USA: Vom Jugendleiter im Ferienlager zum Bischof von Chicago

19. Mai 2023

Im folgenden Interview sprechen wir mit Bischof Yehiel Curry, einem ehemaligen Pastor und Verantwortlichen für die Entwicklung der Missionsarbeit der Shekinah Chapel Lutheran Church-Bewegung für afroamerikanische Jugendliche.

Bischof Yehiel Curry

Yehiel Curry, Bischof der Synode für die Metropolregion Chicago der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika. Foto: MCS/ELCA Gaby Valladolid 

Interview mit Yehiel Curry, Bischof der Synode für die Metropolregion Chicago der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika   

(LWI) – Der eigenen Berufung kann man sich an den überraschendsten Orten bewusst werden. Das weiß auch Yehiel Curry, Bischof der Synode für die Metropolregion Chicago in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika (ELKA), aus eigener Erfahrung.   

Obwohl Curry in einer katholischen Familie in Chicagos South Side aufwuchs, war es die Einladung zu einem sehr lebendigen Gottesdienst in der lutherischen St Stephen‘s-Kirche in den 1990er Jahren, der ihn seine Berufung zum ordinierten Amt und zur Leitung bewusst werden ließ, die er heute innehat.  

2019, vor seiner Wahl zum Bischof, war er nicht-ordinierter Verantwortlicher für die Entwicklung der Missionsarbeit und der damalige Seelsorger der lutherischen Shekinah Chapel Lutheran Church-Bewegung. Diese war als Mentoringprogramm für junge, vulnerable afroamerikanische Männer ins Leben gerufen worden. Aber sein Weg hin zum ordinierten Amt, so Curry, habe schon in einem Ferienlager begonnen, als er noch als Lehrer einer 7. Klasse an einer staatlichen Schule in Chicago tätig war.   

Erzählen Sie uns bitte, was sie dazu bewegt hat, Ihre Stelle als Lehrer an einer staatlichen Schule aufzugeben und die Stelle an der Shekinah Chapel anzutreten.  

Ich habe als Lehrer einer 7. Klasse gearbeitet, als ein Bekannter vom College mich zu einem Gottesdienst einlud. Mir war nicht klar, dass es der Gottesdienst einer lutherischen Kirche war, aber ich ging mit, weil ich gehört hatte, dass die Gemeinde auch Ferienlager organisierte, und ich mit meinen Schülerinnen und Schülern campen gehen wollte.   

Ich erlebte zum ersten Mal eine innovative und sehr lebendige Gemeinde, die ganz anders war, als alles, was ich bisher erlebt hatte. Die Mehrheit der Gemeindemitglieder waren Männer, und der Altersdurchschnitt lag bei etwa 21 oder 22 Jahren. 

Die Gemeinde war aus einem Ferienlager entstanden, das den Namen SIMBA trug – kurz für „Safe In My Brothers Arms“ (zu Deutsch etwa: sicher und geborgen in den Armen meines Bruders). Dieses bot jungen afroamerikanischen Männern die Möglichkeit, im Rahmen eines zweiwöchigen Ferienlagers im Sommer etwas über Spiritualität, Gemeinschaft, Ehrfurcht vor den Vorfahrinnen und Vorfahren und das Leben im Einklang mit der Natur zu lernen.   

Sie haben also begonnen, sich in der Gemeinde zu engagieren. Aber wie hat das dann dazu geführt, dass Sie sich auf den Weg zur Ordination gemacht haben?  

Ich fing an, mich zu engagieren, als die ELKA eine Partnerschaft mit SIMBA einging, um die Initiative zu unterstützen und die Shekinah Chapel 1995 ihren ersten Gottesdienst feierte. Danach wuchs die Bewegung immer weiter und lockte immer mehr junge Menschen an, die Treffen und Gottesdienste wurden erst von Freitag auf Samstag und dann auf Sonntagnachmittag verlegt.   

Als der ursprüngliche Leiter wegging, hat die Gemeinde sich gewünscht, dass ich seine Nachfolge antrete. Ich konnte damals nicht mit Worten zum Ausdruck bringen, dass ich eine Berufung zum Dienst vernommen hatte, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass ich jungen Menschen dienen und mit ihnen arbeiten wollte. 

Mir fehlte aber auch das richtige Vokabular für diese Art des Dienstes, und deshalb begann ich Kurse am Seminar für lutherische Theologie in Chicago zu belegen. 2007 wurde ich zum nicht-ordinierten Verantwortlichen für die Entwicklung der Missionsarbeit der Gemeinde ernannt; 2009 wurde ich dann zum Pfarrer ordiniert und trat das Amt des Pastors der Shekinah-Gemeinde an.  

Was würden Sie als Erfolg dieser Gemeinde bezeichnen?  

