LWB-Generalsekretärin sucht mit muslimischen und jüdischen Führungspersonen eine gemeinsame Antwort auf die Flüchtlingskrise
GENF, Schweiz (LWI) – Glaubensgemeinschaften gehören regelmäßig zu den Ersthelfenden bei Konflikten und Katastrophen und sind oft die letzten vor Ort, um den Wiederaufbau örtlicher Gemeinschaften zu unterstützen, wenn andere Hilfsorganisationen das Land längst schon wieder verlassen haben. Aus diesem Grund bündeln christliche, jüdische und muslimische Autoritäten ihre Kräfte für eine gemeinsame Antwort auf diese beispiellose Flüchtlingskrise.
Am 8. April hat sich Pfarrerin Anne Burghardt, Generalsekretärin des Lutherischen Weltbundes (LWB), mit dem CEO von Islamic Relief Worldwide, Waseem Ahmad, und Mark Hetfield, Präsident und CEO von HIAS, der Hebräischen Hilfsgesellschaft für Immigranten, getroffen, um über die Idee einer gemeinsamen Selbstverpflichtung zu sprechen, die sich aus dem Globalen Flüchtlingsforum (GRF) 2019 ergeben hatte. Diese Verpflichtung, die interreligiöse Zusammenarbeit zu vertiefen, wurde als „signifikante Initiative“ begrüßt, „die zu mehr gemeinsamer Verantwortung aufgrund der globalen Reichweite und der Präsenz vor Ort führen wird.“
Die Online-Diskussion fand vor dem Hintergrund eines der für alle Mitglieder der drei Glaubensgemeinschaften wichtigsten Ereignisse des liturgischen Jahres statt. Für die muslimischen Gläubigen ist es der Beginn des heiligen Fastenmonats Ramadan; für die jüdischen Gläubigen der Beginn des Passahfestes am 15. April, und die christlichen Gläubigen feiern Karfreitag und Ostern. Weiterhin waren diese Gespräche eine Vorbereitung auf eine internationale Konferenz, die die drei Organisationen gemeinsam in Genf am 20. und 21. Juni ausrichten werden und an der Basisorganisationen teilnehmen werden, die an der Praxis orientierte glaubenssensible Flüchtlingsarbeit leisten.
Stärke als Synergie
Um die Motivation hinter dieser interreligiösen Partnerschaft zu erklären, wies Burghardt darauf hin, dass Konflikte in vielen Ländern auf religiöse Differenzen zurückzuführen seien oder sogar durch diese verschärft würden. Gleichzeitig, so sagte sie, „ist es die Sprache des Glaubens, die zu Frieden und Versöhnung auf eine Art und Weise führen kann, wie dies keine andere Maßnahme vermag – und die humanitäre Gemeinschaft als Ganzes erkennt diese Tatsache an.“ Sie fuhr fort: „Was unsere Zusammenarbeit von anderen unterscheidet, ist unser Plan, von den Stärken der jeweils anderen zu profitieren und so Mittel und Wege zu finden, um den Geflüchteten gemeinsam und vor Ort zu helfen.“
Der LWB hat 2014 zunächst mit IRW eine Absichtserklärung unterzeichnet und ist damit die erste offizielle Partnerschaft zwischen weltweit operierenden muslimischen und christlichen humanitären Organisationen eingegangen. Im darauffolgenden Jahr haben beide Partner nach dem Erdbeben in Nepal zusammengearbeitet, Notunterkünfte errichtet und 12.000 der am stärksten betroffenen und marginalisierten Überlebenden unterstützt. 2018 holten sie weitere Partner ins Boot, darunter HIAS, die Schwedische Kirche, World Vision, UNHCR und die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften, um einen glaubenssensiblen Leitfaden für die humanitäre Hilfe zu veröffentlichen.
HIAS-Präsident Hetfield sprach über die „besondere Verantwortung“ der Menschen im Glauben bei der Mobilisierung ihrer Gemeinschaften, um Betroffenen von Flüchtlingskatastrophen zu helfen. Das jüdische Volk sei über Jahrhunderte immer wieder auf der Flucht gewesen, so Hetfield, „wurde immer und immer wieder vertrieben“, und war oft nur in der Lage, „seine Glaubenstraditionen und seine Heiligen Schriften mitzunehmen.“ Vom Glauben geleitete Organisationen können eigenständig auf die Krisen der heutigen Zeit reagieren, „aber wir sind so viel mächtiger, wenn wir das gemeinsam machen.“ Er erinnerte an die griechische Insel Lesbos als Beispiel für gemeinsame Aktionen von HIAS und Islamic Relief USA, um den am stärksten gefährdeten Geflüchteten dort Schutz und Hilfe zu gewähren.
