Trotz überfüllter Zelte beginnt der Unterricht im Bundesstaat Upper Nile

2. Nov. 2012
Haram Jukin (Mitte) mit zwei Freundinnen im Flüchtlingslager Yusuf Batil im südsudanesischen Bundestaat Upper Nile. © Paul Jeffrey

Haram Jukin (Mitte) mit zwei Freundinnen im Flüchtlingslager Yusuf Batil im südsudanesischen Bundestaat Upper Nile. © Paul Jeffrey

Vom LWB betriebene Schulen im Flüchtlingslager im Südsudan bietet Kindern Zufluchtsort

Haram Jukin wollte schon immer gerne zur Schule gehen, doch Armut und Krieg liessen dies bislang nicht zu. Seit Mitte Oktober besucht die Zehnjährige nun eine Schule in einem überfüllten Flüchtlingslager im Südsudan.

Der Lutherische Weltbund (LWB) eröffnete die Schule, die Haram besucht, im Flüchtlingslager Yusuf Batil, einer grossflächigen Ansammlung von Zelten und Notunterkünften kurz hinter der Grenze des sudanesischen Bundestaats Blue Nile, aus dem Haram und ihre Familie Anfang dieses Jahres flohen. Schwelende Unruhen und eine Gegenoffensive der Regierung haben dazu geführt, dass mehr als 110.000 Flüchtlinge, die meisten davon Kinder, über die Grenze in die vier Flüchtlingslager in Maban County, einer Region im Bundesstaat Upper Nile des seit Kurzem unabhängigen Südsudans, geströmt sind.

Familie Jukin erzählt, sie habe nach monatelangen Luftangriffen durch das sudanesische Militär beschlossen, ihr Heimatdorf Kukur zu verlassen.

„Die Bomben fielen und wir rannten zu den Bächen, um dort zu übernachten. Nachdem es monatelang so gegangen war, beschlossen wir zu fliehen“, sagte Kames Jukin, Harams Vater.

Zwei Monate lang war die Familie unterwegs. Harams Mutter Shaia Hamed erzählt, an einem Stock, den sie auf ihren Schultern trug, hätten an jedem Ende Lebensmittel und ein Kind gehangen. Ihr Mann trug ein weiteres Kind, während Haram und ihr 14-jähriger Bruder Saddam selber laufen mussten.

Nach ein paar Wochen war der Vorrat der Familie an der wertvollen Sorghumhirse aufgebraucht und so mussten sie schliesslich die Tiere schlachten, die sie von zu Hause mitgenommen hatten. Gegen Ende ihrer Reise gingen die Lebensmittel zur Neige.

„Unser Vater ist auf Bäume geklettert und hat Blätter gepflückt, die wir gekocht und gegessen haben. Sie haben fürchterlich geschmeckt“, erinnert sich Haram.

Regelmässig musste die Familie sich im Busch vor Soldaten verstecken, bevor sie schliesslich die Grenze in den Südsudan überquerte. Dort, erzählt Kames, seien sie auf VertreterInnen des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) getroffen, die ihnen den Weg zu dem Flüchtlingslager wiesen. Dort hätten sie Notrationen Lebensmittel und eine Plastikplane erhalten.

Seitdem lebt die Familie mit vielen ihrer ehemaligen Nachbarn aus Kukur in dem Flüchtlingslager. Vor den Bomben seien sie nun zwar sicher, sagt Kames, doch hart sei das Leben immer noch.

„Sehen Sie sich unsere Kleidung an. Wir tragen schmutzige Lumpen. Zu Hause in unserem Dorf waren wir niemals so angezogen. Wir hatten gute, saubere Kleidung und gutes Essen“, erzählt er.

Weitere Flüchtlinge

Laut Mairo Retief, dem Leiter des in Nairobi ansässigen Nothilfe-Zentrum für Ostafrika der LWB-Abteilung für Weltdienst (AWD), ist kein Ende der Gewalt im benachbarten Bundesstaat Blue Nile in Sicht und in ein paar Wochen, wenn die Regenzeit zu Ende geht, die überfluteten Flüsse allmählich abschwellen und die trockene Jahreszeit beginnt, werden weitere 30.000 Flüchtlinge aus dem Sudan in der neu gegründeten Republik Südsudan erwartet.

Viele dieser erwarteten Neuankömmlinge sind Männer und Jungen, die zunächst zurückgeblieben waren, als die Frauen der Familien mit den kleinen Kindern flohen. Manche Männer blieben zurück, um weiter Landwirtschaft zu betreiben, doch NothelferInnen berichten, dass viele auch blieben, um mit den Rebellen gegen die Regierung zu kämpfen, auch wenn die Flüchtlinge das nur ungern bestätigen wollen.

Retief kam im Juni nach Maban, um zu evaluieren, was in dem schnell wachsenden Flüchtlingslager benötigt wird. In Zusammenarbeit mit der UN und anderen Nichtregierungsorganisationen wurde beschlossen, dass sich der LWB auf Bildung und den Schutz von Kindern konzentrieren würde. Über 60 Prozent der Menschen im UNHCR-Lager sind Kinder und der LWB verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Bildungsarbeit in anderen Flüchtlingslagern in der Region.

