Lutherisch-Orthodoxer Dialog: Neue Ära in den Beziehungen zwischen West- und Ostkirchen?

18. Jun. 2024

Bei einer Tagung in Ägypten haben lutherische und orthodoxe Theologie-Fachleuten jüngst Einigung in Bezug auf den Wortlaut des Nizänischen Glaubensbekenntnisses erzielt; die Differenzen spalteten das östliche und das westliche Christentum seit Jahrhunderten.

Mitglieder der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission vor dem Patriarchal-Kloster St. Georg in der Altstadt von Kairo, Ägypten

Mitglieder der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission vor dem Patriarchal-Kloster St. Georg in der Altstadt von Kairo, Ägypten. Foto: George Adib 

Gemeinsame Erklärung zum Wortlaut des Nizänischen Glaubensbekenntnisses: Wichtiger Schritt für Heilung jahrhundertelanger Spaltung  

(LWI) – Um nur drei Worte (sogar nur eines im lateinischen Original), die seit Jahrhunderten für eine Spaltung zwischen Ostkirchen und Westkirchen sorgen, geht es in einem neuen, bahnbrechenden Übereinkommen, das, so hoffen die Verfassenden, eine neue Ära der Versöhnung einläuten und einen wichtigen Schritt auf dem Weg hin zur Einheit aller christlichen Gläubigen sein könnte.

Bei einer Tagung der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission des Lutherischen Weltbundes (LWB) und der orthodoxen Kirchen in Kairo, Ägypten, im Mai haben sich beide Seiten erneut mit einer Umformulierung des Nizänischen Glaubensbekenntnisses aus dem 6. Jahrhundert beschäftigt und sind übereingekommen, dass allen Kirchen die Nutzung der griechischen Originalversion empfohlen werden soll.  

Mithilfe des Dialogformats eines „differenzierten Konsens“ haben sie eine gemeinsame Erklärung erarbeitet, die eine „grundsätzliche Wiederannäherung in Bezug auf das Verständnis von der Beziehung zwischen Sohn und Heiligem Geist“ offenbarte. Der Entschluss wurde gefasst „in der Hoffnung, dass dies zur Überwindung einer uralten Spaltung zwischen unseren Glaubensgemeinschaften beitragen kann und es uns ermöglichen wird, uns gemeinsam zu dem von den ökumenischen Konzilen in Nizäa und Konstantinopel formulierten Glauben zu bekennen“.  

Neuerliche Reflexion über Trinität  

Die Spaltung geht zurück auf die Ergänzung des lateinischen Wortes „filioque“ (auf Deutsch: und dem Sohn) zum Originaltext des Glaubensbekenntnisses durch die westlichen Kirchen zur Beschreibung des Hervorgangs des Heiligen Geistes. Für die orthodoxe Kirche stellte diese Ergänzung eine Verzerrung der Trinitätslehre dar. Trotz verschiedener Versöhnungsversuche brachen die Ost- und die Westkirchen im Schisma von 1054 auseinander – und dieses Schisma hat bis heute Gültigkeit.   

Bei ihrer Tagung in Kairo haben die Teilnehmenden nun darauf hingewiesen, dass die Kirchen der Reformation das Glaubensbekenntnis in westlicher Form übernommen hätten, ohne es als problematisch zu erachten. Heute aber, so waren sich die Teilnehmenden einig, sei es angesichts des anstehenden 1.700-jährigen Jubiläums des Konzils von Nizäa an der Zeit, neu darüber nachzudenken, welche Bedeutung die Ergänzung dieses Wortes habe und wie sich eine Chance für Versöhnung finden ließe. In der Erklärung wird vorgeschlagen, dass eine neuerliche Beschäftigung mit dem Originalwortlaut des Glaubensbekenntnisses „möglicherweise zu einer neuerlichen Reflexion über die Trinität und die Rolle des Heiligen Geistes ermutigen könnte“. 

Mitglieder der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission bei der Arbeit im Patriarchal-Kloster St. Georg in der Altstadt von Kairo, Ägypten

Mitglieder der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission bei der Arbeit im Patriarchal-Kloster St. Georg in der Altstadt von Kairo, Ägypten. Foto: George Adib  

„Die lutherische und die orthodoxe Seite haben in dieser Erklärung einen großen Schritt aufeinander zu gemacht“, sagte der Assistierende LWB-Generalsekretär für ökumenische Beziehungen, Prof. Dr. Dirk G. Lange. „Der LWB beruft sich auf eine Beschlussfassung der Vollversammlung 1990 in Curitiba, die besagte, dass der ‚filioque‘-Zusatz im ökumenischen Kontext weggelassen werden könne. Aber nun wollen wir die lutherischen Kirchen ermutigen, eine umfassendere Nutzung der Originalfassung des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel in Betracht zu ziehen, um unsere Reflexion zur Trinität zu vertiefen.“

„Für die orthodoxen Kirchen ist es ebenfalls ein großer Schritt, anzuerkennen, dass der ‚filioque‘-Zusatz – was so viel bedeutet wie ‚durch den Sohn‘ – in der patristischen Theologie attestiert ist und daher kein kirchenspaltendes Thema mehr sein sollte“, erklärte Lange weiter. „Der LWB hat diesen wichtigen Schritt hin zur Wiederaneignung der Originalfassung des Glaubensbekenntnisses auf der Grundlage eines ‚differenzierten Konsens‘ gemacht. Wir hoffen, dass dies ein wichtiger ökumenischer Impuls sein und Türen öffnen kann, dass sich auch andere westliche Kirchen auf Versöhnung zubewegen.“    

Eine zentrale Frage bleibt vorerst, wie diese historische Übereinkunft zwischen lutherischen und orthodoxen Kirchen an der Basis Fuß fassen kann. „Die Rezeption auf lokaler Ebene ist essentiell“, sagt Lange, „damit diese wichtigen Entwicklungen nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern dazu beitragen, Menschen näher zusammenzubringen – insbesondere, weil wir im nächsten Jahr gemeinsam das 1.700-jährige Jubiläum des ersten ökumenischen Konzils von Nizäa feiern wollen.“  

Der LWB-Rat hat die Erklärung auf seiner Tagung vom 13. bis 18. Juni in Genf begrüßt und die Empfehlung ausgesprochen, dass das Büro der Kirchengemeinschaft Lehrmaterial dazu für die Nutzung in Ortsgemeinden und Bildungseinrichtungen erarbeiten möge. Der Rat hat zudem empfohlen, dass sich lutherische Ortsgemeinden um „bewussten Kontakt mit den orthodoxen Kirchen in ihrem Umfeld bemühen und engere Beziehungen zu ihnen pflegen“.  

Die Kommissionsmitglieder haben auf der Tagung in Kairo des Weiteren eine zweite gemeinsame Erklärung zum Heiligen Geist, der Kirche und der Welt verabschiedet, in der sie theologische Gedanken zur dritten Person der Trinität in der Schöpfung, im Gottesdienst und in der Arbeit der Kirchen in unserer heutigen Gesellschaft formulieren. 

Von links nach rechts: Diakon Œcumenius Amanatidis, Metropolit Prof. Kyrillos von Krini, Bischof Johann Schneider und Prof. Dr. Dirk Lange, die Co-Vorsitzenden und Co-Sekretäre der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission

Von links nach rechts: Diakon Œcumenius Amanatidis, Metropolit Prof. Kyrillos von Krini, Bischof Johann Schneider und Prof. Dr. Dirk Lange, die Co-Vorsitzenden und Co-Sekretäre der Internationalen Gemeinsamen lutherisch-orthodoxen Kommission. Foto: George Adib 

LWB/P. Hitchen