Konsultation zu Gendergerechtigkeit: Glauben und Menschenrechte

Schon bei der Formulierung des Grundsatzpapiers zu Gendergerechtigkeit im LWB vor zehn Jahren waren die Schnittmengen zwischen der Sprache des Glaubens und dem Menschenrechtsdiskurs von zentraler Bedeutung. Und ihnen kommt auch in der Arbeit heute, mit der dieses Erbe vorangebracht werden soll, ein zentraler Stellenwert zu. 

10 Dez. 2024
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Die Teilnehmenden versammeln sich zur Eröffnungsandacht der Konsultation zu Gendergerechtigkeit, die vom 9. bis 11. Dezember stattfand. Foto: LWB/A. Hillert

Die Teilnehmenden versammeln sich zur Eröffnungsandacht der Konsultation zu Gendergerechtigkeit, die vom 9. bis 11. Dezember stattfand. Foto: LWB/A. Hillert

Künftige Ausrichtung bei Umsetzung des Grundsatzpapiers zu Gendergerechtigkeit 

(LWI) – Welche Rolle spielt Religion im Ringen um eine gerechtere und geschlechtergerechtere Welt? Mit dieser Frage begann eine dreitägige Konsultation, die die Erfolge des wegweisenden Grundsatzpapiers des Lutherischen Weltbundes (LWB) zu Gendergerechtigkeit feiern und Strategien für die zukünftige Ausrichtung bei der Umsetzung festlegen sollte.  

Das Grundsatzpapier, das theologische und praktische Grundsätze für das Engagement der Kirchen für Gendergerechtigkeit enthält, ist am 18. Juni 2013 vom LWB-Rat verabschiedet und am 10. Dezember – dem Tag der Menschenrechte – desselben Jahres offiziell öffentlich vorgestellt worden. Bis heute ist es in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden und wird von vielen Kirchen als Grundlage genutzt, um ähnliche Grundsatzpapiere für den lokalen oder nationalen Kontext zu erarbeiten. An der Konsultation vom 9. bis 11. Dezember haben Theologie-Fachleute aus LWB-Mitgliedskirchen, Koordinatorinnen und Koordinatoren von Netzwerken für Gendergerechtigkeit sowie LWB-Ratsmitglieder teilgenommen, die in diesem Bereich tätig sind. 

Die Hauptreferentin in der ersten Sitzung zur Eröffnung der Tagung im Château de Bossey vor den Toren Genfs, Pfarrerin Dr. Arnfríður Guðmundsdóttir, die LWB-Vizepräsidentin für die Region Nordische Länder, erklärte, dass die Sprache des Glaubens über viele Jahrhunderte benutzt worden sei, um Frauen ihre gottgegebene Würde abzusprechen und ihre gottgegebenen Menschenrechte zu verweigern. Die feministische Theologin aus der Evangelisch-Lutherischen Kirche Islands, die Professorin an der Universität Island ist, zeigte auf, dass die Heilige Schrift vielerorts auch heute noch benutzt werde, „um die Ausgrenzung von Frauen und missbräuchliches Verhalten gegenüber Frauen zu rechtfertigen“ – unter anderem um ihnen die Möglichkeit der Ordination oder der Übernahme von Führungspositionen zu verweigern. 

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Dr. Mary Streufert von der ELKA und Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt, ehemalige Leiterin des Frauenreferats des LWB, erinnern an die Ausarbeitung vom Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB. Foto: LWB/A. Hillert

Dr. Mary Streufert von der ELKA und Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt, ehemalige Leiterin des Frauenreferats des LWB, erinnern an die Ausarbeitung vom Grundsatzpapier: Gendergerechtigkeit im LWB. Foto: LWB/A. Hillert

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Pfarrerin Dr. Arnfríður Guðmundsdóttir, LWB-Vizepräsidentin für die nordische Region und Hauptrednerin bei der Konsultation zu Gendergerechtigkeit. Foto: LWB/A. Hillert

Pfarrerin Dr. Arnfríður Guðmundsdóttir, LWB-Vizepräsidentin für die nordische Region und Hauptrednerin bei der Konsultation zu Gendergerechtigkeit. Foto: LWB/A. Hillert

Guðmundsdóttir hob Beispiele für ein Spannungsverhältnis zwischen der Sprache des Glaubens und dem Menschenrechtsdiskurs hervor und betonte, dass der LWB seit seiner Vollversammlung 1984 in Budapest alle seine Mitgliedskirchen immer wieder aufgerufen habe, Frauen an allen Ebenen der Kirchenleitung teilhaben zu lassen. In den letzten zehn Jahren, sagte sie, habe der prozentuale Anteil von Kirchen, die auch Frauen ordinieren, zugenommen. Das Problem aber gehe über die reinen Zahlen hinaus und erfordere einen Wandel in den „Systemen von Macht und Privilegien, die nach wie vor diskriminierend sind und ausgrenzen“.  

Angesichts der besorgniserregenden Rückschritte bei den Frauenrechten in Kirche und Gesellschaft in den letzten Jahren unterstrich Guðmundsdóttir die große Bedeutung von Aufklärung auf allen Ebenen der Kirche. „Es ist wichtig für unsere Bemühungen um eine geschlechtergerechtere Kirchengemeinschaft“, so Guðmundsdóttir, dass wir „uns weiterhin um verantwortungsbewusste Theologien, inklusive Sprache, eine geschlechtersensible Neuauslegung der Bibel und die Kontextualisierung unserer Grundsätze bemühen“. 

