Welttag der humanitären Hilfe: Krisen als Kraftquelle

19. Aug. 2021
Josef Pfattner vom LWB inmitten einer Gruppe, die an der Stärkung der Resilienz und Selbstversorgung von Frauen im Tschad arbeitet. Foto: LWB/Tschad

Josef Pfattner vom LWB inmitten einer Gruppe, die an der Stärkung der Resilienz und Selbstversorgung von Frauen im Tschad arbeitet. Foto: LWB/Tschad

Gedanken zum besonderen Beitrag glaubensbasierter Organisationen

ALTO ADIGE, Italien/GENF (LWI) - Der jedes Jahr am 19. August begangene Welttag der humanitären Hilfe hat für Josef Pfattner einen besonderen Stellenwert. Derzeit leitet er vertretungsweise das Kenia-Dschibuti-Somalia-Programm des Lutherischen Weltbunds (LWB). Im August 2003 war er in der irakischen Stadt Basra mit der Organisation Intersos im Einsatz, die ihren Sitz in Rom hat. Wie die gesamte humanitäre Welt wurde Pfattner stark von dem Bombenattentat im Bagdader Hotel erschüttert, das er vor Ort miterlebte und bei dem der UNO-Sonderbeauftragte Sergio Vieira de Mello und 21 seiner Kolleginnen und Kollegen starben.

„Ich erinnere mich, wie ich den Fernseher anstellte und den Angriff auf das UNO-Gebäude in Bagdad sah. Natürlich hat es alle von uns sehr getroffen,“ erzählt er. „Ich arbeitete damals als Koordinator eines Projektes, das durch verschiedene UN-Organisationen finanziert wurde. All ihre internationalen Mitarbeitenden wurden sofort nach Jordanien und Kuwait gebracht.“ 

Doch die lokalen Mitarbeitenden, fährt er fort, „werden nicht evakuiert und sie haben keinen Schutz – man muss sich einmal in ihre Lage versetzen.“ Wie wichtig es ist, gute Beziehungen zu den lokalen Mitarbeitenden aufzubauen, habe er im Irak gelernt.

Lösungen finden, positiv bleiben

Verglichen mit den meisten Menschen, die im humanitären Bereich arbeiten, führt Pfattner ein außergewöhnliches Leben. Acht Monate im Jahr arbeitet er als Interimsvertreter und Programm-Koordinator für Länderprogramme des LWB in einigen der weltweit größten Krisenherde in Ländern wie Südsudan, Tschad und der Zentralafrikanischen Republik. In diesen Ländern sind große Teile der Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die restlichen Monate verbringt er mit seinen Kindern in einer abgelegenen Berghütte in seiner Heimatregion Alto Adige in Norditalien und kümmert sich um Kühe.

„Das scheinen zwei verschiedene Welten zu sein,“ sagt er lächelnd, aber es gebe Ähnlichkeiten, die ihm auch als Kraftquelle dienen. „In diesen unterschiedlichen Ländern habe ich gelernt, Probleme zu lösen, eine positive Einstellung zu bewahren und eine gute Atmosphäre im Team zu schaffen – dieselben Fähigkeiten, die man braucht, wenn man auf einem Berggipfel ohne Internet und nur mit einem Solarpanel für die Stromversorgung lebt“, so Pfattner.

 LWF/CAR

Nachdem er mehrere Jahre in säkulären humanitären Organisationen gearbeitet hatte, begann er 2008 mit der glaubensbasierten Koalition ACT Alliance zu arbeiten. „Am Anfang dachte ich nicht, dass eine glaubensbasierte Organisation mit meiner Auffassung von humanitärer Arbeit übereinstimmen könnte,“ gesteht er. „Doch ich war positiv überrascht, als ich sah, wie gut die humanitären Prinzipien von ihnen umgesetzt werden. Mittlerweile glaube ich sogar, dass wir als glaubensbasierte Organisationen diese Prinzipien konsequenter anwenden. In erster Linie, weil es richtig ist, aber auch, weil wir sehr genau von denjenigen beobachtet werden, die unseren Motiven nicht trauen oder nicht glauben, dass wir Menschen unabhängig von ihrem Glauben helfen.“

