Zentralafrikanische Republik: Leuchtfeuer für Stabilität und Frieden

1. Dez. 2023

Im Interview spricht der Kirchenpräsident aus der Zentralafrikanischen Republik über die Aufgabe und Verantwortung der Kirche, Vertrauen in der Gesellschaft zu schaffen und Gesundheitsdienste und Bildungsangebote bereitzustellen.

Pfarrer Joseph Ngoé

Pfarrer Joseph Ngoé, Kirchenpräsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Zentralafrikanischen Republik. Foto: LWB/S. Gallay

Interview mit Pfr. Joseph Ngoé, Präsident der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Zentralafrikanischen Republik 

(LWI) – Als andere ihm immer wieder sagten, er sei gut für das ordinierte Amt geeignet, habe er „lange Zeit“ – zehn Jahre – immer abgewunken. Aber inzwischen kann Pfr. Joseph Ngoé auf zwei Jahrzehnte als Pastor und Lehrer zurückblicken. Seit 2021 ist er das Oberhaupt der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Zentralafrikanischen Republik (auf Französisch: Eglise Evangélique Luthérienne en République Centrafricaine – EEL-RCA), einem Land, das von Krisen geprägt ist, aber auch von Möglichkeiten, sich für Versöhnung einzusetzen und den Menschen Gesundheitsdienste und Bildungsangebote bereitzustellen. 

Ngoé nennt die EEL-RCA ein Leuchtfeuer, das „sehr viel zu Stabilität und einer allmählichen Rückkehr zum Frieden“ beiträgt. Ngoé war einer der 14 Kirchenleitenden, die an der diesjährigen Klausurtagung des LWB für neugewählte Kirchenleitende (RONEL) teilgenommen haben. 

Erzählen Sie uns zu Beginn kurz etwas über sich selbst und Ihren persönlichen Weg in das Pfarramt. 

Meine Berufung haben zuerst drei Pastoren aus meinem Umfeld bemerkt – zwei Pastoren der baptistischen Kirche und einer aus meiner eigenen Kirche. Der erste rief mich 1983 in Berbérati eines Nachmittags in sein Büro und sagte mir: „Sohn, ich sehe in dir einen zukünftigen Pastor und möchte dir anbieten, an das Theologie-Seminar in Carnot zu gehen, ohne dass du die Aufnahmeprüfung machen musst. Wie findest du das? Nimm dir zwei Tage Zeit, um einmal darüber nachzudenken.“ Weil ich ihn respektierte, sagte ich, dass ich wiederkommen würde. Aber dann habe ich beschlossen, in unsere Hauptstadt Bangui zu gehen, weil er mich wieder zu sich rufen würde, wenn ich bliebe.

Der zweite war ein lutherischer Pastor, der gerade aus Europa zurückgekommen war. Er nahm mich 1986 zur Seite und fragte mich, was ich nach meiner Aufnahme an die Universität vorhätte. Ihm erklärte ich, dass ich lieber Jura als Theologie studieren wollte; und dass das Gehalt eines Pastors sehr niedrig sei. Er sagte mir, ich solle noch einmal darüber nachdenken und könne ihm ja nochmal schreiben. So sind wir damals verblieben.

Der dritte war ein Verwandter von mir, der baptistischer Pfarrer ist. Wir unterhielten uns 1990 bei ihm zu Hause, als ich ihn besuchte, weil er sehr krank war. Er fragte mich: „Du hast Talent für das Pfarramt – was hält dich davon ab? Ist es das Zölibat oder was ist es? Wenn du Pastor wärst, könnten wir uns über all das austauschen, was das Amt von uns verlangt. Im Moment trage ich diese Last ganz allein, obwohl du so geeignet wärst. Was denkst du dazu?“

Auf dem Weg nach Hause nach diesem Gespräch fühlte ich mich vollkommen verloren. Es war, als ob unsere beiden verstorbenen Väter zu mir sprachen. Seine Worte gingen mir den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf und ich hatte überhaupt keinen Appetit. Aber trotz all dieser Interventionen blieb ich lange bei meiner Ablehnung. Erst 1993 entschied ich mich schließlich, dem Ruf zu folgen. 

