USA: Erste Latina und „pfingstkirchliche Lutheranerin“ im Bischofsamt

Im folgenden Interview berichtet Bischöfin Leila Ortiz über ihre Kindheit in einer Pfingstkirche in Puerto Rico und wie sie die „befreiende, lebensverändernde“ lutherische Theologie für sich entdeckte.

06 Sep 2024
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Bischöfin Leila Ortiz. Foto: LWB/Albin Hillert

Bischöfin Leila Ortiz. Foto: LWB/Albin Hillert

Bischöfin Leila Ortiz von der Synode der Metropolregion Washington D.C. der ELKA  

(LWI) – Sie ist die erste Frau und die erste Person of Color an der Spitze der Synode der Metropolregion Washington D.C. der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA). Sie ist auch die erste Latina, die in der ELKA in dieses Amt gewählt wurde. Bischöfin Leila Ortiz hat seit ihrer Ordination zur Pfarrerin 2014 zahlreiche gläserne Decken in der Kirche durchbrochen.  

Zwei Jahre nach ihrer Ordination übernahm sie eine Stelle bei der Synode in Washington und wurde 2019 als eine der jüngsten Führungskräfte in der ELKA in das Amt der Bischöfin gewählt. Für Ortiz selbst war es ein ungewöhnlicher und unerwarteter Weg, denn weniger als zwei Jahrzehnte zuvor hatte sie sich als Studentin an einem College in Puerto Rico, wo sie engagiertes Mitglied der Pfingstkirche war, noch durchkämpfen müssen.  

Auf der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Krakau letztes Jahr wurde Ortiz in den LWB-Rat gewählt. Ein Amt, das ihr „umfassendere Einblicke in Krisen“ ermögliche, die die Kirchen in den USA betreffen. Im Rahmen der ersten Ratstagung in Genf im Juni hat Ortiz uns von ihrem persönlichen Glaubensweg und ihrer Überzeugung berichtet, dass sie wie die jüdische Königin Ester berufen sei, „um dieser Zeit willen“ in der Kirche zu dienen.  

Sie sind in einer Pfingstkirche aufgewachsen, und beschreiben sich selbst als „Luthercostal“, als pfingstkirchliche Lutheranerin sozusagen?  

Ganz genau. In meiner Kindheit in Puerto Rico und später in New York war mein Onkel als Pastor einer Pfingstkirche tätig, wo auch wir jeden Tag zum Gottesdienst gingen. Dort gab es immer auch einen Altarruf, einen Aufruf, dass sich die Menschen öffentlichen zu Jesus bekennen, und es gibt Fotos von mir als kleines Kind, wie ich die Hand von meinem Onkel festhalte, der diese zum Segen auf meinen Kopf gelegt hatte.  

Ich war Einzelkind und hatte keine imaginären Freunde; stattdessen hatte ich Jesus, mit dem ich reden konnte und der immer für mich da war. Durch diese kirchliche Erziehung bin ich Gott begegnet und habe ich den Heiligen Geist kennengelernt, wurde ich verzaubert von der Vorstellung der Jüngerschaft und von der Vorstellung, Jesu Vorbild zu folgen.  

Wie kam es dann, dass Sie sich der lutherischen Kirche zugewandt haben?  

Ich war in meinem Psychologie-Studium in Puerto Rico eine Studentin mit ausgezeichneten Noten, aber dann wurde meine Mutter krank und meine Prioritäten veränderten sich. Mein Leben spielte sich zwischen Krankenhaus und Kirche ab, und ich fiel mit meinem Studium immer mehr zurück.  

Als ich irgendwann meiner Mutter davon erzählte, griff sie zum Telefon und rief ihre Schwester in der Bronx an. Zwei Wochen später – im Juli 2000 – saß ich im Flieger nach New York; meine Eltern sollten im November desselben Jahres nachkommen. Weil ich in New York dann zunächst bei meiner Tante lebte und sie mit einem lutherischen Pastor verheiratet war, wurde von mir erwartet, dass ich mit ihnen zum Gottesdienst ging.  

War diese Veränderung schwierig für Sie?  

Anfangs fühlte ich mich beleidigt und verletzt von der lutherischen Kirche! In meinen Augen waren die Bilder ketzerisch und ich konnte nicht nachvollziehen, warum das Taufbecken so klein war, denn ich war in einem großen Bad getauft worden. Am meisten aber störte mein 21-jähriges Selbst, dass die Orgel für mich überhaupt nicht in den Gottesdienst gehörte. Ich sehnte mich nach Schlagzeug und Gitarre.  

Aber ich kam in dieser Kirche auf neue Art und Weise mit dem Evangelium in Berührung und begann, mich in der Arbeit der Kirche mit Kindern zu engagieren. Es kamen immer mehr Familien und mein Onkel sagte eines Tages zu mir, dass ich eine Gabe hätte für den Pfarrdienst, also schrieb ich mich am Theologie-Seminar ein. Irgendwann sprach ein Professor im Unterricht über Rechtfertigung und sagte: „Wenn Sie verstehen, dass es Gottes Entscheidung war, Sie zu erlösen, und nicht Ihre eigene Entscheidung, dann werden Sie verstehen, wie wunderbar gnädig und barmherzig Gott ist.“  

Ich hatte mich schon vorher viel mit dem Thema Gnade beschäftigt, aber dieser Professor machte mir klar, dass Gott zu mir kommt. Das war der Moment, in dem bei mir ein Umdenken stattfand, wie ein frischer Wind. Ich schaute auf die anderen Studierenden um mich herum, die sich einfach nur Notizen machten, aber ich selbst hatte nie zuvor so erlösende Worte gehört. Mir wurde klar, dass ich genau diese Worte verkündigen und mit anderen teilen sollte, die nach der Gnade Gottes dürsten.  

