Der erste LWB-Generalsekretär aus dem globalen Süden blickt auf Highlights seiner Amtsjahre
(LWI) – Ishmael Noko wuchs in Simbabwe – bzw. Rhodesien wie das heutige Simbabwe damals während der britischen Kolonialherrschaft hieß – auf und erinnert sich noch genau an den Tag, an dem sein Vater mit einer Schreibmaschine nach Hause kam und seinen Sohn fragte, ob er lernen könne, darauf zu schreiben. Noko Senior war ein lutherischer Pfarrer und sehr aktiv in der südafrikanischen Bibelgesellschaft; er übersetzte die Evangelien und andere Texte in verschiedene Sprachen, einschließlich seiner Muttersprache Sesotho.
„Da saß ich also als 12-jähriger Junge und glich bei meinen ersten Tippversuchen eher einem Huhn, das Körner von den Tasten aufpickt, und der erste Text, den mein Vater mir zum Abtippen gab, war die Verfassung des Lutherischen Weltbundes (LWB)“, erzählt der ehemalige Generalsekretär schmunzelnd. „Hoch konzentriert tippte ich die Worte, die er übersetzt hatte, aber ich hatte keinen blassen Schimmer, was der LWB war und welche große Bedeutung dieses Dokument später für mich haben würde!“, sagt er.
Anlässlich seines 80. Geburtstags am 29. Oktober spricht Ishmael Noko im folgenden Interview über einige wichtige Momente aus seiner Zeit als Führungskraft der weltweiten Gemeinschaft lutherischer Kirchen, wie ihr zunehmendes ekklesiales Selbstverständnis und die Unterzeichnung der wegweisenden gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre von lutherischen Kirchen und der Römisch-katholischen Kirche.
Erzählen Sie uns von Ihrem persönlichen Weg in den Seelsorgedienst und wann Sie zum ersten Mal Ihre Berufung zur Ordination gespürt haben.
Ich habe die Kirche durch meine Eltern und Großeltern kennengelernt. Mein Großvater ist Laienprediger gewesen, jedoch schon vor meiner Geburt gestorben. Ich war in meiner ganzen Jugend umgeben von Pastoren, daher war meine Berufung kein spezielles oder besonders einschneidendes Erlebnis, wie es andere erleben, sondern eher ein Gefühl, das mit der Zeit gewachsen ist.
Eines Tages bekam ich zufällig ein Gespräch darüber mit, dass unsere Pastoren nicht in höhere Ämter berufen werden könnten, weil sie die dafür notwendige theologische Ausbildung nicht hätten. Das hat mich neugierig gemacht, weil ich wusste, dass mein Vater kein Theologie-Studium abgeschlossen hatte; ich wollte die notwendigen Qualifikationen erreichen und diesen Traum von einer Führungsposition in der Kirche erfüllen – für sie und für mich.
Sie haben zunächst in Südafrika studiert, richtig? Und sind dann für das Masterstudium und Ihr Promotionsstudium nach Kanada gegangen?
Ganz genau. Ich habe in Vorbereitung auf meine Ordination zunächst an der Universität von Südafrika, der Universität von Zululand und dem Lutheran Theological College studiert. Während meines Studiums habe ich den inzwischen verstorbenen lutherischen Bischof und Befreiungstheologen Manas Buthelezi kennengelernt, der in den USA promoviert hat. Er war mein Professor und der erste Afrikaner, der in der lutherischen Kirche in Südafrika einen Doktor der Theologie hatte. Er überzeugte mich, mein Studium im Ausland fortzusetzen. Und zehn Jahre später war ich der erste afrikanische Pastor meiner Kirche in Simbabwe mit einem Doktortitel in Theologie.
Sie sind 1972 ordiniert worden und haben dann sechs Jahre in Kanada studiert und gearbeitet – inwiefern haben diese Erfahrungen Ihre Vorstellung von der weltweiten lutherischen Kirchengemeinschaft und Ihre Vision für sie geprägt?
So war es. Noch vor meiner Ordination habe ich geheiratet und im Anschluss sind wir nach Kanada gezogen, nach Saskatoon um genau zu sein, und später nach Montreal, Quebec. Ich habe damals auch als stellvertretender Pastor einer Gemeinde mit hauptsächlich norwegisch- und deutschstämmigen Mitgliedern gearbeitet. Sowohl für mich als auch für meine Familie war es eine sehr bereichernde Erfahrung; wir kamen ja aus dem von Apartheid geprägten südlichen Afrika, wo in allen Bereichen des Lebens rassistische Gesetze galten, auch in der Verwaltung der Sakramente.
Ich fing an, zu begreifen, was die Universalität der Kirche bedeutet. Das Apostolische Glaubensbekenntnis wurde sehr wichtig für mich, weil ich an die eine Kirche Jesu Christi glaube, die keine Grenzen kennt. Einige Zeit später – 1977 – wurde ich Dozent an der Universität von Botswana, dann Leiter der Abteilung für Theologie und Religionswissenschaften und schließlich Dekan der Geisteswissenschaftlichen Fakultät.
Was hat Sie 1982 dann bewogen, nach Genf zu ziehen und in der LWB-Abteilung für Weltdienst eine Stelle anzutreten?