Was können Sie uns über Ihre theologische Ausbildung und Ordination erzählen? 

Ich habe mein Theologie-Studium im Januar 1994 am Theologischen Seminar in Baboua im Westen des Landes begonnen und dann von September 1996 bis Juni 2000 an der Fakultät für Protestantische Theologie in Yaoundé, Kamerun, studiert und einen Masterabschluss gemacht. 2003 wurde ich am Theologischen Seminar in Baboua zum Professor ernannt, war von 2005 bis 2010 Direktor des Instituts und schließlich von 2010 bis 2015 Direktor der Bibelschule in der gleichen Stadt. Von Oktober 2015 bis Juni 2017 habe ich an der Theologischen Fakultät in Bangui für einen Master in Missionswissenschaften studiert und bin derzeit Doktorand. Ordiniert wurde ich am 15. Dezember 2002. Und am 21. März 2021 bin ich als Präsidenten der EEL-RCA eingeführt worden. 

Was ist Ihnen in den ersten Jahren als Gemeindepfarrer besonders aufgefallen? 

Nach dem Studium an der Fakultät für Protestantische Theologie in Yaoundé wurde ich zum Direktor des Fambélé-Distrikts, dem kleinsten Distrikt in der zentralwestlichen Region mit weniger als 700 aktiven Mitgliedern ernannt, obwohl ich erst Vikar ohne Mentor war.

In den ersten zweieinhalb Jahren – von Dezember 2000 bis Juli 2003 – hat mich die Motivation und das Engagement der Gläubigen sehr beeindruckt. In weniger als einem Jahr hatten wir eine Kollekte auf die Beine gestellt, um ein Pfarrhaus zu bauen. Im Juli 2003 hatte jede Ortsgemeinde ein einkommensschaffendes Projekt ins Leben gerufen – Bananenplantagen, Fischzucht, Ziegenzucht, Maniokfelder usw. – und die im Laufe von zwei Jahren gespendeten Gelder überraschten sogar das Management anderer Distrikte und der Kirche insgesamt.

Eine wirklich einzigartige Initiative war der Zusammenschluss von bäuerlichen Familien, die Zwiebeln anbauten – denn sie gehörten verschiedenen christlichen Konfessionen an; es gab baptistische, katholische, lutherische und sogar muslimische Gläubige unter ihnen. Das hat die Beziehungen im Gemeinwesen verbessert und Misstrauen abgebaut. 

Was sind die aktuellen Arbeitsschwerpunkte der Kirche? In den großen Medien hören wir aus Ihrem Land vor allem von den Krisen. 

Die Arbeitsschwerpunkte der Kirche liegen auf dem Einsatz für Versöhnung, der Bereitstellung von Gesundheitsdiensten und Bildungsangeboten für die Menschen, und auf der Unterstützung insbesondere für all jene, die in ländlichen Gebieten leben und von Armut bedroht sind.

Die Krisen sind zum einen militärische und politische Konflikte, die unser Land seit mehr als zwanzig Jahren erschüttern, und zum anderen innenpolitische Krisen zwischen 2019 und 2022. Zwischen 2012 und 2014 hat es in der Zentralafrikanischen Republik zwei Bürgerkriege gegeben, die alles zerstört haben. 

Welche Herausforderungen stellen sich und wo gibt es Chancen? 

Die erste Herausforderung ist die Unsicherheit. Durch die Anwesenheit der Rebellen wird der Dienst der Kirche deutlich erschwert und werden die Menschen in große Gefahr gebracht und benachteiligt. Unsere Kirche hat einige Ortsgemeinden verloren, weil die christlichen Gläubigen aus ihrer Heimat geflohen und in den Nachbarländern Kamerun und Tschad und anderen Regionen innerhalb des Landes Zuflucht gesucht haben. 

