Auch die Initiative „A World of Neighbours“ [Eine Welt der Nächstenliebe], die die Schwedische Kirche ins Leben gerufen hat, ist mir sehr wichtig. Angefangen hat alles mit der Idee, dass zwei Menschen durch Europa reisen könnten, um Menschen zu treffen, die sich an der Basis vor Ort für Menschen einsetzen, die auf der Flucht sind. Dies hat dann ganz bewusst schnell eine interreligiöse Dimension angenommen und ein Netzwerk von praktisch engagierten Fachleuten geschaffen, die dabei helfen konnten, weitere Menschen in ihrem Fachgebiet zu schulen.
Im Februar haben wir ein Gipfeltreffen veranstaltet, das am 24. Februar zu Ende ging – dem Tag, als Russland in die Ukraine einmarschiert ist. Es hat mir viel bedeutet, mit diesen engagierten Fachleuten zusammenzusitzen. Sie leisten erstklassige Arbeit und das oftmals mit sehr begrenzten Mitteln. Leider beendet die Schwedische Kirche ihr aktives Engagement als Triebkraft dieser Initiative, aber das Netzwerk wird es weiterhin geben und es ist großartig zu sehen, dass es ein Eigenleben entwickelt hat.
Weiterhin muss ich den „Wahrheits- und Versöhnungsprozess“ mit dem Volk der Sami nennen, den es schon sehr viel länger gibt, als ich Erzbischöfin war. Aber trotzdem: Ich konnte in meiner Zeit als Erzbischöfin im Rahmen eines Gottesdienstes im Dom von Uppsala, dem symbolischen Machtzentrum unserer Kirche, offiziell um Vergebung bitten. Wir werden diese Bitte in Sápmi auf einer Konferenz in Luleå vom 21. bis 23. Oktober noch einmal wiederholen; und wir sind fest entschlossen, uns unermüdlich für die Umsetzung der eingegangenen Selbstverpflichtungen einzusetzen, auf die wir uns geeinigt haben. Es ist ein andauernder Prozess, aber ich bin dankbar, dass wir diese wichtigen ersten Schritte gemacht haben.
Ich bin auch sehr dankbar, dass in den letzten Jahren das Bewusstsein dafür gewachsen ist, dass die Klimakrise auch eine spirituelle und existenzielle Krise ist – auch das ist eine wichtige Entwicklung, bei der die Kirche eine wichtige Rolle gespielt hat.
Und trotzdem sind Sie in den sozialen Medien für Ihre Ansichten und Standpunkte angegangen worden und mussten sich wegen der Hetze, der Sie ausgesetzt waren, von Twitter zurückziehen, nicht wahr?
Ja, die Hetze war eine große Herausforderung, weil sich die Social-Media-Plattformen in den letzten Jahren sehr schnell entwickelt haben und es inzwischen so viele gibt. Ich bin die erste Erzbischöfin der Schwedischen Kirche, seit diese Plattformen von so vielen Menschen genutzt werden. Man darf nicht vergessen: auch als der Buchdruck ganz neu war, wurden nicht nur schöne und gehaltvolle Bücher gedruckt, sondern auch Flugblätter mit Hassbotschaften. Und wir wissen auch, dass selbst Martin Luther davor nicht gefeit war!
Es ist außerdem bekannt, dass Frauen in Leitungspositionen solcher Hetze mehr ausgesetzt sind als Männer. Das Problem dabei ist nicht nur, dass man nicht nur selbst der Adressat dieser Hassbotschaften ist, sondern dass es sich auch auf alle Menschen auswirkt, die einem in den sozialen Medien folgen. Hassbotschaften und Hetze können dafür sorgen, dass unsere Ansichten zu polarisieren scheinen, obwohl wir eigentlich nur für die von der breiten Mehrheit anerkannten christlichen Werte eintreten. Daher braucht es viel Kraft und Einsatzbereitschaft, fokussiert zu bleiben und der Selbstzensur zu widerstehen.
Was würden Sie anderen raten, die auf ähnliche Weise angegangen werden?
