Südsudan: Nothilfe und Umsiedlung vor der Regenzeit entscheidend

14 März 2014
Image
Viele der Vertriebenen benutzen unbehandeltes Wasser aus Sümpfen und Flüssen. Der LWB verteilt Wasseraufbereitungstabletten um das Trinkwasser zu reinigen. Foto: Melany Markham

Viele der Vertriebenen benutzen unbehandeltes Wasser aus Sümpfen und Flüssen. Der LWB verteilt Wasseraufbereitungstabletten um das Trinkwasser zu reinigen. Foto: Melany Markham

Interview mit dem Koordinator des LWB-Länderprogramms Lokiru Matendo

(LWI) – Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre stehen Menschen im Südsudan vor den Trümmern ihrer Existenz. Zahlreiche Familien im Südsudan hatten begonnen, ihre Lebensgrundlage, ihre Versorgung mit Nahrungsmitteln, die Organisation ihrer Gemeinschaften und die Bildung ihrer Kinder neu aufzubauen. Der Konflikt, der Mitte Dezember 2013 im Südsudan begann, hat diese Arbeit entweder komplett vernichtet oder zumindest stark zurückgeworfen, sagt Lokiru Matendo, Programmkoordinator des Lutherischen Weltbunds (LWB) im Südsudan. In einem Interview mit der Lutherischen Welt-Information (LWI) erläutert Matendo, was das für die Menschen bedeutet und warum es wichtig ist, die Binnenvertriebenen vor Beginn der langen Regenzeit zu unterstützen.

Worauf konzentriert sich das LWB-Hilfsprogramm im Südsudan im Moment besonders?

Vor der gegenwärtigen Krise hat der LWB Südsudan seine Arbeit mit den Menschen vor Ort darauf konzentriert, ihre Lebensgrundlagen wiederaufzubauen. Das betrifft unter anderem die Rückkehrenden (frühere Flüchtlinge und Binnenvertriebene) in den Bezirken Ost-Twic und Duk im Bundesstaat Jonglei. Jetzt mussten die Menschen innerhalb kürzester Zeit fliehen, um ihr Leben zu retten. Der LWB musste im Gegenzug langfristige Entwicklungsprojekte unterbrechen und riskiert damit den bemerkenswerten Fortschritt der letzten Jahre, um lebensrettende und dringende Nothilfe zu leisten. Wir unterstützen jetzt die Familien, die erneut Binnenvertriebene sind, ohne zu wissen, wann sie nach Hause zurückkehren können.

Was umfasst die Hilfe des LWB?

Die Kämpfe kamen völlig unerwartet. Die Menschen mussten ihre Häuser verlassen, ohne Essen, Kleidung oder sonst irgendwelche lebensnotwendigen Dinge mitnehmen zu können. In den Bezirken Ost-Twic, Duk und Bor versorgen wir sie mit Hilfsgütern wie Schlafmatten, Decken, Moskitonetzen, Koch- und Essgeschirr, und Wasser-, Sanitär- und Hygieneausstattung. Da die Häuser zerstört oder niedergebrannt wurden, müssen die meisten Menschen in Übergangsunterkünften oder bei FreundInnen und Familienmitgliedern leben. Andere verstecken sich in den Böschungen entlang des Nils, wo sie ungereinigtes Wasser aus Sümpfen und Flüssen nutzen. Deshalb verteilt der LWB Wasseraufbereitungstabletten, um das Trinkwasser zu reinigen. Wir planen, beschädigte Brunnen und Handpumpen wieder instand zu setzen, um noch mehr Familien einen Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen.

Was sind Ihrer Meinung nach in der gegenwärtigen Notsituation die grössten Herausforderungen?

Die Binnenvertriebenen haben Angst, nach Hause zurückzukehren, da die meisten Häuser niedergebrannt wurden. Auch ihre Ernte, die bereits eingeholt war, wurde zerstört. Viele Menschen haben auch Angehörige, Freunde und Freundinnen verloren, haben mit schweren Verletzungen überlebt und sind traumatisiert – und doch dauern die Kämpfe an.

