Interview mit Ratsmitglied Julia Braband
Genf (LWI) – Julia Braband (25) spricht mit den Lutherischen Welt-Informationen über die Wirksamkeit von Jugendbeteiligung in kirchlichen Gremien, die Position ihrer Kirche gegenüber rechtspopulistischen Strömungen und über ihre persönlichen Erfahrungen in Leitungsämtern.
Die Theologiestudentin vertritt die Region Mittel-Westeuropa im Rat des Lutherischen Weltbundes (LWB). Sie ist im ersten Beruf Krankenschwester.
Als eines von rund 760.000 Mitgliedern der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland lebt sie in einer ostdeutschen Region, die bis zur Wende im Jahre 1989 zur kommunistischen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gehörte. Heute ist eines der Merkmale dieser Bundesländer, dass die meisten Bewohner keiner Religion angehören. In Thüringen liegt diese Zahl bei rund 70 Prozent der Bevölkerung, in Sachsen-Anhalt sogar bei 80 Prozent.
Jugendbeteiligung stärken
Julia Braband, erfüllt Ihre Kirche, die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, die vom LWB ausgegebene Jugendquote von 20 Prozent?
In unserer Landessynode, die aus 80 Synodalen besteht, haben junge Menschen unter 27 Jahren sechs Sitze mit Rede- und Antragsrecht, zwei davon mit Stimmrecht. Die Kandidatinnen und Kandidaten dafür werden vom Landesjugendkonvent (vier Sitze) und von den Evangelischen Studierendengemeinden (zwei Sitze) benannt. Auch in den Gremien, die aus der Synode heraus gebildet werden, sind junge Menschen vertreten. Dazu gehören Landeskirchenrat, Präsidium und diverse Ausschüsse.
Das bedeutet unterm Strich, dass wir in meiner Kirche vergleichsweise gut dastehen. Die LWB-Jugendquote haben wir aber noch nicht erreicht.
Wie sieht es in den anderen 10 LWB-Mitgliedskirchen in Deutschland aus?
Sehr unterschiedlich. Es gibt Kirchen ohne jegliche Jugendbeteiligung in ihren Leitungsgremien und es gibt welche mit einer sehr guten Einbindung – das Spektrum ist breit. Die vom LWB empfohlene Quote erreicht allerdings bis jetzt keine einzige.
Welche Hindernisse stehen Ihrer Erfahrung nach der Beteiligung junger Menschen im Weg – und welche Lösungen gäbe es?
Leitungsämter werden den jungen Menschen von Seiten der Älteren oft nicht zugetraut – zu jung, zu wenig Erfahrung heißt es dann. Und auf der Seite der jungen Erwachsenen gibt es oft nur geringes Interesse an diesen kirchlichen Leitungsämtern.
Ich sehe aber die größte Schwierigkeit darin, dass es in unseren Kirchen für die Wählbarkeit in diese Ämter ein Mindestalter von 18 Jahren gibt. Das ist für die meisten der Beginn einer Lebensphase, in der sie ihren Schulabschluss machen, ein Studium oder eine Ausbildung beginnen und dazu oft in eine andere Stadt ziehen. Dem Wunsch der Kirchenleitungen nach Beständigkeit und möglichst wenigen Wechseln kann da oft nicht entsprochen werden.
In meiner Kirche ist hierfür ein Bewusstsein gewachsen, wenngleich der Wunsch nach Beständigkeit nicht verloren gegangen ist: der Landesjugendkonvent entsendet junge Erwachsene nur für 2 Jahre statt der üblichen 6 Jahre. Man kann dann wiedergewählt oder bestätigt werden. Erst einmal geht ein junger Mensch aber eine überschaubare Verpflichtung ein, die auch den anderen Gremienmitgliedern klar ist.
Diese Art von Perspektivwechsel und einen generationenübergreifenden Blick brauchen wir auch in anderen Hinsichten, meine ich. Junge Menschen sind eben nicht die, die irgendwann in Zukunft die Dinge regeln sollen. Jetzt ist die Zeit, sie zu beteiligen, um gemeinsam die Zukunft der Kirche zu gestalten.
Welche konkreten Schritte können in diese Richtung unternommen werden?
Ich bin sehr dankbar, dass der Glaube junger Menschen bei den Synoden der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die im November tagen, Thema sein wird. So etwas gab es noch nie! Und einige Anstöße dazu kamen von der LWB-Vollversammlung in Windhuk.
