Junge Flüchtlinge erwerben Führungskompetenzen

10 Febr. 2016
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Diese jungen Leute im Flüchtlingslager M’berra treffen sich in der Regel an 3 bis 4 Tagen pro Woche. Foto: LWB/C. Kästner

Diese jungen Leute im Flüchtlingslager M’berra treffen sich in der Regel an 3 bis 4 Tagen pro Woche. Foto: LWB/C. Kästner

Mauretanien: Lernen für das Leben und den Beruf

M’berra (Mauretanien)/Genf, 9. Februar 2016 (LWI) – „Man kann nicht gut sagen, wie wir im Lager unsere Zeit verbringen. Man wacht auf und fragt sich, was man den ganzen Tag tun soll“, erzählt Ag Mohamed (19). „Wir haben hier nichts zu tun.“

Ag Mohamed ist Flüchtling. Er kam vor zwei Jahren nach Mauretanien, wo er vor dem Konflikt in Nordmali Zuflucht suchte. Im Lager M’berra, 50 Kilometer von der Grenze zu Mali entfernt, hat er das Bakkalaureat (Abitur) gemacht, hat aber in seiner gegenwärtigen Situation keine Möglichkeit, zu studieren. In dem in der Sahelzone, also praktisch in der Wüste, gelegenen Lager leben 50.000 Flüchtlinge. Die nächste Ansiedlung, die kleine Stadt Bassikounou, ist 18 Kilometer weit entfernt. Die Menschen hier leben von der Viehzucht. Aber Wasser und Weideland reichen nicht für alle und viele Flüchtlinge können ihrem traditionellen Broterwerb nicht nachgehen. Für die jungen Menschen im Lager gibt es keine Beschäftigung.

Vermittlung von Lebenskompetenzen

Aus diesem Grund hat sich der Lutherische Weltbund (LWB), der das Lager in M’berra im Auftrag des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) verwaltet, entschieden, ein Programm aufzulegen, in dessen Rahmen sich junge Männer und Frauen, die diese wichtigen Jahre ihrer Entwicklung in der Unsicherheit eines Flüchtlingslagers verleben, eine Existenzgrundlage schaffen können. Einer ersten 250-köpfigen Gruppe werden derzeit Lebenskompetenzen und Wissen über Gemeinwesenentwicklung vermittelt. Jede und jeder von ihnen wird wiederum fünf weiteren jungen Leuten das Erlernte weitergeben.

Lerninhalte sind Menschenrechte, Kinderschutz und die Teilnahme am Leben des Gemeinwesens. Von den insgesamt 1.500 Personen, die an diesen Kursen zum Thema Gemeinwesenförderung teilnehmen, werden später 250 für eine Berufsausbildung ausgewählt, die dann auch Zuschüsse erhalten, um sich selbständig machen zu können. Das Projekt soll das Gemeinwesen insgesamt stärken und den jungen Leuten gleichermassen Hilfestellung dabei leisten, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen wie praktisch einen Beruf zu erlernen. „Wir bereiten sie darauf vor, nach ihrer zukünftigen Rückkehr in Mali Führungsfunktionen zu übernehmen“, so LWB-Lagerverwalter Demba Niang.

Einen Beitrag leisten

Das Projekt ist das erste dieser Art, das für die junge Generation ausgelegt ist. „Wir haben viele solche Angebote in M’berra, aber sie richten sich in der Regel an die Dorfältesten und Menschen, die traditionell Führungsverantwortung tragen. Da sind keine jungen Leute dabei“, erläutert Demba. „Hier geht es jetzt darum, die Jugend im Lager so einzubinden, dass sie einen Beitrag leistet und Verantwortungsbewusstsein für die Gemeinschaft entwickelt.“

Für manche ist das selbstverständlich. Mariam Minte Assalik (19), Vizepräsidentin der Gruppe, ist begeistert von dem Gedanken, selbst etwas tun zu können. In einer patriarchalischen Gesellschaft, die Erfahrung und Alter wertschätzt, ist es nicht einfach für eine junge Frau, diese Träume verwirklichen zu wollen: „Kulturell haben Frauen in unserer Gesellschaft nicht das Recht, zu arbeiten, aber wir können im Lager nicht auf Dauer untätig herumsitzen.“

Mariam hat einen Schulabschluss, musste aber ihre Ausbildung wegen des Krieges unterbrechen. Dann hat sie geheiratet und möchte jetzt ihrem Mann zeigen, dass sie auch zum Familieneinkommen beitragen kann. „Wenn eine Frau arbeitet, hilft sie damit allen. Die ganze Familie entwickelt sich dadurch, es hat eine Auswirkung auf ihre Umgebung und letztlich auch auf das gesamte Gemeinwesen“, findet Mariam. Kein Zweifel, die energische junge Frau wird mindestens versuchen, die doppelte Stigmatisierung durch ihre Jugend und ihr Frausein zu überwinden.

Damit junge Männer nicht in Schwierigkeiten geraten

Im Lager Frauenrechte voranzubringen und Mädchen Starthilfe zu geben, ist das eine Ziel des Projekts. Gleichzeitig soll es auch dafür sorgen, dass junge Männer nicht in Schwierigkeiten geraten. Die Ressourcen sind knapp und entsprechend angespannt sind die Beziehungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen. Wenn in Bassikounou etwas passiert, werden schnell die jungen Leute aus dem Lager beschuldigt. „Wenn wir ihnen Wissen vermitteln und sie beschäftigen, sorgen wir damit auch für Stabilität“, erklärt Demba.

Sein wichtigstes Anliegen ist es, sie vor der Rekrutierung durch Milizen zu bewahren. „Bewaffnete Gruppen sind im gesamten Sahelgebiet ein Problem“, stellt er fest. „Unsere jungen Leute könnten da ins Visier geraten.“ Polizei und Militär in Mauretanien kontrollieren zwar streng die Grenzen und konfiszieren gar bei der Einreise sämtliche Jagdwaffen. Trotzdem ist sich Demba im Klaren: wenn man junge Leute davon abhalten will, sich bewaffneten Gruppen anzuschliessen, muss man ihnen Alternativen anbieten.

Hoffnung für die Zukunft

„In Mali hatten wir andere Träume, aber vorerst leben wir hier“, resümiert Ag Mohamed. Das Programm hat sein Interesse für Kinderrechte geweckt. In einem Menschenrechtsworkshop wurden ihm die Verletzungen ihrer Rechte bewusst. Jetzt möchte er sich für Kinder engagieren, solange er im Lager lebt, und dann studieren, wenn er nach Mali zurückkehren kann. Mariam träumt davon, als Krankenschwester werdende Mütter zu versorgen. Andere wiederum möchten Medizin oder Jura studieren, Läden eröffnen oder Mechaniker werden.

Viele der Teilnehmenden hoffen, für die Berufsausbildung ausgewählt zu werden und sich danach selbständig machen und Geld verdienen zu können, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Aber Ag Mohamed ist sich auch bewusst, was die Lebenskompetenzen wert sind, die der gesamten Gruppe von Teilnehmenden vermittelt werden. „Egal, was wir danach tun, ich möchte jedenfalls mit dieser Gruppe weitermachen. Wir haben so viele Ideen und jetzt haben wir auch gelernt, sie umzusetzen“, erläutert er.

„Die Zukunft liegt in unserer Hand. Das wissen wir.“

 

Das Projekt wird gemeinsam unterstützt durch die Evangelische Landeskirche in Württemberg [http://www.elk-wue.de/] und das von der Schwedischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amerika und der Finnischen Evangelisch-Lutherischen Mission finanzierte International Child Development Programme.

LWF/OCS