Advocacy und Förderung der Menschenrechte

Wenn er auf die zwei Jahrzehnte seiner Arbeit zurückblicke, könne er beobachten, dass humanitäre Mitarbeitende früher „wie Feuerwehrleute gesehen wurden, die versuchen, Menschenleben zu retten und den Schaden in einer Krise möglichst gering zu halten. Heute spielen sie zu Recht eine viel größere Rolle bei der Advocacy-Arbeit, der Förderung von Menschenrechten und der Sensibilisierung der Menschen für das Funktionieren einer gerechten Gesellschaft,“ sagt er weiter. Das gefalle einigen Regierungen nicht; deshalb seien sie dazu übergegangen, „den Handlungsspielraum für humanitäre Organisationen einzuschränken, ihnen den Zugang zu erschweren und ihnen generell das Leben schwer zu machen.“

Ein großer Teil der humanitären Arbeit von LWB stützt sich auf die Schaffung von langfristigen Existenzgrundlagen und Einkommensgenerierung, damit die Menschen unabhängig leben können. „Als ich in diesem Bereich angefangen habe, wurde mir gesagt, dass ein Programm, das mehr als ein Jahr dauert, kein humanitäres Programm sei, sondern Entwicklungsarbeit,“ lacht er. „Doch im Osten von Tschad leben Menschen aus Darfur schon seit mehr als 10 Jahren. Genauso in den Flüchtlingscamps in Kenia. Und die Regierungen der Gastländer können den Menschen dort nicht immer weiter Unterstützung und Schutz bieten. Deshalb ist es unsere Aufgabe, diesen Menschen lebenswichtige Bildung anzubieten und ihnen zu helfen, eine Existenzgrundlage aufzubauen.“ 

 LWF/Chad

Die Besuche bei vom LWB betriebenen Schulen und einkommensgenerierenden Projekten in abgelegenen Dörfern oder Flüchtlingslagern inspirieren und motivieren Pfattner immer wieder, da er sehe, welche Auswirkungen selbst kleine Projekte auf das Leben von Einzelpersonen und Gemeinschaften haben können. Doch sei er oft auch sehr frustriert, „wenn ich Regionen wie Syrien sehe und feststelle, dass es an politischem Willen fehlt, um diese großen Konflikte zu verhindern oder zu beenden.“ In der Vergangenheit arbeitete er für LWB in Jordanien, das mehr als 600.000 syrische Flüchtlinge beherbergt. „Wir versuchen, das Leiden der Menschen zu verringern, aber unsere Arbeit wäre nicht nötig, wenn mächtige Länder zusammenarbeiten würden, um diesen Konflikt zu beenden.“

Die finanziellen Kürzungen in der humanitären Arbeit bereiten Pfattner Sorgen, insbesondere jetzt nach der COVID-19-Krise. Hoffnung schöpft er aber aus der Erkenntnis, dass der LWB die Verbindungen zwischen seinen Mitgliedskirchen und den Länderprogrammen stärkt, mit denen besonders verletzliche Gemeinschaften unterstützt werden. „Der LWB und andere glaubensbasierte Organisationen können die professionellen Fähigkeiten unserer humanitären Teams zusammen mit den lokalen Strukturen einer Kirche anbieten, die die Bedürfnisse der Menschen kennt, ihre Sprache spricht und ihre kulturellen Normen versteht,“ sagt er. 

Während seiner Arbeit als Interimsleiter des Jordanienprogramms im Jahr 2015 konnte Pfattner diese konstruktive Zusammenarbeit hautnah miterleben. Er kommt zu dem Schluss, „dass die Kombination von lokalem Wissen vor Ort und Unterstützung durch den LWB-Gemeinschaftsbüro in Genf ein echter Mehrwert ist, mit dem sich die Leben der Menschen zum Besseren verändern.“

Von LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Tonello-Netzwerk, Redaktion. LWB/A. Weyermüller