Die zweite Herausforderung ist die Zurüstung zu mehr Selbstbestimmung in dem Sinne, dass wir gegen die Mentalität ankämpfen, dass man nur die Hand aufhalten und um Hilfe bitten muss. Darüber hinaus müssen wir größere Transparenz im Finanzmanagement schaffen. 

Die Chancen für unsere Kirche liegen in erster Linie in unseren personellen Ressourcen – Personen für die Katechese (635), Evangelisation (20) und das Pfarramt (80), den verschiedenen Bereichen des Engagements (Sonntagsschule, Jugendarbeit, Frauenarbeit, Ehrenamtliche) und in unseren natürlichen Ressourcen. Eine gute Leitung für die Gläubigen und in diesen verschiedenen Bereichen wird in den kommenden Jahren Früchte tragen. 

Als Führungspersonen müssen wir jeden einzelnen Menschen spirituell füttern, zu den Menschen gehen und die frohe Botschaft nicht nur mit Worten, sondern auch durch Taten verkündigen, mit den Menschen beten und ihnen mit Rat zur Seite stehen, zusammen mit den Katecheten, Evangelisten und Pfarrpersonen in den verschiedenen Projekten arbeiten, um die Grundschulen und Gesundheitszentren auszubauen, Krankenhäuser und zusätzliche Schulen zu bauen und hochqualifizierte Pfarrpersonen auszubilden. 

Die EEL-RCA hat gerade ihr 100-jähriges Bestehen gefeiert. Welche Bedeutung hat dieses Jubiläum? 

Richtig. Wir haben vom 6. bis 12. November unter dem Motto „100 Jahre Evangeliumsverkündigung in Wort und Tat“, das auf Matthäus 28,19-20 beruht, unser 100-jähriges Bestehen gefeiert. Unser Ziel war es, auf die lange Geschichte unserer Kirche und ihre vielen verschiedenen Errungenschaften und Leistungen in diesem Land aufmerksam zu machen. 

Als Prolog zu den Feierlichkeiten haben wir den Menschen in den Orten Gallo und Bohong zu sehr günstigen Preisen Zugang zu einem medizinischen Team aus Kamerun ermöglicht, dem ein Arzt, ein Augenarzt, ein Chirurg, ein Ultraschallspezialist und weitere medizinische Fachleute angehörten. Es wurden Vorträge zur Geschichte der Kirche, Besuche vor Ort, Festgottesdienste in Bouar, Abba und Baboua, Kampagnen in bestimmten Distrikten der Region Bouar, ein Wohnmobil in Bouar, eine Ausstellung, Lieder und Tänze von verschiedenen Chören organisiert und angeboten.

Mit dem Thema wollten wir unsere Mitglieder und die Öffentlichkeit daran erinnern, dass wir keine Kinder mehr sind und mehr tun müssen, als das, was wir in der Vergangenheit gemacht haben. Und wollten wir auch unsere Gläubigen zum Nachdenken aufrufen. Wir wollten die allgemeine Bevölkerung in der Zentralafrikanischen Republik zum Nachdenken über die lutherische Kirchen aufrufen. Einhundert Jahre sind ja keine hundert Monate oder hundert Wochen und erst recht nicht hundert Tage. Einhundert Jahre sind ein Geschenk Gottes. 

Unsere Kirche, die auf die amerikanische Sudan-Mission zurückgeht, die 1923 hierherkam, hat Früchte getragen, weil wir inzwischen fast 125.000 Mitglieder in sieben Regionen haben, und wir hoffen immer, dass sich die Kirche auch noch weiterentwickelt. Gewiss haben wir verschiedene Krisen erlebt, aber der Herrgott wird seine Kirche nicht komplett untergehen lassen. 

Sie haben gesagt, lutherische Gläubige seien eine Minderheit unter den christlichen Gläubigen, die aber erheblich zur Entwicklung des Landes beigetragen haben. Können Sie das noch etwas ausführen? 