Inspiriert durch die Schriften
Ahmad von IRW sprach über die Schwierigkeiten, säkularen Organisationen und Agenturen die wichtige Arbeit begreiflich zu machen, die Glaubensgemeinschaften als Ersthelfende in Katastrophenfällen leisten. Er wies darauf hin, dass Geberorganisationen oftmals mehr auf die Einhaltung von Leitlinien und Regularien achten würden, anstatt die Ersthelfenden in die Lage zu versetzen, Geflüchteten und Vertriebenen ihrer Notlagen entsprechend zu helfen. Nachdem er aus erster Hand den Einsatz von Glaubensgemeinschaften für die Überlebenden des Tsunami von 2004 erlebt hatte, so Ahmad, habe IRW zum ersten Mal ein Programm aufgelegt, um die Ersthelfenden in die Lage zu versetzen, die Anforderungen der Geberorganisationen zu erfüllen.
Alle drei Führungspersonen sprachen über die Inspiration, die ihnen ihre jeweiligen Heiligen Schriften gegeben hätten und die von den Gläubigen verlangten, „den Fremden willkommen zu heißen“ und „die Unterdrückten zu beschützen.“ „Die Geschichte von Jesus“, so führte Burghardt als Beispiel an, „ist eine Geschichte des Willkommens und der Inklusion“, während Martin Luther „darauf hinwies, dass wir befreit werden, um unseren notleidenden Nachbarn zu helfen." Als der LWB 1947 gegründet wurde, so Burghardt, „war es uns besonders wichtig, dass wir uns um die Geflüchteten des Zweiten Weltkrieges kümmerten. Diese Priorität gilt auch noch heute.“
Hetfield sprach darüber, dass die Thora zwar schon vor Jahrtausenden geschrieben worden sei, „aber sie betrifft die Erfahrungen des jüdischen Volkes und der Menschheit des 20. und leider auch des 21. Jahrhunderts.“ Die Erfahrung des Exodus wiederhole sich immer wieder, so Hetfield, aber „wir haben eine Anleitung in unseren heiligen Büchern“ und können Gläubigen helfen, ein „Teil der Lösung zu werden.“ Ahmad ging ebenfalls auf die Lehren des Korans ein, die es Menschen muslimischen Glaubens auferlegten, ihren Nachbarn in Not zu helfen. „Ich glaube, dass wir hier mit unseren drei Glaubensgemeinschaften einen historischen Moment erleben, da wir mit unserer Botschaft des Friedens und der Inklusion zeigen, dass wir hier gemeinsam handeln“, sagte er.
Zwar beherrsche das Elend der Geflüchteten aus der Ukraine weiterhin die Nachrichten, aber Burghardt erinnerte daran, dass es auf der Welt noch andere laufende Konflikte und langanhaltende Krisen gebe, die wir nicht vergessen dürften. In ihrem Bericht über ihren vor kurzem abgeschlossenen Besuch in Tansania und Uganda, wo sie sich von der Arbeit des LWB zur Verbesserung der Lebensumstände besonders südsudanesischer Geflüchteter überzeugen konnte, stellte sie fest, dass eine wichtige Herausforderung „eine nachhaltige Antwort“ sei, wenn es um die Bekämpfung des „Abhängigkeitssyndroms“ gehe und Menschen die Fähigkeit vermittelt werden müsse, sich ein autarkes Leben aufzubauen.
Alle Teilnehmenden der Diskussion waren davon überzeugt, dass der Beitrag der Glaubensgemeinschaften entscheidend für den Schutz und die Unterstützung besonders hilfebedürftiger Geflüchteter und ihrer Aufnahmegemeinschaften ist. „Zu viele Jahrzehnte lang hatten die internationalen Organisationen Bedenken, diese Rolle anzunehmen“, sagte Hetfield, jetzt aber würden sie die Bedeutung des Glaubens für diese Arbeit erkennen. „Der Glaube ist eine Kraft, die uns zusammenbringen kann, und diese Partnerschaft wird einen wichtigen Beitrag für unsere Botschaft der Hoffnung leisten“, sagte Ahmad abschließend.
Anna Hjalm, Programmdirektorin des Netzwerks „A World of Neighbours“ der Schwedischen Kirche, moderierte die Diskussion. Sivin Kit, LWB-Programmreferent für öffentliche Theologie und interreligiöse Beziehungen, begrüßte die Teilnehmenden. Die Eröffnungsworte sprach Mohamad Elsanousi, Exekutivdirektor des Netzwerks für religiöse und traditionelle Friedensstifter. Peter Munene, Geschäftsführer des Faith to Action-Netzwerks, stand den Gästen Rede und Antwort.
Die HIAS-Vizepräsidentin für humanitäre Partnerschaft, Politik & Praxis, Melonee Douglas, schloss die Veranstaltung. Sie wies besonders auf die Aufgabe hin, „Seite an Seite mit den anderen Organisationen zu arbeiten, um mehr und tiefergehende Gespräche, Partnerschaften, Diversität, Glaubenssensibilität, Glaubenskompetenz und gemeinsame spirituelle Werte zu fördern, und um die verletzlichsten Menschen weltweit in neuen und langanhaltenden Krisen zu schützen und zu unterstützen.“