Interview mit LWB-Ratsmitglied Bischof Dr. Tuhoni Telaumbanua
Pematang Siantar, Indonesien/Genf (LWI) – Bischof Telaumbanua aus Indonesien beschreibt einige der sozialen und ökologischen Anliegen und Sorgen, mit denen sich die Protestantisch-Christliche Kirche konfrontiert sieht.
Welche Themen und Probleme sind in Ihrer Kirche die vordringlichsten?
95 Prozent des Volkes der Niasser im äußersten Westen des Landes sind Christinnen und Christen. Nur ein kleiner Teil ist muslimischen Glaubens. Meine Kirche hat 502.000 Mitglieder, darunter 16 Gemeinden auf Sumatra und Java.
2004 wurde Indonesien und insbesondere die Provinz Aceh und Nias von Erdbeben erschüttert und von Tsunamis getroffen, denen 250.000 Menschen zum Opfer fielen. Die meisten der Opfer waren in Aceh zu beklagen, aber auch in Nias haben 2.000 Menschen ihr Leben gelassen, darunter auch Mitglieder meiner Kirche. Nur ein Jahr später hat ein weiteres Erdbeben Nias erschüttert und 70 Prozent der Infrastruktur, der Kirchengebäude und Häuser zerstört. Die Gegebenheiten waren damals sehr gefährlich, aber wir haben uns dank staatlicher Programme, die von internationalen NGOs unterstützt wurden, wieder erholt. Trotzdem leiden wir psychisch auch heute noch unter diesem Trauma. Die Erholung dauert da einfach, weil wir in einer sehr armen Region auf einer kleinen Insel weit weg von Medan und Sumatra leben.
Was ist die Lebensgrundlage der Menschen in Ihrer Kirche?
Mehr als 60 Prozent von den Menschen betreiben traditionelle Landwirtschaft. Sie bauen Kokosnüsse, Kakao, Kautschuk und Reis an.
Indonesien wird oft von Naturkatastrophen heimgesucht – Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche. Welchen Einfluss hat dies auf den Glauben der Menschen? Wie gehen Sie damit in Bezug auf Ihre seelsorgerliche Tätigkeit um?
Nach dem Erdbeben 2005 haben die Menschen ihre Häuser und Kirchen auf eine Weise wiederaufgebaut, die erdbeben- und tsunamisicher ist. Aber wir müssen die Mitglieder unserer Kirche immer wieder daran erinnern, dass sich solche Naturkatastrophen immer wieder ereignen werden und dass sie sich deshalb darauf vorbereiten müssen.
Viele charismatische Kirchen sagen, die Naturkatastrophen passieren, weil die Menschen gesündigt haben. Das ist aber nicht die theologische Lehrmeinung meiner Kirche. Wichtig ist allein, dass wir lernen müssen, sie als Realität zu akzeptieren, und dass wir lernen müssen, unsere Lebensgrundlagen immer wieder aufzubauen. Viele der Programme meiner Kirche unterstützen Kinder, die durch die Katastrophen Traumata erlitten haben. Die Ortsgemeinden nehmen sich der Kinder an, deren Eltern ihr Leben gelassen haben.
Haben die Menschen in Indonesien nicht gerade wieder die volle Wucht eines Erdbebens und eines Tsunamis erlebt?
Erst im September haben ein Erdbeben und ein Tsunami die Regierungsbezirke Palu, Sigi und Donggala getroffen. 2.000 Menschen haben dabei ihr Leben gelassen und tausende Gebäude wurden zerstört. Inmitten dieser Katastrophe aber ist Gott bei uns und den leidenden Menschen. Gott wirkt, um die Bürde und Last der Menschen zu erleichtern und erlöst sie vom Leid. Die Kirchen in Indonesien beten und bringen ihre Solidarität durch das Sammeln von Geldern zum Ausdruck, mit denen sie die Leidenden unterstützen.
Im Juni gab es einen Bombenanschlag in einer Kirche in Surabaya. Auf der Hauptinsel gibt es Spannungen zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen. Indonesien ist ein überwiegend muslimisches Land. Wie geht Ihre Kirche mit diesen interreligiösen Spannungen um?
In Nias haben wir derartige Spannungen bisher nicht. Ich bin der stellvertretende Vorsitzende der Kirchengemeinschaft in Indonesien [Communion of Churches in Indonesia, CCI]. Christinnen und Christen in Indonesien stehen vor vier großen Problem: Armut, Ungerechtigkeit, Radikalismus und Extremismus. Hinzu kommen die Umweltprobleme.
Im vergangenen Monat gab es Bombenanschläge in drei Kirchen in Surabaya, Ostjava. Die CCI hat die Kirchen daraufhin aufgerufen, sich mit den staatlichen Anti-Terrorismus-Behörden an einen Tisch zu setzen. Die CCI ist sich einig, dass sie Spannungen nicht zwischen christlichen und muslimischen Gläubigen per se bestehen, sondern zwischen kleinen Gruppen, die ein ganz anderes Verständnis ihrer jeweiligen Religion haben. Wir stehen in engem Kontakt mit den großen muslimischen Organisationen in Indonesien und arbeiten eng mit ihnen zusammen. Wir unterstützen die Anti-Terrorismus-Bemühungen der Regierung, mahnen sie aber auch, die Menschenrechte nicht außer Acht zu lassen.
Welche Teile oder Aspekte der LWB-Strategie sind für Ihre Kirche am wichtigsten?
Die LWB-Vollversammlung im letzten Jahr stand unter dem Thema „Befreit durch Gottes Gnade“. Diese Vision ist für meine Kirche sehr wichtig. Aber die nächste Aufgabe besteht darin, dies auch praktisch umzusetzen. Wie können wir uns vernetzen, miteinander teilen, einander helfen, um die Gemeinschaft zu stärken?
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
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