Mutter aus Guatemala fordert: „Keine Amnestie“ für am Völkermord Beteiligte

26. Okt. 2012
LWB-Veranstaltung bei Vereinten Nationen in Genf drängt auf Aufarbeitung der während des bewaffneten Konflikts verübten Gräuel Genf, 26. Oktober 2012 (LWI) – Blanca Rosa Quiroa de Hernández, deren damals 22 Jahre alter Sohn 1984 vom Geheimdienst entführt wurde, will verhindern, dass denjenigen, die beschuldigt werden, in dem mehr als drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg in Guatemala am Völkermord beteiligt gewesen zu sein, eine Amnestie gewährt wird. „Unsere Organisation wurde vor 28 Jahren gegründet. Wi

LWB-Veranstaltung bei Vereinten Nationen in Genf drängt auf Aufarbeitung der während des bewaffneten Konflikts verübten Gräuel Genf, 26. Oktober 2012 (LWI) – Blanca Rosa Quiroa de Hernández, deren damals 22 Jahre alter Sohn 1984 vom Geheimdienst entführt wurde, will verhindern, dass denjenigen, die beschuldigt werden, in dem mehr als drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg in Guatemala am Völkermord beteiligt gewesen zu sein, eine Amnestie gewährt wird. „Unsere Organisation wurde vor 28 Jahren gegründet. Wir mühten uns, Angehörige zu finden, die vom Militär inhaftiert wurden und verschwanden“, berichtete sie im Rahmen einer vom Lutherischen Weltbund (LWB) mitorganisierten Veranstaltung, die am 22. Oktober, im Vorfeld der von den Vereinten Nationen vorgenommenen allgemeinen regelmässigen Überprüfung Guatemalas, in Genf stattfand. „[Die Organisation] gab uns die Kraft, die schrecklichsten Gräuel zu überleben“, erklärte Quiroa, Gründungsmitglied von FAMDEGUA, dem Verband der Familienmitglieder von Verschwunde

LWB-Veranstaltung bei Vereinten Nationen in Genf drängt auf Aufarbeitung der während des bewaffneten Konflikts verübten Gräuel

Blanca Rosa Quiroa de Hernández, deren damals 22 Jahre alter Sohn 1984 vom Geheimdienst entführt wurde, will verhindern, dass denjenigen, die beschuldigt werden, in dem mehr als drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg in Guatemala am Völkermord beteiligt gewesen zu sein, eine Amnestie gewährt wird.

„Unsere Organisation wurde vor 28 Jahren gegründet. Wir mühten uns, Angehörige zu finden, die vom Militär inhaftiert wurden und verschwanden“, berichtete sie im Rahmen einer vom Lutherischen Weltbund (LWB) mitorganisierten Veranstaltung, die am 22. Oktober, im Vorfeld der von den Vereinten Nationen vorgenommenen allgemeinen regelmässigen Überprüfung Guatemalas, in Genf stattfand.

„[Die Organisation] gab uns die Kraft, die schrecklichsten Gräuel zu überleben“, erklärte Quiroa, Gründungsmitglied von FAMDEGUA, dem Verband der Familienmitglieder von Verschwundenen in Guatemala, der die Veranstaltung mitorganisierte.

Der Bürgerkrieg in Guatemala von 1960 bis 1996 umfasste eine Reihe von Konflikten unter Beteiligung von Militär, Regierung und Zivilbevölkerung. Er forderte nahezu 200.000 Menschenleben, nach Schätzungen werden 45.000 Menschen vermisst oder gelten als verschwunden, über 1 Million Menschen mussten aus ihrem Zuhause fliehen.

Seit seiner Gründung 1992, vier Jahre bevor die Friedensverträge die Kämpfe beendeten, bietet FAMDEGUA in Zusammenarbeit mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen juristische Unterstützung für Familien, die klären wollen, was ihren Angehörigen zugestossen ist, führt Exhumierungen durch und leistet Unterstützung bei der Bestattung von Opfern.

Unter dem Titel „Unrechtsaufarbeitung in Guatemala“ wurden in Genf eine Podiumsdiskussion und eine Fotoausstellung organisiert. Eva Ekelund, Regionalvertreterin der Abteilung für Weltdienst (AWD) des LWB in Mittelamerika, moderierte die Veranstaltung. Weitere Podiumsteilnehmende waren Sofia Duyos Alvarez-Arenas, eine Menschenrechtsaktivistin und Juristin aus Spanien, die sich in ihrem Land für eine Strafverfolgung des Völkermordes einsetzt, und Marcie Mersky, Direktorin des Programmbüros des International Center for Transitional Justice in den Vereinigten Staaten von Amerika.

Tausende Verschwundene

Quiroa verwies auf Efraín Ríos Montt, der 1982/83, während der Zeit, als die schlimmsten Gräuel an der Zivilbevölkerung verübt wurden, Präsident Guatemalas war. Ihm wird zur Last gelegt, Massaker an hunderten unschuldiger ZivilistInnen angeordnet zu haben. Vor kurzem hatte ein guatemaltekisches Gericht einen von Ríos gestellten Antrag auf Amnestie abgelehnt.

„Über 45.000 Menschen, davon 5.000 Kinder, verschwanden während der Diktatur. Wir wissen nicht, wo sie sind. Wir haben unsere Organisation gegründet, weil die Regierung Menschen verschwinden liess. Sie gab uns die Kraft zu Leben. Jetzt wollen wir Gerechtigkeit“, erklärte Quiroa im Rahmen der Podiumsdiskussion, die u. a. von VertreterInnen der guatemaltekischen Regierung, internationaler zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie Angehörigen der Ständigen Vertretungen von Island, Finnland, Norwegen den Niederlanden und Schweden bei den Vereinten Nationen in Genf besucht wurde.