Unter den Vertriebenen herrscht grosse Anspannung und Frustration darüber, wieder von vorne anfangen zu müssen. Es sind Gemeinschaften, mit denen wir seit 2005 zusammenarbeiten. Über Jahrzehnte waren sie Flüchtlinge oder Binnenvertriebene. Im Exil haben sie neue Fähigkeiten erworben und konnten Erfahrungen sammeln. Dann sind sie aus dem Exil zurückgekehrt und der LWB hatte sie auf ihrem Weg zurück in ein neues Leben begleitet. Wir haben Existenzgrundlagen wieder aufgebaut und die Kapazitäten für die Katastrophenvorsorge erweitert. Das alles ist jetzt ernsthaft bedroht. Trotz dieser Entwicklungen wird der LWB weiter mit der südsudanesischen Bevölkerung zusammenarbeiten. Wir bauen auf ihre Widerstandsfähigkeit und ihren starken Willen und hoffen, dass sie wieder auf die Beine kommen und diese Krise überwinden.

Können Sie Beispiele für die verlorenen Fortschritte nennen?

In den Bezirken Ost-Twic und Duk hatten die Menschen über 80 Dorfverbände für Rücklagen und Darlehen geschaffen oder Gruppen, die Familien unterstützen, damit sie Nahrungsmittel kaufen konnten, Geld für die Bildung ihrer Kinder und für Arztkosten hatten oder sogar kleine Geschäfte gründen konnten, die sie unabhängiger machen.

Wegen des Konflikts haben sie das gesparte Geld benutzt, um Autos oder Fähren für die Flucht zu mieten. Nach jahrelangem Networking und Sparen haben Projekte von Einzelpersonen oder kleine Gemeinschaftsprojekte nun diesen unheimlichen Rückschlag erlitten. Auch wenn der Frieden wieder einkehrt, wird es sehr lange Zeit dauern, diese Gemeinschaften wieder zu mobilisieren, die durch den Verlust wertvoller Lebensgrundlagen zusätzlich geschwächt wurden.

Was hat jetzt neben der dringenden Unterstützung der Binnenvertriebenen höchste Priorität?

In zwei Monaten (Mitte Mai) beginnt die Regenzeit – das bedeutet starken Regen und Überflutung bis Mitte Oktober. Deswegen ist es entscheidend, den Vertriebenen vorher zu helfen oder sie umzusiedeln. Da es keine wetterfesten Strassen gibt, wird es dann riskant, teuer oder schlicht unmöglich Menschen oder Güter zu transportieren.

Einige der Fortschritte in den Gemeinschaften umfassten die Gründung von Flutschutzteams und Einsatzkräfte, um die Menschen zu mobilisieren, damit die beschädigten Abschnitte an dem 34 km langen Deich repariert werden und damit der Nil nicht Siedlungen, Farmland und Weiden überflutet und zerstört. Der Erfolg war im Oktober 2013 zu sehen: Wären Deichabschnitte im Bezirk Ost-Twic nicht repariert worden, hätte das Wasser des Weissen Nils die Ebenen darunter überschwemmt und tausende Familien hätten ihr Land verlassen müssen. Ausserdem hat das Fischen innerhalb der Schutzdeiche neben dem Anbau von Sorghumhirse und anderen Feldfrüchten eine zusätzliche Lebensgrundlage geschaffen.

Der Schulbesuch von Kindern wurde ebenfalls unterbrochen, da die meisten öffentlichen Schulen in den betroffenen Gebieten ihren Unterricht zu Schuljahresbeginn im Februar nicht wieder aufnehmen konnten. Die Unterstützung des LWB in diesem Notstadium wird auch die Versorgung der SchülerInnen und Lehrenden mit Lehr- und Lernmaterial umfassen.

Vertriebene werden ausserdem Gartenbauwerkzeug erhalten, um in den Siedlungsgebieten oder den aufnehmenden Gemeinschaften Büsche zu schneiden, ausserdem Saatgut und eine Angelausrüstung.

Der LWB plant, während der Krisenzeit 15.000 Haushalte in den Bezirken Bor, Ost-Twic, Duk und Uror mit Soforthilfe zu versorgen, und mit der Hilfe für den Wiederaufbau zu beginnen.

Laut dem Büro der Vereinten Nationen zur Koordinierung der humanitären Hilfe (UNOCHA) beläuft sich die Zahl der Binnenvertriebenen am 3. März 2014 auf geschätzte 705.000 Menschen, die Zahl der Flüchtlinge in Nachbarländern auf 202.500.

 

LWF World Service