Können Sie bitte erklären, was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass Sie in Ihrem Dienst in der Kirche eine „pfingstkirchliche Lutheranerin“ sind?  

Für mich heißt das, zwei scheinbar gegensätzliche religiöse Erfahrungen zusammenzubringen: das Heranwachsen und die Erziehung in einer Pfingstkirche und die lutherische Theologie. Ich greife auf das Beste aus beiden Welten zurück: Mein spiritueller Werdegang in der Pfingstkirche lässt das Wirken des Heiligen Geistes im Alltag zu und die lutherische Theologie formuliert in Sachen Gerechtigkeit ein Wort der Gnade, der Liebe und der Rechenschaft.  

Mich interessiert zudem auch sehr, dass Latinas einen besonderen Einfluss auf die lutherische Ekklesiologie haben, dass sie Luthers Einladung folgen, den Geist der Schrift zu erkennen und sich jeden Tag mit dem Wort Gottes zu beschäftigen, nicht nur am Sonntagvormittag.  

Sie sind die erste Frau und die erste Person of Color, die das Amt der Bischöfin in der Metropolregion Washington D.C. innehat, nicht wahr?  

Richtig, und ich bin auch die erste Latina, die in der ELKA auf dem US-amerikanischen Festland zur Bischöfin gewählt wurde. Manchmal ist das nicht einfach, weil die ELKA eine mehrheitlich weiße Kirche ist. Mir war nicht klar, dass es für meine Psyche und mein Herz so aufreibend sein könnte, einfach nur in meiner eigenen Haut aufzutreten.  

Zuweilen hat es mir das Herz gebrochen, aber oftmals war ich auch einfach sehr dankbar für die Möglichkeiten, die sich mir eröffnet haben. Genau wie Ester in der Bibel bin ich überzeugt, dass wir von all den Zeiten und Epochen in der Geschichte nun einmal genau jetzt geboren wurden und uns deshalb eben auch jetzt einfach unserer Aufgabe stellen und mit Gottes Hilfe und im Namen Jesu dienen müssen.  

Welche Schwerpunkte haben Sie sich selbst für Ihre Amtszeit als Bischöfin gesetzt?  

Ich bin im September 2019, also kurz vor Ausbruch der COVID-19-Pandemie zur Bischöfin ernannt worden. Das war eine sehr schwierige Zeit, aber auch eine heilige Zeit, da der Heilige Geist in genau solchen Zeiten des Wandels und der Neues schaffen und Möglichkeiten eröffnen kann.  

Ein besonderer Schwerpunkt für mich ist es, die Führungskräfte und Gemeinden zu begleiten und ihnen Raum zu geben, unvollkommen und gnädig mit sich selbst zu sein. Wir sind in den USA sehr gut darin, Gnade für andere walten zu lassen, aber nicht so gut darin, uns selbst gegenüber gnädig zu sein. Wir neigen dazu, Perfektionisten zu sein, hohe Leistungen zu erbringen und unseren Wert an unsere Leistungen zu knüpfen. Doch die lutherische Theologie gibt uns die Erlaubnis, so zu erscheinen, wie wir sind: gebrochen, unvollkommen, verletzlich und auf dem Weg der Heilung, ohne uns verstellen zu müssen. Ich bete, dass wir nach Glaubenstreue streben, nicht nach Perfektion. 

Ich möchte die Führungspersonen unserer Kirche daran erinnern, dass auch wir einfach nur Menschen sind, dass es okay ist, Trauer zu empfinden, weil wir etwas oder jemanden verloren haben – Menschen, Finanzmittel, Mitglieder, Kontrolle, ganz egal. Ich möchte ihnen Hilfsmittel an die Hand geben, möchte sie ermutigen, sich mit anderen zusammenzutun, damit wir das Rad nicht jedes Mal neu erfinden müssen. Vor allem aber möchte ich die Menschen einladen, eine Beziehung zu Jesus aufzubauen, die zu einer Beziehung mit anderen Menschen wird, daher ist es meine wichtigste Priorität, Raum für diese Beziehungen zu schaffen.  

Was bedeutet es für Sie und Ihre Kirche, Teil der weltweiten LWB-Kirchengemeinschaft zu sein?  

Für mich ist es in erster Linie eine Chance, von anderen zu lernen, andere Kirchen kennenzulernen und ein besseres Verständnis für unsere eigenen Krisen und Lebensrealitäten zu entwickeln. Für die ELKA ist es wesentlich, Teil dieser großen Gemeinschaft von Kirchen zu sein. Wenn wir immer nur unsere eigenen persönlichen oder systemischen Rahmenbedingungen und Umstände anschauen, glauben wir irgendwann, dass wir der Mittelpunkt von allem sind; aber die Kirchengemeinschaft erinnert uns daran, dass wir Teil eines größeren Ganzen sind, in dessen Mittelpunkt das Evangelium von Jesus Christus steht.  

Ich bin sehr dankbar für die Chance, Mitglied im LWB-Rat zu sein, für die Vision und das Beharren darauf, dass wir trotz allem oder gerade deswegen gemeinsam Kirche sein müssen. 

LWF/P. Hitchen