Schweiz: Lutherische Kirche feiert 50-jähriges Bestehen und 500 Jahre Reformation
Mitglieder lutherischer Gemeinden aus der ganzen Schweiz haben sich am Sonntag, 10. September, in Genf versammelt, um sowohl des 500. Reformationsjubiläums als auch der Gründung des Bundes Evangelisch-Lutherischer Kirchen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein (BELK) vor 50 Jahren zu gedenken.
Mehrere hundert Menschen feierten aus diesem Anlass im Temple de la Madeleine, einer reformierten Kirche, gemeinsam einen Abendmahlsgottesdienst und machten dabei die Vielfalt der BELK deutlich, der dänisch-, deutsch-, englisch-, finnisch-, madagassisch-, norwegisch- und schwedisch-sprachige Gemeinden angehören. An dem Gottesdienst nahmen auch ökumenische Gäste aus der reformierten, katholischen sowie weiteren christlichen Traditionen teil.
Zum Thema des Gottesdienstes, „bound to be free / im Glauben verbunden – durch Glauben befreit“, predigte der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB), Pfarrer Dr. h.c. Dr. h.c. Martin Junge.
Freiheit mit anderen und für andere
In seiner Predigt betonte Junge, die Einheit der lutherischen Kirchen wurzle in der Botschaft der Rechtfertigung aus Gnade durch den Glauben, die besage, „dass wir nicht aufgrund dessen erlöst sind, wer wir sind und was wir tun, sondern aufgrund dessen, wer Gott ist und was Gott tut.“
Das Reformationsjubiläum biete, so Junge, eine Gelegenheit, „dieser kostbaren Botschaft wieder Geltung zu verschaffen“, die unserem Menschsein als solchem gelte. Man müsse nicht „in einer besonderen Zeit oder an einem besonderen Ort leben, um die frohe Botschaft zu hören, dass es Gottes Wille ist, unsere Welt auf Mitgefühl, Solidarität, Gerechtigkeit und Frieden einzustimmen.“ Diese Botschaft müssen den Menschen auch weiterhin gesagt werden, betonte Junge.
Der Generalsekretär erinnerte die Gottesdienstgemeinde daran, dass die Botschaft der Reformation vor 500 Jahren auch deswegen eine solch große Wirkung entfaltet habe, weil sie die Wahrnehmung aufgriff und artikulierte, „dass Dinge in den Bereich marktwirtschaftlichen Handelns verlagert wurden, die dort nicht hingehörten […]: Vergebung, Leben, Zukunft“.
Unter Verweis auf die Formulierung „für Geld nicht zu haben“, die sich durch die Unterthemen zieht, die der LWB zum Reformationsjubiläum formuliert hat, rief Junge die Kirchen auf, auch zukünftig die Vorstellung zu hinterfragen, dass heutzutage alles vermarktet werden könne – selbst Menschen, Schöpfung und Erlösung. In unserer Zeit inspiriere die Botschaft der Rechtfertigung „uns, einem Trend entgegenzutreten, der darauf abzielt, den Kommerz zur einzigen Triebfeder des sozialen, gemeinschaftlichen und politischen Handelns zu machen.“
Junge griff den Galaterbrief auf, und betonte, die Kirchen müssten „beieinander […] lassen, was zusammengehört: die Rechtfertigung aus Gnade durch den Glauben und die Freiheit.“ Eine Kirche, „die das Evangelium von der Rechtfertigung predigt, ist immer eine Kirche, die ohne Zögern für die Freiheit einsteht“. Der Generalsekretär betonte das besondere Wesen der christlichen Freiheit und zeigte auf, dass sie im Gegensatz stehe zu dem vorherrschenden Freiheitsverständnis der Gegenwart, das „zunehmend seine soziale Kompetenz“ verliere. Die christliche Freiheit sei, so Junge, eine Freiheit, die „das ‚Ich‘ im Zusammenhang sieht mit dem ‚Wir‘, niemals von ihm losgelöst oder isoliert. Es ist eine Freiheit mit und für andere.“
Angesichts der aktuellen Umweltprobleme, einschließlich des Klimawandels, rief Junge dazu auf, „eine Theologie, Predigten, einen Katechismus, Lieder zu formulieren, die uns sowohl die Kostbarkeit als auch die Fragilität des Beziehungsgewebes vermitteln, in das Gott uns eingebunden hat.“
Der Generalsekretär erinnerte an das Gemeinsame katholisch-lutherische Reformationsgedenken im Oktober 2016 und betonte, es sei ein Segen, dass zum ersten Mal in fünf Jahrhunderten das Reformationsjubiläum im Geist ökumenischer Verantwortung begangen werde, indem man durchbuchstabiere „wieviel Gemeinsamkeiten es gibt und wie sehr wir uns nach Heilung von der Gebrochenheit sehnen, an der wir kranken“.
Die Reformation, schloss Junge, „ist nicht zu Ende, denn Gottes Mission ist nicht zu Ende. Gott fordert weiterhin Raum in unserem Leben, lädt uns ein, aus dem zu leben, was uns geschenkt ist. Gott befreit uns auch weiterhin von der Sorge um Perfektion, Leistung und Erfolg und lädt uns ein auf den Weg der Wandlung zu der Person, die er haben will.“
Die Bibel im Mittelpunkt
Im Rahmen des Festgottesdienstes verlas je ein Mitglied jeder BELK-Gemeinde einen auf einem Stoffband kalligraphisch dargestellten Bibelvers. Die Stoffbänder wurden dann in der Gottesdienstgemeinde weitergereicht und schließlich auf einem Holzrahmen in Chorraum aufgereiht. Am Ende des Gottesdienstes wanderte der Rahmen an die Kirchentür, wo die bunt gestalteten Bänder das Tor bildeten, durch das die Gemeinde die Kirche verließ, als Zeichen für den zentralen Platz, den die Bibel im Leben der lutherischen Kirche einnimmt. Die Feierlichkeiten setzten sich fort mit einem Mittagessen auf einem Boot auf dem Genfer See, wo die Gäste zudem auch in die Geschichte des BELK eingeführt wurden.
Der BELK (Bund Evangelisch-Lutherischer Kirchen in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein) entstand in den 1960er Jahren aus einem Zusammenschluss von fünf unabhängigen lutherischen Kirchen, die eine Gemeinschaft über die Grenzen der jeweils eigenen Gemeinden hinaus schaffen wollten. Seit 1979 ist der BELK, dessen Gemeinden nahezu 5.000 Menschen angehören, Mitglied im LWB.