Welttag der humanitären Hilfe

19 Aug. 2022

„Für gewöhnlich leisten als erstes die Einheimischen Hilfe“

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Allan Calma

Allan Calma, Koordinator für humanitäre Hilfe des LWB. Foto: LWF/S. Gallay

(LWI) - Allan Calma, Koordinator für die humanitäre Hilfe des LWB, besuchte gerade ein anderes LWB-Länderprogramm, als der jüngste Notfall eintrat. Wenige Tage nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine befand er sich bereits im Flugzeug nach Warschau. In den vergangenen fünf Monaten richtete Calma zusammen mit der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, einer LWB-Mitgliedskirche, ein neues Länderprogramm für humanitäre Hilfe in Polen ein.

Anlässlich des Welttags der humanitären Hilfe spricht er über seine Motivation, darüber, was die durch den Krieg in der Ukraine verursachte Flüchtlingskrise so einzigartig macht und über die stillen Heldinnen und Helden in vielen Katastrophenfällen.

Wie viel Zeit hatten Sie, um sich auf die aktuelle Mission in Polen vorzubereiten?

Ich wurde von einer Mission im Südsudan abgezogen, als das russische Militär in die Ukraine einfiel. Also kam ich im Grunde genommen morgens zurück nach Genf, um einen frischen Satz Kleidung zu holen, und am Nachmittag flog ich schon nach Warschau. Das war ein Wechsel von 48 Grad auf -3 Grad an einem Tag.

Unterscheidet sich diese Notsituation von anderen, mit denen Sie es in der Vergangenheit zu tun hatten?

Ja, sehr sogar. Ich denke, diese Notsituation stellt die humanitären Helferinnen und Helfer immer wieder vor neue Herausforderungen und zwingt sie, sich ständig etwas Neues einfallen zu lassen, wie man den vertriebenen Menschen effizient helfen kann. Vor allem haben die Regierungen einiger Aufnahmestaaten, wie hier in Polen und in vielen anderen europäischen Ländern, den Flüchtlingen das Recht eingeräumt, einer Arbeit nachzugehen und sie sogar in ihre Sozialleistungen integriert.

Wir in der Nothilfe haben schon immer betont, dass diese beiden Punkte die größte Schwierigkeit für eine erfolgreiche Flüchtlingshilfe darstellen. Jetzt können wir endlich zeigen, wie viel wir tun können, wenn wir von den Regierungen der Aufnahmestaaten in dieser Form unterstützt werden.

Was ist leicht, was ist schwierig? 

Man verliebt sich leicht in Polen und die polnische Bevölkerung. Was mir am meisten gefällt ist das Zusammentreffen mit den Menschen, denen wir helfen möchten – es ist hart, ihre Geschichten zu hören, wie sie geflohen sind, wie sie ihr ganzes Leben zurückgelassen haben, doch es tut auch gut, von ihrer Widerstandskraft zu hören. Bei dieser Aufgabe schätze ich vor allem, dass die Notfallhilfe von den Einheimischen ausging. Und wie das Notfallhilfeorgan des LWB, der Weltdienst, Hand in Hand mit unserer Mitgliedskirche (EAKP) und deren Pfarrgemeinden in ganz Polen zusammengearbeitet hat.

Die Herausforderung besteht darin, einen Weg durch die miteinander konkurrierenden und manchmal auch widersprüchlichen Strategien und Herangehensweisen der Notfallhelferinnen und -helfer zu finden. Auf der einen Seite brauchen wir neue Mittel und Wege, um die Dinge anzupacken, da der Kontext hier ein gänzlich anderer ist als in Notsituationen, mit denen wir es früher zu tun hatten, aber auf der anderen Seite müssen wir auch in der Lage sein, das anzuwenden, was wir aus früheren Notsituationen gelernt haben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind sehr mobil, und sie dürfen sich innerhalb von Europa frei bewegen. Zudem ist Polen ein krisenfestes Land mit einer stabilen Wirtschaft. Normalerweise ist das erste, was wir in einer Flüchtlingskrise brauchen, die Versorgung mit Lebensmitteln und Grundhilfsgütern, doch in diesem Kontext war das nicht unbedingt notwendig. Natürlich hatten wir Stellen, wo wir Essen und Wasser hinlieferten, wie zum Beispiel Grenzübergänge, Bahnstationen und Transitbereiche, doch die Flüchtlinge nahmen sich immer nur, was sie gerade brauchten und zogen weiter. Eine vielseitige finanzielle Unterstützung ist in dieser Situation definitiv das zweckmäßigste Mittel, um zu helfen. Wir haben bereits eine Menge Erfahrung mit dieser Art von Hilfe, müssen aber darauf achten, dass wir uns mit anderen Hilfsorganisationen abstimmen, damit wir doppelte Arbeit vermeiden.