„Wir standen einem gewaltigen, grausamen Gegner gegenüber. Meine eigene Familie hat sechs Verschwundene zu beklagen, darunter mein Sohn Oscar David, ein Feuerwehrmann, der erst 22 war, als die Armee ihn entführte.

In all diesen Jahren haben wir um Frieden und Gerechtigkeit in Guatemala gerungen. Bisher gibt es nur erste Anfänge von Gerechtigkeit, es geht in sehr kleinen Schritten vorwärts. Vor meiner Abreise nach Genf versuchten wir gerade, Exhumierungen von Menschen vorzunehmen, die zwischen 1979 und 1986 von der Armee ermordet wurden.“

Mersky erläuterte, in einem der früh geschlossenen Friedensverträge, die inhaltliche Fragestellungen behandelten, sei 1994 die Schaffung einer offiziellen Wahrheitskommission vereinbart worden. Sie nahm ihre Arbeit jedoch erst knapp drei Jahre später auf, da zunächst der Schlussvertrag in Kraft treten musste, bevor sie eingerichtet werden konnte.

„Heute gibt es allerdings Rückwärtstendenzen in Guatemala. Während einerseits Staatsanwälte darauf hinarbeiten, die des Völkermords Beschuldigten vor guatemaltekischen Gerichten anzuklagen, haben Mitglieder der derzeitigen Regierung im Kabinettsrang öffentlich erklärt, von Völkermord zu sprechen sei unzutreffend. Und es wird auf Staatsanwaltschaft und die mit den Verfahren betrauten Richter Druck ausgeübt, diese einzustellen“, berichtete Mersky.

Mersky, die 20 Jahre lang in Guatemala gelebt hat, erklärte, das Nationale Versöhnungsgesetz von 1996 gewähre zwar Amnestien für vielfältige während des bewaffneten Konflikts begangene Verbrechen, davon seien aber „Völkermord, Folter und gewaltsames Verschwinden“ ausdrücklich ausgeschlossen.

Rückgabe sterblicher Überreste

Sie würdigte die fortdauernde „sehr wichtige Arbeit zugunsten des Rechts auf Wahrheit“ in Guatemala.

„Es handelt sich dabei um Anstrengungen unter Federführung der Zivilgesellschaft, wenngleich bisher auch ein begrenztes Mass offizieller staatlicher Unterstützung oder Duldung bestand“, erklärte sie in Bezug auf die von Quiroa angesprochenen Exhumierungen. „Menschlich betrachtet ist die Bergung und Rückgabe der sterblichen Überreste für die Familien der Toten von grosser Bedeutung und ermöglicht ihnen einen gewissen Abschluss“, so Mersky.

„Gleichzeitig ist das gewonnene forensische Beweismaterial entscheidend, damit die Wahrheit darüber, was in konkreten Fällen geschehen ist, geklärt wird, also damit den fortgesetzten Behauptungen des Militärs, es habe die Verbrechen nicht begangen, etwas entgegengesetzt werden kann.“

Seit April 2008 unterzieht der in Genf angesiedelte Menschenrechtsrat, dem 47 Staaten angehören, die Menschenrechtssituation in den 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen im vierjährigen Rhythmus der so genannten allgemeinen regelmässigen Überprüfung.

Alvarez-Arenas erläuterte, damit in Spanien zu einem Ereignis, das in einem anderen Land stattgefunden habe, ein Strafverfahren eingeleitet werden könne, müsse ein Bezug zu Spanien bestehen. Sie verwies darauf, dass 1980 eine Gruppe der indigenen K’iche’ die spanische Botschaft besetzt hatte, um gegen von der Armee in ländlichen Gebieten verübte Massaker zu protestieren. Die Regierung Guatemalas griff jedoch die Botschaft an und auf dem Botschaftsgelände wurden 33 Menschen getötet.

„Die Strafverfolgung in Spanien und Guatemala hat dasselbe Ziel – diejenigen zu verurteilen, die des Völkermords schuldig sind“, stellte sie fest und erklärte, es sei notwendig, die Problematik auf der Ebene der Vereinten Nationen zu thematisieren, um für alle von dem brutalen Regime Betroffenen Gerechtigkeit zu erwirken.

Unterstützung durch den LWB

Der LWB beteiligt sich an dem Überprüfungsprozess durch die Vorlage von Informationen über die Menschenrechtssituation in bestimmten überprüften Ländern. „Wir unterstützen diese Arbeit, denn in der AWD wollen wir uns dort anwaltschaftlich einsetzen, wo Wahrheit und Gerechtigkeit hergestellt werden können“, stellte Ekelund fest.

Die AWD ist das Nothilfe- und Entwicklungsorgan des Lutherischen Weltbundes (LWB). In Mittelamerika unterstützt sie u. a. verschiedene Initiativen auf der Ebene von Gemeinwesen in El Salvador, Guatemala, Honduras und Nicaragua.

Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre spielte der LWB eine zentrale Rolle in dem Friedensprozess, der das Ende des Bürgerkrieges in Guatemala herbeiführte. Bei seiner Tagung 2012 gab der LWB-Rat eine öffentliche Erklärung zu Mittelamerika ab, in der er die zunehmende Gewalt in den mittelamerikanischen Ländern Honduras, Guatemala und El Salvador verurteilte.

(Für die LWI berichtete Peter Kenny, Genf.)

*Weitere Informationen zur FAMDEGUA-Fotoausstellung können per E-Mail erfragt werden bei: info [at] lutheranworld [dot] org.

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