Der LWB begann seine Arbeit zu planen, doch Schwierigkeiten in der Logistik führten zu Verzögerungen. Versorgungsmaterial auf dem Landweg in die Region zu bringen, ist während der Regenzeit praktisch unmöglich.

Als der vom LWB organisierte Unterricht am 15. Oktober für mehr als 1.000 SchülerInnen im Flüchtlingslager Gendrassa begann, mussten die LehrerInnen zunächst ohne gedruckte Materialien auskommen. Die ersten drei Lastwagen mit mehreren Tonnen Fracht – Zelte, Möbel, Computer, Schulbücher und Bleistifte, Volleybälle für die kindgerechten Orte und Kreide für die LehrerInnen –, die aus dem benachbarten Kenia eingeflogen wurden, kamen an, als MitarbeiterInnen der UN, des LWB, örtliche Führungspersonen und vor Ort eingestellte LehrerInnen und Freiwillige sich darauf vorbereiteten, die neue Zeltschule zu eröffnen.

Haram lässt sich von all diesen Schwierigkeiten nicht entmutigen. Trotz des späten Starts möchte sie lernen. Eines Tages, sagt sie, möchte sie selbst Lehrerin werden.

Zur pädagogischen Arbeit des LWB gehören zunächst der Unterricht für Grundschulklassen, Gruppen für frühkindliche Entwicklung und kindgerechte Räume, die den Kindern inmitten des chaotischen Lebens in dem Flüchtlingslager einen sicheren Ort bieten sollen.

Die örtliche Bevölkerung

Retief erklärt, der LWB arbeite auch mit bereits bestehenden Schulen in den lokalen Gemeinschaften zusammen. Die Beziehungen zwischen den Flüchtlingen und der örtlichen Bevölkerung sind teilweise angespannt. Die örtliche Bevölkerung selbst war bereits durch rückkehrende Landsleute aus dem Norden, die vor den Schikanen des Regimes in Khartum nach der Unabhängigkeit des Südsudan im Juli 2011 geflohen waren, stark gewachsen.

„Auch wenn die Flüchtlinge hier willkommen geheissen wurden, gab es immer wieder Spannungen. Die Menschen hier wurden früher selbst verjagt. Sie wissen, was es bedeutet, weit entfernt von der Heimat leben zu müssen. Aber die Nutzung von Wasser und die rasche Abholzung der Wälder zur Herstellung von Holzkohle zum Kochen und für Bauholz stellen ein Problem dar. Ausserdem haben die Flüchtlinge ihr Vieh mitgebracht, weshalb jetzt Weideflächen für Rinder, Ziegen und Schafe gefunden werden müssen“, so Retief.

Die jungen Menschen

Die vielen jungen Menschen in den Flüchtlingslagern in Maban seien eine Herausforderung, sagt Collins Onyango, Bildungskoordinator für das LWB-Regionalteam in den Flüchtlingslagern.

„Viele der jungen Menschen fühlen sich ausgeschlossen. Sie haben die Grundschule abgebrochen oder abgeschlossen und nie die Möglichkeit bekommen, eine weiterführende Schule zu besuchen. Für junge Frauen, von denen viele früh verheiratet wurden, ist die Situation oft noch gravierender, denn aufgrund des Krieges mussten sie sich alleine um ihre kleinen Kinder kümmern“, erklärt er.

„In den Flüchtlingslagern gibt es keine weiterführenden Schulen oder Berufsausbildungsmöglichkeiten, so dass diese jungen Menschen die Zeit irgendwie totschlagen müssen. Das ist eine tickende Zeitbombe“, so Onyango weiter.

Die Nothilfearbeit des LWB in den Flüchtlingslagern umfasst auch Pläne für gemeinschaftliche Aktivitäten wie Sport, die von den Jugendlichen selbst organisiert werden können. Auch Sprachunterricht für Englisch und Berufsausbildungen in Bereichen wie Tischlerei, Gastronomie und Schneiderei sind vorgesehen.

„Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht, weshalb die Flüchtlingslager weiter wachsen werden und der Bedarf an Dingen wie Möbeln und Schuluniformen weiter zunehmen wird. Wenn wir helfen können, die Menschen hier auszubilden, damit sie diese Dinge vor Ort produzieren können, bereiten wir sie auch auf eine nachhaltige Zukunft vor, sowohl für ihren Aufenthalt in den Flüchtlingslagern als auch für ihre spätere Rückkehr nach Hause“, schliesst Onyango.

Der Sitz des Länderprogramms des LWB-Weltdienstes im Südsudan befindet sich in Juba. Die Vorbereitungen für die Nothilfe im Bundesstaat Upper Nile begannen im Juni dieses Jahres.

(Für LWI von Paul Jeffrey nach einem Besuch im Südsudan)

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