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Allan Calma in CAEC Gdansk

Allan Calma (rechts) LWB Weltdienst und Robert Sitarek (links), Pfarrer der Lutherischen Diözese von Wrocław in Wroclaw, Poland. Foto: LWF/Maxim SARYCHAU

Was bedeutet der Welttag der humanitären Hilfe für Sie und warum ist er wichtig? 

Hier geht es darum, dass Menschen anderen Menschen helfen. Um die unbesungenen Heldinnen und Helden. Es ist wichtig, dass wir uns die Zeit nehmen, ihre Bemühungen zu würdigen.

Wer sind die unbesungenen Heldinnen und Helden in dieser Krisensituation?

Eindeutig die Menschen in Polen. Es waren weder die Regierung noch die Nichtregierungshilfsorganisationen, die sich als erstes um die Flüchtlinge kümmerten, sondern es waren die einfachen Menschen im Land, die beschlossen, etwas zu tun, um den Flüchtlingen zu helfen. Sie öffneten ihre Heime, kochten Mahlzeiten, waren freiwillig als Lotsen an den Bahnstationen tätig, halfen an den Grenzübergängen dabei, die Schwächsten zu schützen. Seit ich hier bin, habe ich so viele wundervolle Menschen getroffen, von denen ich erst später herausfand, dass sie in ihren Wohnungen und Häusern Flüchtlinge beherbergten – sie erzählen einem nichts davon oder prahlen damit, das erfährt man erst von anderen. 

Es waren weder die Regierung noch die Nichtregierungshilfsorganisationen, die sich als erstes um die Flüchtlinge kümmerten, sondern es waren die einfachen Menschen im Land, die beschlossen, etwas zu tun, um den Flüchtlingen zu helfen.

– Allan Calma, Koordinator für humanitäre Hilfe des LWB

Das habe ich überall auf der Welt in humanitären Krisen erlebt: Für gewöhnlich leisten als erstes die Einheimischen Hilfe. Darum ist es so wichtig, dass wir die lokalen Kapazitäten zur Hilfeleistung weiter stärken und sie gegenüber Notsituationen widerstandsfähiger machen. Auch dürfen wir in keiner Flüchtlingskrise vergessen, dass es darauf ankommt, sowohl die Flüchtlinge als auch die aufnehmenden Gemeinden zu unterstützen.

Wenn Sie sich zum Welttag der humanitären Hilfe etwas wünschen könnten, was wäre das? 

Dass wir eines künftigen Tages die humanitären Hilfeleistenden nicht mehr feiern müssen, als gehörten sie einer anderen Gattung an, sondern dass alle Menschen als humanitäre Helferinnen und Helfer gefeiert werden. Ich würde mir wünschen, dass humanitäre Hilfe nicht mehr nur von einzelnen Personen geleistet wird, sondern zu einer Bewegung wird.

Das LWB-Nothilfeorgan Weltdienst ist mit 19 Programmen in 25 Ländern in Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, der Karibik und dem Nahen Osten vertreten. Der LWB-Weltdienst ist in einigen der schwierigsten und am schwersten zu bewältigenden humanitären Hilfs- und Entwicklungssituationen weltweit tätig, wo die Lage unsicher und häufig von Gewalt und Unruhe geprägt ist.

In der Ukraine-Krise leistet der LWB direkte Notfallhilfe über ein Programm für humanitäre Hilfe in Polen sowie über seine lokalen Mitgliedskirchen in Polen, Ungarn, Rumänien und der Slowakischen Republik. Gemeinsam mit der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine, einer LWB-Mitgliedskirche, sucht der LWB nach Möglichkeiten, um die Menschen in der Ukraine direkt im Bezirk Tschernihiw im Norden der Ukraine zu unterstützen. Auf globaler Ebene beteiligt sich der LWB am weltweiten Engagement für Frieden und dem Schutz vertriebener und schutzbedürftiger Menschen.

LWF/C. Kästner
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