Auf diesen Synodentagungen steht unter anderem die Rechtslage für Jugendbeteiligung auf der Tagesordnung. Da die VELKD bislang keine Jugendplätze in ihrer Synode vorsieht, wäre ein erster Schritt, dort überhaupt junge Menschen präsent zu haben. Mein Wunsch wären bis zu sieben Synodenplätze. Dann könnte jede Mitgliedskirche einen jungen Erwachsenen entsenden. Um die LWB-Jugendquote zu erreichen, bräuchten wir sogar noch drei Plätze mehr.
Rechtspopulismus widerstehen
Nehmen wir ein weiteres Thema in den Blick: Wie geht Ihre Kirche mit rechtspopulistischen Tendenzen um? – Immerhin hat die rechtsgerichtete Partei Alternative für Deutschland (AfD) bei den Bundestagswahlen im letzten Jahr in Sachsen-Anhalt 16,9 Prozent und in Thüringen 22,5 Prozent und der Wählerstimmen auf sich vereinen können. Im Bundesdurchschnitt waren es dagegen 11,5 Prozent.
Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland bezieht eindeutig Position gegen Rechts. Seit 2015 läuft bei uns die Aktion „Nächstenliebe verlangt Klarheit“, die sich gegen populistische und rechtsextreme Strömungen stellt.
Dennoch wissen wir, dass es viele AfD-Wählerinnen und Wähler unter unseren Mitgliedern gibt. Und die sollte eine Kirche nicht aus dem Blick verlieren, sondern das Gespräch mit ihnen suchen über ihre Ängste und Ungewissheiten. Hierfür gibt es kein Patentrezept, und die Lage bleibt schwierig.
Wir arbeiten mit unterschiedlichen Modellen. In Gera, einem Ort mit überdurchschnittlich hohem AfD-Wähleranteil hat die Ökumenische Akademie Gera eine Veranstaltungsreihe in Leben gerufen, bei der die Politikfelder der AfD auf kirchlichem Boden diskutiert werden. Fachleute aus Theologie, Soziologie und Politologie treffen auf Akteure aus der Politik – ausdrücklich auch von der AfD.
Ganz anders die Landesjugendringe auf dem Gebiet meiner Landeskirche. Diese haben Resolutionen verabschiedet, um jegliche Zusammenarbeit mit der AfD abzulehnen – auch bei Veranstaltungen, zu denen sonst Landtagsabgeordnete aller Parteien eingeladen werden.
Wir beobachten, dass junge Wählerinnen und Wähler weniger geneigt sind, Rechts zu wählen. Ich denke, dass das damit zusammenhängt, dass sie – anders als ihre Eltern und Großeltern – in einem Land ohne unmittelbare Mauern aufgewachsen sind. Sie haben die Möglichkeit zu reisen, Vorbehalte abzubauen und weltoffener zu werden.
Persönliche Erfahrungen in Leitungsämtern
Hilft auch die Erfahrung, Verantwortung zu übernehmen und für Dinge einzustehen dabei, weltoffener zu werden? Wie geht es Ihnen in Ihren kirchlichen Leitungsämtern?
Diese Aufgaben haben mich auf jeden Fall darin geschult, als junger Mensch einen Beitrag leisten zu können – schon dadurch, dass ich eine andere Perspektive auf das Leben und die Gesellschaft habe als jemand, der oder die schon viele Jahre in den Strukturen tätig ist.
Ich engagiere mich seit 8 Jahren ehrenamtlich in kirchlichen Leitungsämtern und seit 5 direkt beim LWB. Anfangs glaubte ich nicht so recht, dass meine Stimme gehört würde. Inzwischen habe ich viel Selbstsicherheit gewonnen und lasse mich nicht so leicht vereinnahmen oder von meinen Positionen abbringen.
Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass junge Menschen in Gremien als Gruppe eine relativ große Wahrnehmung erhalten. Wir sind dann handlungsfähiger und können mitgestalten, in welche Richtung wir gehen wollen. Das ist schwieriger, wenn man allein auf weiter Flur steht.
Mein Appell an alle Kirchen: Nehmt junge Menschen ernst und beteiligt sie als vollwertige Mitglieder, die heute – hier und jetzt – die Zukunft ihrer Kirche mitgestalten wollen!
Stimmen aus der Kirchengemeinschaft:
Der Lutherische Weltbund ist eine weltweite Gemeinschaft, deren Mitglieder sich gemeinsam für das Werk und die Liebe Christi in der Welt einsetzen. In dieser Reihe präsentieren wir Kirchenleitende und Mitarbeitende, die über aktuelle Themen sprechen und Ideen entwickeln, wie Frieden und Gerechtigkeit in der Welt geschaffen werden und die Kirchen und die Gemeinschaft in ihrem Glauben und ihrem Engagement wachsen können.
- Weitere "Stimmen aus der Kirchengemeinschaft"