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion: LWB/A. Weyermüller