Es ist immer gut, wenn man Menschen hat, mit denen man reden kann. Wenn man allein ist, ist es schwer, realistisch zu bleiben. Andere Menschen helfen einem, die eigene Resilienz zu stärken. Aber es gibt Situationen, in denen es richtig ist, eine Pause zu machen und einzuschränken, wer Tweets kommentieren darf. Für mich war das schwierig, denn anderen Menschen zuzuhören und empathisch zu sein, ist für mich Teil meiner Identität als Pfarrerin. Aber die sozialen Medien haben mich gezwungen, mir ein Schutzschild zuzulegen, um mich selbst zu schützen.
Mit Ihnen wurde zum ersten Mal eine Frau zum Oberhaupt Ihrer Kirche gewählt. Haben Sie in Ihrer Kirche und der lutherischen Welt allgemeiner seither Fortschritte im Hinblick auf die Rechte von Frauen beobachten können?
In der Foto-Ausstellung zum 75-jährigen Bestehen des LWB gibt es ein wunderschönes Foto von Prasanna Kumari, die in Chicago promovierte, als ich dort als Professorin am Seminar für lutherische Theologie tätig war. Ich habe gehört, dass sie sich gegen großen Widerstand dafür eingesetzt hat – auch im LWB –, dass Frauen in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, daher glaube ich das seither viel passiert ist. Ich bin überzeugt, dass das Engagement für Gendergerechtigkeit wichtig ist, und dass es viele Fortschritte bewirkt hat. Aber es hat auch Rückschläge gegeben.
Ich freue mich sehr über die jüngste Ordination der ersten Frauen in der polnischen Kirche und ich erinnere mich auch noch gut daran, wie sehr sich die Menschen gefreut haben, als ich gewählt wurde. Wir dürfen dieses Gefühl der Freude nicht vergessen, aber die patriarchalen Reflexe sitzen tief und konnten über Jahrhunderte Wurzeln schlagen, daher dürfen wir nicht aufhören zu kämpfen und dürfen nichts als selbstverständlich ansehen.
Was würden Sie Frauen raten, die in der Kirche immer noch unter Diskriminierung leiden?
Ich bin überzeugt, dass die Partnerschaft zwischen Frauen und Männern für diese Arbeit sehr wichtig ist, und dass es Vorbilder gibt. Wir müssen unsere Vorstellungen von Männlichkeit modernisieren und wir dürfen nicht unterschätzen, wie sehr solche Narrative auch Einstellungen und Haltungen beeinflussen können. Auch wenn es Rückschläge gibt, ist es wichtig, die Hoffnung nicht zu verlieren, und sich immer wieder bewusst zu machen, dass die Bewegung hin zu Gleichberechtigung auf lange Sicht irreversibel ist.
Das Patriarchat ist eines der destruktiven „fünf P“, von denen Sie oft sprechen [neben Populismus, Polarisierung, Protektionismus und Postfaktizität]. Welches P beunruhigt Sie am meisten und was kann die Kirche gegen alle fünf tun?
Die destruktiven Synergien dieser fünf Elemente sind in meinen Augen am beunruhigendsten. Ich glaube aber, dass die Kirche in vielerlei Hinsicht dazu beitragen kann, ihnen entgegenzuwirken und sie zu hinterfragen. Um Polarisierung entgegenzuwirken, brauchen wir eine gesunde Kultur der Meinungsverschiedenheit. Das Gegenteil von Polarisierung ist nicht Einheit oder Homogenität, sondern eine gesunde Art und Weise, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen; und eine solche Kultur müssen wir fördern.
Populismus funktioniert, weil er negative Emotionen bedient; deshalb müssen wir mehr auf Tatsachen bestehen. Auch gegen Protektionismus können wir uns dadurch zur Wehr setzen, dass wir eine globale Gemeinschaft sind, den ökumenischen und interreligiösen Dialog fördern und mit anderen Religionen zusammen Solidarität für die bedürftigen Menschen unter uns zeigen. Wir alle wissen, dass es viel Kraft und Mut braucht, um den Mächtigen gegenüber in komplexen Situationen für die Wahrheit einzutreten. Auch hier können wir dank unserer lutherischen Hermeneutik und der Art und Weise, wie wir die Bibel auslegen, viel beitragen.