LWB-Generalsekretär fordert wichtigere Rolle für Diakonie und Anwaltschaft in theologischer Ausbildung

22. Okt. 2012
(von links nach rechts) Pfr. Martin Junge, LWB-Generalsekretär, und Pfr. Dr. Musa P. Filibus, Direktor der LWB-Abteilung für Mission und Entwicklung, bei der Konsultation „Lutherische theologische Ausbildung für Gemeinschaftsaufbau“ in Wittenberg. © LWB/Anli Serfontein

(von links nach rechts) Pfr. Martin Junge, LWB-Generalsekretär, und Pfr. Dr. Musa P. Filibus, Direktor der LWB-Abteilung für Mission und Entwicklung, bei der Konsultation „Lutherische theologische Ausbildung für Gemeinschaftsaufbau“ in Wittenberg. © LWB/Anli Serfontein

Globale LWB-Konsultation über theologische Ausbildung beginnt in Wittenberg (Deutschland)

Die lutherische Reformation sei mit den Ereignissen von 1517 nicht beendet gewesen, sondern dauere in der heutigen Welt, die von globaler Transformation und sozioökonomischen Umwälzungen geprägt sei, an. Daher sollten lutherische Kirchenleitende die Stimme gegen Ungerechtigkeiten erheben, erklärte der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes (LWB) Pfr. Martin Junge am 18. Oktober auf einer globalen Konsultation.

Vor TheologInnen und leitenden VertreterInnen lutherischer Kirchen aus aller Welt, ProfessorInnen und DozentInnen von theologischen Seminaren und Universitäten, die in Wittenberg (Deutschland) zusammengekommen sind, betonte Junge, dass es für LutheranerInnen wichtig sei, sich auf lokaler wie globaler Ebene gesellschaftlich zu engagieren und eine theologische Ausbildung anzubieten, die einer sich schnell verändernden Welt gerecht werde.

„Warum spielen die lutherischen Kirchen nicht eine viel grössere Vorreiterrolle?“, fragte er mit Blick auf die aktuelle Finanz- und ökologische Krise.  „Ich frage mich, wann die lutherische Vorstellung von der Freiheit im öffentlichen Raum, die ihre Grenzen im Leid des Nächsten findet, einen so grossen Beitrag leisten wird, dass wir die schwierige Lage, in der die menschliche Familie sich heute befindet, überwinden können?“ Er fuhr fort: „Wie werden in unseren Kirchen Führungspersönlichkeiten so ausgebildet, dass sie im Geist der Interdisziplinarität an diesen Diskussionen auf allen Ebenen – lokal und global – teilnehmen können?“

Junges Eröffnungsreferat gab den Ton für die Konsultation vor, die vom 18. bis 22. Oktober unter dem Thema „Secure foundations of the past and aspirations for the future: Lutheran Theological Education for Communion Building towards 2017” (Sicheres Fundament der Vergangenheit und Ziele für die Zukunft: lutherische theologische Ausbildung für Gemeinschaftsaufbau in Vorbereitung auf 2017) stattfinden wird. Gastgeber der Veranstaltung sind die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und das Deutsche Nationalkomitee des LWB.

Eines der Ziele dieser Tagung besteht darin, Möglichkeiten zur Stärkung der lutherischen Identität zu sondieren und Schwerpunktthemen für das 500-jährige Reformationsjubiläum 2017 aufzuzeigen. Junge nannte drei Ecksteine, die die Arbeit des LWB im Vorfeld des Jubiläums prägen werden: die lutherische Reformation als Weltbürgerin; ökumenische Rechenschaftspflicht; fortwährender Reform- und Erneuerungsprozess in den Kirchen der Reformation.

Reformation als polyzentrisches Geschehen

In seiner Ansprache  stellte er die lutherische Reformation vor allem als polyzentrisches Geschehen dar, bei dem es nicht ein oder einige, sondern viele Zentren gebe. Er rief eindringlich dazu auf, den 500. Jahrestag der Reformation in diesen globalen Kontext zu stellen.

„Die Geschichte der Reformation muss wahrscheinlich im Plural geschrieben werden: Geschichten der Reformation. Die Herausforderung besteht auch auf dieser Konsultation darin, dass wir lernen, den LWB in dieser Polyzentrizität zu sehen und die notwendigen Prozesse und Methoden zu entwickeln, damit Interaktion, Dialog und Lernen kontextübergreifend stattfinden können“, erklärte Junge.

Der Generalsekretär unterstrich den ganzheitlichen Ansatz des Missionsverständnisses des LWB (der Verkündigung, Dienst [diakonia] und Anwaltschaft umfasse) und betonte die Notwendigkeit, diesen ganzheitlichen Ansatz in die theologische Ausbildung einzubringen. „Nach meiner Beobachtung muss dieses Konzept dringend in den aktuellen Bildungs- und Ausbildungsprozessen umgesetzt  werden, insbesondere wenn es um die Dimensionen der Diakonie und Anwaltschaft geht, die meines Erachtens in den Lehrplänen und Programmen immer noch ziemlich unterentwickelt und unterrepräsentiert sind.“

Weltbürgerin

Der Tagungsort der Konsultation – Wittenberg, wo Martin Luther lebte und arbeitete – ist laut Junge  Ausdruck „unseres Wunsches, zu spüren und zu begreifen, was von diesem historischen Zentrum der Reformation ausgegangen ist und auf welche Weise diese heute zu einer Weltbürgerin geworden ist. … Aber genauso wichtig ist unser Wunsch zu verstehen, was von einer so weiten Reise hierher zurückgekommen ist und wie die Gespräche organisiert sind, die zum Empfang dieser Gaben in einem Geist der Gegenseitigkeit beitragen“.

Die schätzungsweise 50 KonsultationsteilnehmerInnen kommen aus so weit entfernten Ländern wie Madagaskar, Malaysia, Mexiko und vertreten die sieben Regionen des LWB – Afrika, Asien, Mittel- und Osteuropa, Mittel- und Westeuropa, Nordische Länder, Lateinamerika  & Karibik und Nordamerika.

In der nachfolgenden Diskussion bemerkte Junge, dass es aus der Erfahrung seiner eigenen Kirche unter der Diktatur in Chile ein Sprichwort gebe: „Ein Volk ohne Erinnerung ist ein Volk ohne Zukunft.“ Und er fuhr fort: „Dasselbe gilt für die Kirche. Wir dürfen nicht der Geschichte verhaftet bleiben, sondern wir müssen die Kraft finden, den Weg in die Zukunft weiter zu gehen.“

Pfr. Dr. Sven Hillert von der Schwedischen Kirche reagierte auf Junges Ansprache: „Wir als Lutheraner und Lutheranerinnen müssen uns die Frage stellen: was können wir heute tun, damit wir dieselbe Wirkkraft haben, die Martin Luther in seiner Zeit hatte?“

Pfr. Lilana Kasper von der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika, erklärte, der Generalsekretär habe „uns daran erinnert, dass die bevorstehenden Jubiläumsfeierlichkeiten nicht ein einmaliges Ereignis bleiben sollten, das wir hinterher getrost vergessen dürfen, sondern dass sie ein zündender Funke der Erneuerung werden sollten.“

Die Diskussionen werden in Podiumsdiskussionen und Kleingruppen fortgesetzt.

(Beitrag der in Berlin lebenden Journalistin Anli Serfontein für die LWI)

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