Interview mit Daniel Kirschbaum, Leiter für die Arbeit mit jungen Erwachsenen der ELKA
CHICAGO, USA/GENF (LWI) – 2021 hat Daniel Kirschbaum bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA) die Stelle des Leiters für die Arbeit mit jungen Erwachsenen angetreten. Im Interview erzählt er, dass er schon als Kind aktiv an Programmen seiner Gemeinde für junge Menschen teilgenommen hat und dass er hofft, dass sein Wirken als junger Erwachsener die Kirchen ermutigen könne, Raum für die Teilhabe junger Menschen am Dienst der Kirche zu schaffen, zu dem das Evangelium aufruft.
Er spricht über sein Engagement im Globalen Netzwerk junger Reformatorinnen und Reformatoren des Lutherischen Weltbundes (LWB) und erzählt, wie er dadurch zu einem tiefergehenden Austausch mit Menschen aus aller Welt über Themen von öffentlichem Interesse und theologische Themen gekommen ist, die für junge Menschen von Bedeutung sind.
Erzählen Sie uns kurz, welche religiöse und Glaubenserziehung Sie als Kind genossen haben?
Als ich Kind war, waren wir Mitglieder einer ELKA-Gemeinde in einem kleinen Ort in Wisconsin im Mittleren Westen der USA. Ich bin in die Sonntagsschule gegangen und habe an verschiedenen Gemeindeveranstaltungen teilgenommen. Jeden Sommer war ich für eine Woche auf Sommerfreizeit. Außerdem habe ich in den Schulferien an den Bibelkursen meiner Gemeinde teilgenommen, bin zum Konfirmationsunterricht und den Vorbereitungskursen für die erstmalige Teilnahme am Abendmahl gegangen und habe an den landesweiten Jugendtreffen der ELKA teilgenommen.
Als Jugendlicher war ich wohl sehr viel aktiver in der Kirche als die meisten, aber für mich war es ein Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Natürlich erlebte ich die eher akademischen Veranstaltungen anders als die eher auf das Zwischenmenschliche ausgelegten. Letztere sorgten dafür, dass ich mich in der Gemeinschaft sicher und gut aufgehoben fühlte. Ich konnte mich auf diese Beziehungen zu anderen Menschen auf eine Art und Weise verlassen, die ich in der Schule und anderen gesellschaftlichen Räumen nicht erlebte.
Wo liegen Ihre derzeitigen Interessen? Wofür können Sie sich begeistern und was ist Ihnen wichtig?
Ich bin sehr gerne draußen in der Natur. Ich gehe gerne Kanu fahren und wandern. Im Grunde bin ich einfach gerne umgeben von Gottes Schöpfung. Besonders wichtig ist mir das Eintreten für Gerechtigkeit; und ich bringe gerne Menschen zusammen, um sich gemeinsam gegen Rassismus, für Klimagerechtigkeit und für die Befreiung queerer Menschen zu engagieren. Außerdem spiele ich gerne Gesellschaftsspiele und Volleyball.
Wie können Kirchen wirklich offene Räume für junge Menschen schaffen?
Wir sind Weltbürgerinnen und Weltbürger und Digital Natives, und etwas außerhalb der Familiensysteme verortet, für die die kirchlichen Strukturen zumeist gestaltet sind. Die Kirchen sollten nach Möglichkeiten zur Einbindung junger Menschen suchen, die vielleicht bisher unentdeckt sind. Für junge Menschen ist es wichtig, dass auch die eingesetzten Gelder der Kirchen und die Zeit, die auf etwas verwendet wird, sowie die Beschlussfassungen die Werte widerspiegeln, von denen die Kirchen behaupten, dafür zu stehen – Engagement gegen Rassismus, Klimagerechtigkeit, Gendergerechtigkeit und Engagement gegen Ableismus –, denn das alles ist für junge Menschen sehr wichtig. Wenn wir also das Evangelium verkündigen, aber diese Themen nicht als einen integralen Bestandteil davon betrachten und behandeln, läuft die Kirche Gefahr, sich von den jungen Menschen und diesen für uns im Evangelium verwurzelten Werten zu distanzieren. Kirchen sollten bereit sein, auch schwierige Diskurse zu führen, an denen Menschen teilhaben dürfen, wie sie eben sind.
Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen Angst vor jungen Menschen haben, die sagen, „ich bin spirituell, aber nicht religiös“. Wenn ich solchen Menschen persönlich begegne, die genau das von sich sagen, erlebe ich oftmals eine zutiefst gläubige und zutiefst christlich gesinnte Person, die einfach nur für sich festgestellt hat, dass sich unsere Institutionen von unserem Glauben entfernt haben. Und die jungen Menschen, von denen ich sprach, haben für sich beschlossen, sich von der Religiosität des christlichen Glaubens zu distanzieren. Unsere Kirche kann uns viel geben, aber das ist es, was ich von jungen Menschen hören, die sich gegen diese Gaben wehren.
Wie sind junge Menschen Ihrer Ansicht nach in das öffentliche Wirken der Kirche eingebunden?
Im Advocacy-Büro der ELKA gibt es ein Programm zur Beseitigung des Hungers in der Welt. Wir haben unglaublich gute junge Stipendiatinnen und Stipendiaten in diesem Programm, die für ein Jahr in unseren Advocacy-Büros mitarbeiten und dort unsere Advocacyarbeit kennenlernen und die Gaben und Sichtweisen von jungen Erwachsenen einbringen. Sie arbeiten mit unseren Advocacy-Teams zusammen, um auf die Politik einzuwirken. Den jungen Erwachsenen und der LWB-Jugenddelegation zuzuhören, die in diesem Jahr an der COP26-Klimakonferenz in Glasgow teilgenommen haben, war großarting. Sie haben prophetische Stimmen und können in unserem öffentlichen Dienst wirklich grundlegende Veränderungen bewirken. Es war beeindruckend, ihnen zuzuhören.
Wie könnte die Kirche den aktiven Dienst von jungen Menschen besser unterstützen, anstatt die jungen Menschen nur als Zielgruppe ihres Dienstes zu betrachten?
Ich habe in jüngerer Vergangenheit immer wieder gesagt: „Jugendarbeit ist keine richtige Jugendarbeit, wenn nicht den jungen Menschen die Führungsrolle zugestanden wird.“ Das bereitet einigen Menschen Unbehagen, aber ich bin wirklich davon überzeugt. Ich erlebe, dass viele Menschen – vor allem ältere, aber eigentlich Menschen ganz allgemein – Angst davor haben, loszulassen und darauf zu vertrauen, dass Jugendliche und junge Erwachsenen tatsächlich Führungsverantwortung übernehmen können. Ich glaube, dass diese Angst auf fehlende Beziehungen zurückzuführen ist, und auf die Sorge, dass sich tatsächlich etwas ändern könnte. Diese „heilige Unruhe“ der derzeitigen Art und Weise, unserem Glauben Ausdruck zu verleihen, ist möglicherweise Gottes Versuch, der Kirche etwas mitzuteilen. Als Kirche der Reformation haben wir sogar immer bekräftigt, dass ein Stören Räume schafft, in denen dann Gott in unserem Wirken zum Ausdruck kommen kann.
Wie wirkt sich Ihr Engagement im Globalen Netzwerk junger Reformatorinnen und Reformatoren des LWB auf Ihre Arbeit bei der ELKA aus? Was bedeutet es für Ihre Kirche, Ihre Arbeit und Sie persönlich, Teil der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zu sein?
Die Arbeit im Globalen Netzwerk junger Reformatorinnen und Reformatoren war und ist eine großartige Erfahrung. Es hat meinen Horizont erweitert und mich immer wieder herausgefordert. Gleichzeitig hat es mich eingeladen, mich an einem Austausch zu beteiligen, der sehr viel umfassender ist als unsere lokale Lebensrealität hier vor Ort. Der Heilige Geist verbindet uns alle miteinander und wir leben gemeinsam als Teil von Gottes Schöpfung. Von den Strategien und Sichtweisen der anderen Reformatorinnen und Reformatoren aus der weltweiten Gemeinschaft zu erfahren, hat unsere Arbeit hier vor Ort im Jugendreferat intensiviert. Es hat sich das Gefühl entwickelt, dass es um des Evangeliums willen wichtig ist, dass wir uns gegenseitig zueinander bekennen und füreinander einsetzen. Unsere Arbeit ist wichtig, unsere Arbeit sollte wahrgenommen werden und wir alle müssen Teil dieses Zeugnisses sein.
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund (LWB) ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
- Weitere "Stimmen aus der Kirchengemeinschaft"