Ich habe sehr gerne unterrichtet, aber mir wurde eine Stelle beim LWB angeboten, bei der es um die Hilfe für Flüchtlinge gehen sollte. Ich sollte zum Beispiel dafür zuständig sein, eine engere Zusammenarbeit des LWB mit Organisationen wie dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR, der Organisation der afrikanischen Einheit und dem Ökumenischen Rat der Kirchen zu fördern. Ursprünglich war unser Plan, nur für drei Jahre nach Genf zu gehen. Im Anschluss wollte ich wieder zurück an die Universität. Aber unsere drei Kinder lebten sich so gut ein in der Schweiz, dass wir dortblieben.
Die Arbeit war sehr neu für mich und eine Herausforderung; ich hatte bis dahin nicht mit der UNO oder politischen Institutionen gearbeitet und keine Erfahrungen mit Strategieentwicklung. Ich habe an hochrangigen Sitzungen teilgenommen, in denen wir versuchten, die Fachsprache rund um den Flüchtlingsstatus neu zu definieren (Wirtschaftsflüchtlinge, politische Flüchtlinge usw.), und ich habe die Definition formuliert, dass ein Flüchtling jemand ist, der eine Landesgrenze ohne Einladung überschreitet. Mir wurde immer deutlicher bewusst, was Jesus und seine Familie durchlebt hatten, als sie vom Heiligen Land nach Ägypten geflohen sind.
Das war damals eine sehr schwierige Zeit; in Äthiopien herrschte eine Hungersnot, die HIV/Aids-Krise hatte gerade begonnen und es gab immer mehr Flüchtlinge in Afrika.
Richtig. Unser größtes humanitäres Hilfsprogramm damals war die Antwort auf die Hungersnot in Äthiopien. Darüber hinaus gab es sehr viele Binnenvertriebene, vor allem aufgrund des Bürgerkriegs in Angola, aber weil sie keine internationalen Grenzen überschritten, wurden sie nicht als Flüchtlinge eingestuft. Auch in Simbabwe, das erst kürzlich seine Unabhängigkeit erlangt hatte, flohen viele Menschen vor dem Konflikt zwischen Robert Mugabe und Joshua Nkomo. Dennoch zögerte man anfangs, all diese Menschen als Flüchtlinge einzustufen.
Ich erinnere mich auch noch gut an meine erste Unterhaltung zum Thema Aids im Mai 1988 mit einem Mann aus Uganda, der zu erforschen versuchte, wo das Virus hergekommen war. Damals dachte man noch, dass nur Homosexuelle davon betroffen seien, aber die ganze Welt wurde von einem Gefühl der Angst und von Stigmatisierung ergriffen.
Die zwei wichtigsten Ereignisse der damaligen Zeit waren der Fall der Berliner Mauer und [Nelson] Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis. Sie waren so wichtig, weil die kommunistische Mauer nicht nur Europa in Ost und West teilte. Die Spaltung reichte vom Nordpol bis an den Südpol, teilte den gesamten Erdkreis in zwei Seiten und die politischen Parteien in Afrika waren an dieser Zweiteilung ausgerichtet.
1994 wurden Sie, nachdem Sie lange in der Abteilung für Weltdienst und der Abteilung für Kirchliche Zusammenarbeit gearbeitet hatten, als erster Afrikaner zum Generalsekretär gewählt. Dieses Amt haben Sie dann 16 Jahre bekleidet.
Richtig. Und ich glaube, dass es war für die lutherischen Kirchen ein wichtiger Fortschritt und Erfolg, sich nach einer Führungsperson aus dem globalen Süden umzuschauen. Man darf nicht vergessen, dass abgesehen vom Ökumenischen Rat der Kirchen in keiner der weltweiten christlichen Gemeinschaften bis dahin je eine afrikanisch-stämmige Person die Führungsfunktion innehatte.
Beim LWB waren die obersten Leitungsfunktionen immer mit Personen aus Europa oder Nordamerika besetzt gewesen; die Entscheidung forderte sie nun heraus, Vertrauen in einen Afrikaner zu haben. Und auch für die Kirchen im globalen Süden war es eine Herausforderung, anders über die eigene Rolle und ihren Beitrag zur weltweiten Kirchengemeinschaft nachdenken zu müssen. Die Entscheidung legte den Grundstein für eine Veränderung der Beziehungen zwischen Nord und Süd, Ost und West, und ebnete den Weg, dass Menschen jeder ethnischen Herkunft, aus allen Regionen und aller Geschlechter Führungsverantwortung übernehmen können.
Und schließlich war es eine Herausforderung für die reicheren Kirchen in der Welt, ihre Unterstützung für die weltweite Kirchengemeinschaft auch dann fortzusetzen, wenn die Führungsposition mit einer Person aus einer wirtschaftlich weniger reichen Weltregion besetzt war. Ich drängte stark auf eine in meinen Augen wichtige Entwicklung, nämlich den Rat zu überzeugen, einen Stiftungsfonds in der Schweiz einzurichten, um den LWB auch in Zukunft zu einem krisenfesten und zukunftsfähigen Instrument der Kirchen zu machen.