Interview mit dem kanadischen Bischof Michael Pryse
Adelaide (Australien)/Genf, 8. Juni 2016 (LWI) – Der für die Weiterentwicklung der weltweiten lutherisch-anglikanischen Beziehungen verantwortliche Ausschuss steht kurz vor dem Abschluss seiner vierjährigen Arbeitsphase. Aus diesem Anlass wird er bis Ende des Jahres Materialien für gemeinsame Andachten veröffentlichen.
Im Anschluss an die jüngste Tagung des Internationalen anglikanisch-lutherischen Koordinierungsausschusses (ALICC) sprach der kanadische Bischof Dr. Michael Pryse, der für die lutherische Seite den Vorsitz des Ausschusses führt, mit der Lutherischen Welt-Information über dessen Arbeit und die Zukunft der Beziehungen beider weltweiter Kirchengemeinschaften.
Welche Ergebnisse hat ALICC erzielt?
Unser Auftrag war ein etwas anderer als bei den typischen ökumenischen Dialogen. Wir waren ausdrücklich angewiesen, als Katalysator zu wirken, der weltweit zu einer Vertiefung der Beziehungen zwischen der lutherischen und der anglikanischen Tradition anregt. Im Lauf unserer Arbeit von 2013 bis 2016 war es uns möglich, einen Überblick über die bestehenden Beziehungen in den jeweiligen regionalen Kontexten zu erarbeiten und sie zu beschreiben. Bis Ende dieses Jahres werden wir ein Instrument zur Klärung potenziell fruchtbarer Schritte entwickeln, die die lutherische und die anglikanischen Seite jeweils als nächstes gehen können, um die Partnerschaft in ihrem spezifischen Kontext zu vertiefen.
Wir stehen „kurz vor der Vollendung einer sechswöchigen Serie von Andachten… [Sie] beleuchten den Gedanken, dass es bei der Vertiefung der lutherisch-anglikanischen Beziehungen um die missio Dei [also um Gottes Mission] geht, die Konsequenzen, die das für die diakonische Arbeit hat, sowie das Thema des LWB für das 500. Reformationsjubiläum – ‚Befreit durch Gottes Gnade‘“, ALICC-Co-Vorsitzender Bischof Dr. Michael Pryse, Evangelisch-Lutherische Kirche in Kanada
Ausserdem stehen wir kurz vor der Vollendung einer sechswöchigen Serie von Andachten, die wir gemeinsam mit unseren Partnerinnen und Partnern weltweit erarbeitet haben. Die Andachten beleuchten den Gedanken, dass es bei der Vertiefung der lutherisch-anglikanischen Beziehungen um die missio Dei [also um Gottes Mission] geht, die Konsequenzen, die das für die diakonische Arbeit hat, sowie das Thema des LWB für das 500. Reformationsjubiläum – „Befreit durch Gottes Gnade“, samt seinen Unterthemen, die betonen, dass Erlösung, Menschen und die Schöpfung „für Geld nicht zu haben“ sind. Diese Materialien sollen bis Ende des Jahres vorliegen und sind ein gemeinsamer anglikanisch-lutherischer Beitrag zum Gedenken anlässlich des 500. Reformationsjubiläums.
Gab es schwierige Fragen, die Sie im Ausschuss nicht aufgreifen konnten?
Die wesentliche, kontinuierliche Herausforderung dieser Arbeit besteht darin, dass man die Bedeutung des lokalen Kontexts zu verstehen, zu schätzen und ernstzunehmen lernt. Partnerschaften und der Weg zu einer vertieften Beziehung können ganz verschieden aussehen, je nachdem, wie sich der spezifische Kontext darstellt, in dem die jeweiligen Ortskirchen leben und wirken. Es gibt kein „Einheitsmodell“ für solche Arbeit. Diese Tatsache bleibt eine kontinuierliche Herausforderung, ist aber auch Quelle grossen Reichtums und erfordert von denen, die die lutherisch-anglikanischen Beziehungen weltweit voranbringen wollen, geduldige Beharrlichkeit.
Ein Blick in die Zukunft: Welche Entwicklungen erwarten Sie in den weltweiten anglikanisch-lutherischen Beziehungen?
Ich erwarte eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Beziehungen in einem gleichmässigen, wenn auch spezifisch bedingten Tempo. Fortschritte auf der Ebene der Kirchengemeinschaften werden dabei Quelle echter Ermutigung sein, sich aber in den verschiedenen regionalen und nationalen Kontexten unterschiedlich niederschlagen. Zeichen solchen Wachstums sind aus den Berichten, die ALICC im Lauf unserer Arbeit vorgelegt wurden, deutlich ersichtlich. Ich möchte unsere beiden Kirchengemeinschaften nachdrücklich dazu ermutigen, über ein neues Modell nachzudenken, um die Katalysatorfunktion zu betonen.
Wie haben die Beziehungen zwischen den Ausschussmitgliedern im Dialogprozess ihren Niederschlag gefunden?
Die Beziehungen im Ausschuss und zwischen seinen Mitgliedern waren für mich und, so glaube ich, alle Ausschussmitglieder, eine reiche Quelle vertieften Verständnisses und persönlicher Erneuerung. Viele von uns arbeiten in einer Zweit- oder gar Drittsprache und wir kommen aus extrem unterschiedlichen kirchlichen und gesellschaftlichen Kontexten. Wir haben gelernt, wie wichtig es ist, einander aufmerksam zuzuhören und so viel Zeit wie nötig aufzuwenden, damit alle Ausschussmitglieder die Diskussionsthemen reflektieren und zu ihnen Stellung nehmen können.
Hintergrund:
Den internationalen Dialog zwischen LWB und Anglikanischer Kirchengemeinschaft führen seit den 1970er Jahren wechselnde Gremien. Er hat eine Reihe von Berichten hervorgebracht, darunter „To Love and Serve the Lord. Diakonia in the Life of the Church“. Auf regionaler Ebene bestehen zwischen anglikanischen und lutherischen Kirchen in Australien, Teilen Europas, in Kanada und in den Vereinigten Staaten volle Kirchengemeinschaft oder andere Übereinkommen.
Kommuniqué der ALICC-Tagung in Adelaide (Australien) vom 25. bis 31. Mai 2016 (in englischer Sprache)
Weitere Informationen zum anglikanisch-lutherischen Dialog (in englischer Sprache)