Das SIMBA-Ferienlager wird als eine Art Initiation, den Übertritt ins Erwachsenenalter für junge Männer bezeichnet; und inzwischen gibt es auch ein entsprechendes Ferienlager für junge Frauen – „Safe In My Sister‘s Arms“ (SIMSA; zu Deutsch etwa: sicher und geborgen in den Armen meiner Schwester). In diesen Ferienlagern geht es nicht nur darum, Spiele zu spielen, sondern es geht darum, Beziehungen aufzubauen und Spaß zu haben. Zudem schaffen wir einen Raum, um von erwachsenen Führungspersonen der Gemeinschaft zu lernen. 

Mittlerweile wurden die Ferienlager sogar in eine gemeinnützige Organisation umgewandelt, die sich „Rescue, Release, Restore“ (Retten, befreien, wiederherstellen) nennt und Vorbild für ähnliche Programme in Detroit, Indianapolis, Kalifornien und weiteren Orten war.  

Über diese Art des Dienstes wird nicht in den Nachrichten berichtet. Aber ich wäre nicht da, wo ich heute bin, wenn ich nicht diese Organisation kennengelernt hätte, die Ferienlager organisiert, und ich mich dort engagiert hätte. Ich wollte das Campingerlebnis und fand meinen Weg in den Dienst der Kirche.  

Sie sagen, Sie seien katholisch aufgewachsen. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Beziehungen zu anderen christlichen Glaubensgemeinschaften in Chicago?  

In meiner Kindheit in Chicagos South Side habe ich nie jemanden über verschiedene Konfessionen reden hören. Wir wollten einfach einen transformierenden Gottesdienst erleben und die Möglichkeit haben, zu dienen und voneinander zu lernen, oder einfach nur die Gewissheit haben, dass es einen vollen Vorratsschrank gibt. Aber ich habe immer noch Kontakt zu einigen Priestern und katholischen Einrichtungen aus jener Zeit, was uns natürlich auch in unserer ökumenischen Arbeit hilft.  

Können Sie uns etwas über die Gemeinschaft der Synode für die Metropolregion Chicago erzählen?  

Die Synode ist einzigartig, weil sie sehr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen und Viertel abdeckt. Wir haben derzeit 165 Gemeinden mit rund 70.000 getauften Mitgliedern. Es gibt etwa 200 aktive Pfarrerinnen und Pfarrer und weitere 200 Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand, die aber weiterhin sehr aktiv sind in der Kirche. Es gibt etwa 40 offiziell gelistete Diakoninnen und Diakone, und unsere Büros sind im gleichen Gebäude wie die Büros der zentralen gesamtkirchlichen Verwaltung der ELKA, dort ist also immer etwas los, die Ideen sprudeln und es werden immer wieder Neuerungen erdacht.  

Die ELKA hat sich nachdrücklich gegen Rassismus positioniert und sich engagiert dafür eingesetzt, eine bunte Vielfalt an Mitgliedern anzulocken – welche Auswirkung hat das bisher?  

Es macht mir große Sorgen, dass Rassismus immer noch ein so großes Problem ist. Die ELKA leistet viel Unterstützung, aber es muss noch so viel mehr gemacht werden. Es gibt immer noch nur wenige People of Color in der ELKA, deshalb müssen wir weiterhin innovativ sein und Führungspersonen eine Plattform geben; andernfalls werden unsere Bemühungen nicht nachhaltig sein. Wir müssen anfangen, den Stimmen von marginalisierten Menschen in der gesellschaftlichen Mitte Gehör zu verschaffen und ihnen einen Platz in der Kirche zu geben. Ich will nicht die Fortschritte kleinreden, die in der Kirche mit jüngeren Personen und mit Menschen aus vielfältigen Hintergründen erreicht wurden, aber es ist dennoch immer noch ein großes Problem.  

Was bedeutet es für Sie persönlich, Mitglied der großen LWB-Familie zu sein?  

Das hat sich sehr verändert, als ich im letzten Jahr an der Klausurtagung des LWB für neugewählte Kirchenleitende teilgenommen habe. Ich musste erst wahrnehmen, wie der LWB seine Advocacyarbeit macht und junge Menschen zusammenbringt. Man ist leicht nur mit sich selbst und der eigenen Gemeinde beschäftigt und hat das weltweite Zeugnis der Kirche nicht im Blick.  

Mir ist klar geworden, dass wir bei den Themen Rassismus und Gendergerechtigkeit oder auch Ernährungssicherheit auf der ganzen Welt Partner haben, die uns Material und ein biblisch fundiertes Grundgerüst für die Arbeit zu diesen Themen zur Verfügung stellen können. Daher kann ich nur dazu ermutigen, Gelegenheiten wahrzunehmen, die sich bieten, um mehr über den LWB zu erfahren, aber ich möchte auch dazu ermutigen, dass wir hier in den USA darüber berichten, was wir von unseren Partnern weltweit lernen können. 

LWB/P. Hitchen. Deutsche Übersetzung: Andrea Hellfritz, Redaktion: LWB/A. Weyermüller