Lutherische Diakonie-Mitarbeitende in Europa erörtern „Migrationsbrücken“ und „Migrationsmauern“
Sibiu, Rumänien/Genf (LWI) – Welche „tatsächlichen“ und „persönlichen“ Abgrenzungen sind es, die Menschen daran hindern, friedlich mit ihnen fremden Kulturen, Glaubensrichtungen und Gender-Identitäten zusammenzuleben?
Während des Workshops „Menschen unterwegs – Brücken oder Mauern?“, der Mitte Dezember in Sibiu in Zentralrumänien stattfand, befassten sich Delegierte aus 14 Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes (LWB) mit dem Thema. Diese Veranstaltung war ein Baustein des europäischen diakonischen Prozesses, der Menschen aus der diakonischen Praxis aus LWB-Mitgliedskirchen in Mittel- und Osteuropa, Mittel- und Westeuropa und der nordischen Region zusammenbringt.
In seiner Ansprache an die Teilnehmenden ging Bischof Reinhart Guib von der Evangelischen Kirche der Augsburger Konfession in Rumänien besonders auf die Bedeutung des Individuums ein und verwendete die Worte „Menschen, nicht Zahlen“, um die Gemeinden der Siebenbürger Sachsen zu beschreiben, die es heute nach nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und dem Exodus während der 1990er Jahre in Rumänien noch gibt. Die Migration nach Europa und innerhalb Europas, so Guib, sei zurzeit und auch in der Vergangenheit als wichtiger Aspekt der Missionsarbeit seiner Kirche zu betrachten, die seit 1964 Mitglied des LWB ist.
Die Internationale Akademie für Diakonie und soziales Handeln, Mittel- und Osteuropa (interdiac), die die LWB-Mitgliedskirchen bei der Förderung bester Praktiken für diakonische Dienste in der Region unterstützt, wurde durch ihren Leiter der Bildungsabteilung Pfr. Tony Addy sowie Direktorin Janka Adameová vertreten.
Addy beschrieb Konvivenz als ein Konzept, „das die Beziehungen zwischen Menschen in den Mittelpunkt stellt.“ Es geht zurück auf den Begriff la convivencia – eine Zeitspanne von mehreren hundert Jahren in der Geschichte der iberischen Halbinsel, als Menschen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens relativ friedlich zusammenlebten.
Neue Rolle für Glauben und Religion
Zu den wichtigsten Themen des Workshops gehörten die zunehmende kulturelle und religiöse Vielfalt in Europa und die sich verändernde Rolle von Glaube und Religion. Die Delegierten stellten fest, dass Menschen auf der Flucht vor Verfolgung – ob christlichen, muslimischen oder anderen Glaubens – ihre Religion als eine sichere Kraftquelle wertschätzen, wenn jede andere Stabilität im Leben verlorengehe. In einigen Kontexten werde Religion jedoch für eine ausgrenzende nationale Identität benutzt, die eine fremdenfeindliche Reaktion mit sich bringe. In einigen Fällen führe dies zu gesellschaftlichen Konflikten. Diskussionen über diese Sorgen führten zu weiteren Erklärungen vom Problemen in Verbindung mit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Mobilität, Migration und Flüchtlingsbewegungen.
Während einer der Sitzungen gaben Dorin Cioabā, Pfarrer einer Roma-Pfingstgemeinde, Dr. Holger Lux (Rumänisches Blaues Kreuz) und Erika Klemm (Flüchtlingsbeauftragte der Evangelischen Kirche A.B.) eine Einführung in die spezifisch rumänischen Aspekte der diakonischen Arbeit.
Die Delegierten erfuhren, wie der von der Evangelischen Kirche A.B. und Teilnehmenden anderer Kirchen gegründete „Runde Tisch für Flüchtlingsfragen“ die seelsorgerische Arbeit für Flüchtlinge erörtert. Dazu gehört auch ein Programm mit dem Namen „Ich bin ein Fremder“, das den biblischen Kontext des Fremdseins erkundet. Außerdem widmet die LWB-Mitgliedskirche diesem Thema einen Sonntag und will andere Kirchen motivieren, sich daran zu beteiligen. Mit ihrer Arbeit erreicht sie auch Lernende und Lehrende, die an Workshops zum Thema Migration und Migrierende teilnehmen. Eine Wanderausstellung, die dieses Thema darstellt, wurde bereits von mehr als 3.000 Besucherinnen und Besuchern gesehen.
Unterschiedliche Hintergründe
Die Teilnehmenden tauschte sich aus über die Bedeutung der Suche nach Konvivenz in den stark unterschiedlichen Kontexten in Europa. In säkularen Ländern wie der Tschechischen Republik zum Beispiel schienen Religion und Glaubensgemeinschaften in der Gesellschaft insgesamt keine große Rolle zu spielen. Auf der anderen Seite gibt es Länder, in denen Menschen christlichen Glaubens in der Mehrheit sind obwohl Lutheranerinnen und Lutheraner eine Minderheit darstellen. In anderen Ländern ist der Islam vorherrschend. Die Analyse dieser unterschiedlichen Hintergründe, die es auch in Mittel- und Westeuropa sowie in Nordeuropa gibt, haben den Teilnehmenden bei der Analyse von Fragen der Identität und der theologischen Motive für soziale Aktionen der Kirche geholfen. Diskutiert wurden ebenfalls Wege, etwas gegen die zunehmenden Hasstiraden und den Populismus zu unternehmen.
Der LWB-Europareferent Pfr. Dr. Ireneusz Lukas sagte, dass „wir in Zeiten der Fragmentierung und steigender Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen in Europa dringend nach Möglichkeiten eines Zusammenlebens in Frieden und Harmonie suchen müssen.“ Der diakonische Prozess, so fügte er hinzu, „leistet einen Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zur Zusammenarbeit auf dem Kontinent.“
März 2019 in den Niederlanden
Der Workshop in Sibiu läutet eine neue Phase der Entwicklung von Leitlinien und Lehrmaterial für die diakonische Praxis ein und beinhaltet Vorschläge zur Änderung der kirchlichen und öffentlichen Politik zum Kernthema „Auf der Suche nach Konvivenz – die Kunst und Praxis des Zusammenlebens.“ Der nächste Workshop findet im März 2019 in den Niederlanden statt und wird sich in erster Linie mit dem Thema „Menschen unterwegs – Strategien für den Umgang mit Vielfalt“ befassen.
Der LWB und interdiac haben den Konvivenz-Prozess 2011 auf den Weg gebracht und dafür Menschen aus der diakonischen Praxis aus drei LWB-Regionen in Europa gewinnen können. Der Prozess hat zu mehreren Publikationen geführt, die sich mit dem Kernkonzept der „Suche nach Konvivenz“ und Advocacy befassen. Vorgestellt wurde er 2017 auf der Zwölften Vollversammlung des LWB in Windhuk, Namibia unter Beteiligung der Mitgliedskirchen in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik.
Von Monika Rawcliffe, redigiert und übersetzt vom LWB-Kommunikationsbüro.