Flüchtlingslager Moria: Musik machen, um am Leben zu bleiben

10. Mai 2024

Vom Flüchtling zum Gründer eines Kulturzentrums für Bildung und Integration auf der griechischen Insel Lesbos: Rouddy Kimpioka erzählt in der ersten Folge des Podcasts „Living as Neighbours“ (in guter Nachbarschaft zusammenleben) von seinen Erfahrungen. 

 

Rouddy Kimpioka

Rouddy Kimpioka, Gründer von „Refugee African Dance (RAD) Music International“. Foto: RAD 

Rouddy Kimpioka aus dem Kongo erzählt in erster Folge des Podcasts „Living as Neighbours“ von seinen Erfahrungen  

(LW) – 2016 spitzt sich die politische Lage in Kongo so sehr zu, dass dem damals 25-jährigen Rouddy Kimpioka bewusst wird, dass er aus seinem Heimatland fliehen muss. „Man hatte genau zwei Möglichkeiten“, erinnert er sich, „weggehen oder sterben.“ Also geht er in der Hoffnung, es bis nach Frankreich zu schaffen. Allerdings landet er zunächst in einem türkischen Gefängnis, aus dem er zwar wieder entkommt, aber nur um dann in dem berüchtigten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos zu landen.  

In der ersten Folge einer neuen Podcast-Reihe, die der Lutherische Weltbund (LWB) in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk „A World of Neighbours“ konzipiert hat, das gegründet wurde, um jene Menschen zu unterstützen und zuzurüsten, die Migrantinnen und und Migranten und Flüchtlingen in Europa helfen, berichtet Kimpioka von seinen Erfahrungen.   

In dem türkischen Gefängnis, das er als „kleine Hölle“ beschreibt, beginnt Kimpioka, Songs zu schreiben und zu singen, „um gegen die Einsamkeit und die Depressionen zu kämpfen“. In den kurzen Pausen, in denen die Gefangenen aus ihren Zellen dürfen, lernt er andere Gefangene kennen, die wollen, dass er auch ihnen das Singen und Tanzen beibringt. „Wir sprachen nicht die gleiche Sprache, aber die Musik wurde zu unserer gemeinsamen Sprache – sogar einige Gefängniswärter schlossen sich uns an“, erzählt er.  

Musik für den Tanz afrikanischer Flüchtlinge International  

Auch als er im Flüchtlingslager Moria eingesperrt ist, wendet sich Kimpioka der Musik zu, um in den menschenunwürdigen Bedingungen, in denen die Flüchtlinge hier gefangen gehalten werden, nicht die Hoffnung zu verlieren. „Viele Menschen haben sich das Leben genommen und manchmal hatte man wirklich das Gefühl, dass es besser wäre, zu sterben“, erinnert er sich. Er begann, Tanzwettbewerbe zu organisieren, um Menschen aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen, die sich oftmals um die kümmerlichen Lebensmittelrationen stritten oder einfach verzweifelt waren, weil sie nicht wussten, wann sie aus dem Flüchtlingslager gelassen würden. In dem ursprünglich für 3.000 Menschen gebauten Flüchtlingslager lebten Anfang 2020 mehr als 20.000 Männer, Frauen und Kinder.  

„Uns spalteten verschiedene Religionszugehörigkeiten oder Nationalitäten und es gab keine Kommunikation zwischen den Flüchtlingen und den Beschäftigten oder freiwilligen Helferinnen und Helfern“, berichtet Kimpioka. „Aber als wir zu tanzen anfingen, kamen wir einfach wieder als Menschen zusammen.“ Er begann, gemeinsame Mahlzeiten zu organisieren und richtete ein kleines Internetcafé ein, um den Menschen zu helfen, Dokumente auszudrucken oder im Internet Informationen zu finden. Mit Unterstützung einer örtlichen Nichtregierungsorganisation gründete er „RAD (Refugee African Dance) Music International“ – Musik für den Tanz afrikanischer Flüchtlinge International –, einen Kulturverein zur Unterstützung von und die Vernetzung von Geflüchteten und der einheimischen Bevölkerung in Mytilini, der Haupstadt von Lesbos.  

Nach und nach gewann Kimpioka das Vertrauen der Inselbewohnerinnen und -bewohner und 2021 wurde seine Organisation als offizielles Zentrum für Bildung und Integration der Geflüchteten anerkannt. Im vergangenen Jahr feierte er zusammen mit örtlichen Amtstragende das fünfjährige Bestehen von RAD. „Anfangs waren die Menschen wütend auf die Flüchtlinge auf ihrer Insel und hatten Angst vor uns“, erzählt er. „Als sie aber unsere Geschichten hörten, haben sie verstanden, dass wir alle einfach nur Menschen sind, denen unterschiedliche Chancen im Leben gegeben sind.“  

In einem Webinar zur offiziellen Vorstellung des neuen Podcasts hat der Direktor für Theologie, Mission und Gerechtigkeit des LWB, Pfr. Dr. Sivin Kit, betont, wie wichtig es sei, „den Stimmen all jener mehr Gehör zu verschaffen, die sich an den europäischen Außengrenzen für offenere und inklusivere Gesellschaften einsetzen“. Er erklärte, der achtteilige Podcast sei ein Nachfolgeprojekt einer internationalen Konferenz mit dem Titel „Welcoming the Stranger, Shaping the Future, Living as Neighbors“ (Fremde willkommen heißen, Zukunft gestalten, in guter Nachbarschaft friedlich zusammenleben), die 2022 in Genf stattgefunden habe. Moderiert wurde das Webinar von der Jugendreferentin des LWB, Savanna Sullivan. Sie unterstrich, dass „der Ausbau der interreligiösen Beziehungen und das Engagement für inklusivere Gesellschaften“ für junge Menschen eine hohe Priorität habe.  

Die Moderation des Podcasts liegt in der Hand des niederländischen Theologen und Künstlers Rikko Voorberg, der derzeit Direkt des Netzwerks „A World of Neighbours“ ist. Das Netzwerk vereint praktisch engagierte Menschen aus 17 europäischen Ländern, die Menschen auf der Flucht oftmals auch in gefährlichen und schwierigen Verhältnissen unterstützen. „Wenn wir eine offeneres Europa wollen, ein Europa, in dem die Menschenrechte geachtet werden, können wir uns nicht darauf verlassen, dass die Politik das richten wird“, sagt er. „Wir müssen in die Menschen investieren, die an den Grenzen leben, in die Städte dort, in die Menschen, die etwas bewegen, die ein wenig Licht in die ganz dunklen Ecken unseres Kontinents bringen.“

LWF/P. Hitchen