Die Mission der evangelisch-lutherischen Kirche ist es, die Menschen zu evangelisieren und die Gläubigen in einer Gemeinde zusammenzuführen, und ihnen zu helfen, als Glieder des Leibes Christi im Glauben zu wachsen, indem wir sie Nächstenliebe in Worten und Taten lehren und dies auch praktizieren.

Unabhängig von ihrer Mitgliederstärke trägt die EEL-RCA erheblich zur Entwicklung des Landes in den Bereichen Bildungswesen, Gesundheit, Wasserquellen, einkommensgenerierende Gruppe und im Agrarbereich bei. So haben wir für die Bevölkerung in verschiedenen Dörfern in den Unterpräfekturen Abba, Baboua, Bouar und Bocaranga in Gebieten, in denen die Regierung nicht intervenieren kann, beispielsweise 30 Grundschulen verfügbar gemacht. Im Schuljahr 2022/23 wurden dort fast 5.700 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.

In diesem Jahr hat die lutherische Kirche zudem ein College eröffnet. Ab dem nächsten Jahr können alle Schülerinnen und Schüler, die die Eignungsprüfung für die Oberstufe bestehen, aufs College gehen, welches sie dann auf ein Universitätsstudium oder eine Ausbildung vorbereitet. Es gibt zwei Gesundheitszentren: in Bohong (etwa 70 Kilometer von Bouar auf der Verbindungsstraße nach Bocaranga) und das „Centre de Santé Emmanuel“ (60 Kilometer von Bouar auf der Verbindungsstraße nach Baboua). 

Die lutherischen Gläubigen in Kamerun und in der Zentralafrikanische Republik bildeten ursprünglich zusammen eine Kirche, haben sich aber 1973 getrennt. Arbeiten sie heute noch irgendwo zusammen? 

Die Verbundenheit zwischen der Evangelisch-Lutherischen Kirche Kameruns und der EEL-RCA ist immer noch groß und sie arbeiten immer noch eng zusammen, ja.

Die Kirche in der Zentralafrikanischen Republik lässt einige ihrer Pfarrpersonen vor allem auf Ebene der Bachelor- und Masterabschlüsse am Lutherisch-Theologischen Institut in Meiganga, Kamerun, ausbilden. Beide Kirchen sind zudem Gründungsmitglieder des Radiosenders „Sawtu Linjiila“, der aus Kamerun sendet, und der EEL-RCA-Präsident ist aktuell Vorsitzender des Direktoriums des Senders. 

Auch der LWB-Weltdienst ist in der Zentralafrikanischen Republik aktiv. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen der Kirche und dem Länderprogramm? 

Das Länderprogramm des Lutherischen Weltbundes (LWB) wurde 2013 nach dem Ende des Bürgerkriegs eingerichtet, um die Menschen zu unterstützen, die durch den Konflikt im eigenen Land vertrieben wurden.

Auch wenn die Weltdienst-Aktivitäten seither zurückgefahren wurden, wird immer noch enorm viel geleistet und die jeweiligen Mitarbeitenden des Länderprogramms und der Kirche arbeiten sehr gut zusammen.

Das Büro des LWB-Weltdienstes und die Wohnungen der Mitarbeitenden befinden sich in Gebäuden, die der Kirche gehören, und seit 2023 hat das Weltdienstprogramm die Kirche bei der Umsetzung einiger seiner Aktivitäten enger eingebunden. 

Welche Bedeutung hat es für Ihre Kirche, zur LWB-Gemeinschaft zu gehören? 

Wie schon vorhin gesagt, leben wir in einem Land, das von Krisen gebeutelt ist, und die Gebete und Gegenwart der Kirche sind ein Leuchtfeuer und haben viel zu Stabilität und einer allmählichen Rückkehr zum Frieden beigetragen. Zusammen mit der Kirche hat der LWB Bewusstsein geschaffen und humanitäre Hilfe geleistet, um das Leid der Menschen hier zu lindern. Deshalb hoffen wir auf weitere Finanzmittel, damit er seine Aktivitäten hier in der Zentralafrikanischen Republik fortführen kann.

LWB/P. Mumia