Wie die Autorenschaft des Grundsatzpapiers des LWB zu Gendergerechtigkeit schon vor über zehn Jahren feststellte, stießen sie in Neuland vor, als sie versuchten, theologische Argumente zur Untermauerung des Engagements der Kirchen für die Zurüstung von Frauen zu mehr Selbstbestimmung zu entwickeln. Dr. Mary Streufert von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika, Pfarrerin Dr. Elaine Neuenfeldt von der ACT Alliance und ehemalige Leiterin des Frauenreferats des LWB und Fabian Wilches, Leitender Berater des LWB für die Advocacyarbeit, waren damals alle Mitglied in einer Beratungsgruppe zu Genderfragen, die mit der Erarbeitung eines Grundsatzpapiers beauftragt wurde, das die Arbeit, die die weltweite Kirchengemeinschaft auf der LWB-Vollversammlung 2010 in Stuttgart nachdrücklich bekräftigt hatte, fit für die Zukunft machen sollte. 

Auf der Konsultation im Chateau des Bossey berichteten sie von ihren Erinnerungen und von den Erkenntnissen, die sie im Rahmen dieser Arbeit gewonnen haben, und berichteten von den vielen Problemen, mit denen sie in ihrem Ringen um eine Sprache und Wortwahl konfrontiert waren, die von Führungspersonen in den sehr verschiedenen theologischen Denkarten und kulturellen Kontexten akzeptiert werden würde. „Wir stellten fest, dass es auch in keiner anderen Glaubensgemeinschaft bestehenden Modelle gab, an denen wir uns orientieren konnten“, erinnerte sich Streufert, „und fühlten uns daher genötigt, nicht eine Sprache des Glaubens zu verwenden, sondern uns auf den Fachjargon der Menschenrechte zu konzentrieren.“ 

„Wir mussten lernen, strategisch zu denken“, sagte Neuenfeldt und unterstrich, wie wichtig es sei, Kolleginnen und Kollegen in anderen Teilen der weltweiten Gemeinschaft von Kirchen zuzuhören und von ihnen zu lernen. Der biblische und theologische Unterbau für das Engagement für Gendergerechtigkeit stellt in der endgültigen Fassung des Grundsatzpapiers neben den praktischen Grundlagen und den klar formulierten Methodologien für die praktische Umsetzung einen zentralen Pfeiler dar. Im Nachgang der Verabschiedung des Grundsatzpapiers, berichtete Neuenfeldt, „haben die Vereinten Nationen das Grundsatzpapier genau dafür gewürdigt, dass es eine Sprache des Glaubens verwendet“. 

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Pfarrer Dr. Sivin Kit, LWB-Direktor für Theologie, Mission und Gerechtigkeit, mit anderen Teilnehmern der Konsultation zu Gendergerechtigkeit. Foto: LWB/A. Hillert

Pfarrer Dr. Sivin Kit, LWB-Direktor für Theologie, Mission und Gerechtigkeit, mit anderen Teilnehmern der Konsultation zu Gendergerechtigkeit. Foto: LWB/A. Hillert

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Pfarrerin Dr. Marcia Blasi, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung, begrüßt die Teilnehmenden bei der Eröffnung der Konsultation. Foto: LWB/A. Hillert

Pfarrerin Dr. Marcia Blasi, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung, begrüßt die Teilnehmenden bei der Eröffnung der Konsultation. Foto: LWB/A. Hillert

Am ersten Tag der Konsultation gab es auch eine Sitzung, in der es um die Rolle und die Verantwortlichkeiten von Männern im Engagement für Gendergerechtigkeit an der Basis ging. Der Jugendleiter Pfr. Jussi Luoma von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Finnlands, der auch Mitglied im LWB-Rat ist, verwies auf eine jüngste Erhebung, die gezeigt hat, dass ein Viertel aller jungen Männer in seinem Heimatland überzeugt sind, dass „Frauen die Gewalt, die sie erleiden, aufgrund der Art, wie sie aussehen, sich kleiden oder verhalten, möglicherweise verdienen“. Er betonte: „Wandel beginnt in uns, und wir müssen den Mut zu Selbstreflexion haben, um eine andere Art von Männlichkeit vorzuleben“. 

Pfr. Kagiso Harry Morudu von der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika unterstrich, dass es wichtig sei, eine Sprache zu entwickeln, die für Jungs „einen Sinn ergibt“, die kulturell darauf konditioniert sind, zu glauben, dass Männer für ihre Familie „sorgen müssen“. „Wir haben die Sprache der Kirchen im Westen übernommen“, sagte er, und diese kommt bei der jungen Generation, die im globalen Süden aufwächst, möglicherweise nicht an.  

In einem festlichen Gottesdienst zur Eröffnung der Konsultation erinnerte Pfarrerin Dr. Marcia Blasi, LWB-Programmreferentin für Gendergerechtigkeit und Frauenförderung, die Teilnehmenden daran, dass „wir nicht von ganz vorne anfangen müssen, sondern auf die Arbeit von vielen mutigen weiblichen Führungspersonen der Vergangenheit aufbauen können“. Sie betonte die zentrale Bedeutung einer Partnerschaft zwischen Frauen und Männern, um dieses Erbe in die Zukunft zu tragen und „um uns zusammen für eine Welt stark zu machen, in der die Macht der Liebe die Liebe zur Macht überwindet, wie wir schon in der Eröffnungspredigt gehört haben“. 

Die Konsultation zu Gendergerechtigkeit vom 9. bis 11. Dezember fand in Genf statt und sollte die Erfolge der ersten zehn Jahre seit der Verabschiedung des Grundsatzpapiers zu Gendergerechtigkeit im LWB feiern und neue Strategien herausarbeiten, um gendergerechte Beziehungen, Theologien und Kirchen in der LWB-Gemeinschaft und der Gesellschaft insgesamt aufzubauen und zu formulieren. 

LWB/P. Hitchen